Um Jesu willen gehasst von der Welt - Predigt in Barmen Gemarke aus Anlass des Symposions der Evangelischen Kirche im Rheinland „Gemeinsame Bibel, gemeinsame Sendung“ (Predigttext: Joh 15, 18-21)

Manfred Kock

Predigttext: Joh 15, 18-21

18 Wenn euch die Welt hasst, so wisst, daß sie mich vor euch gehasst hat.

19 Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt.

20 Gedenkt an das Wort, das ich euch gesagt habe:  Der Knecht ist nicht größer als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten.

21 Aber das alles werden sie euch tun um meines Namens willen; denn  sie kennen den nicht, der mich gesandt hat.

1. Wenn euch die Welt hasst

Hasst uns die Welt, weil wir uns zu Jesus Christus bekennen? Die christlichen Kirchen sind doch anerkannt im Gefüge unseres Staates. Öffentlich rechtlich sogar. Das Grundgesetz schützt sie ausdrücklich und in besonderer Weise. Mit ihrer Diakonie und Caritas beteiligen sie sich an der sozialen Verantwortung unserer Gesellschaft und sind deshalb wohl gelitten. Wie kann man da vom Hass der Welt gegen uns Christenmenschen reden? Ob wir immer ernst genommen werden, das mag man wohl bezweifeln. Vielleicht gerade deshalb, weil wir das ursprüngliche Feuer der Jesusbotschaft zu einem lauwarmen Ofen temperiert haben, weil wir mit dieser Welt viele Kompromisse schließen, weil unsere Art der Christusnachfolge nicht radikal genug ist,. Aber gehasst werden wir offensichtlich nicht.

Freilich, bei den ersten Christengemeinden war das offensichtlich anders. Sie mussten unter Ungerechtigkeit und Verfolgungen leiden. Sie ehrten in dem Mann aus Nazareth Gott, den er seinen Vater nannte, und sie fühlten sich herausgerufen aus der Welt. Und da machten sie die Erfahrung, dass sie um ihres Glaubens willen nicht nur verachtet wurden, viele wurden verfolgt und umgebracht. Wie der, dessen Nachfolge sie angetreten hatten. Sie wurden gehasst, wie Jesus es vorausgesagt hatte. Hinter diesen Verfolgungen sahen sie die Anzeichen einer zusammenbrechenden Welt mit kosmischen Ausmaßen und lebten inmitten des Elends in einer getrösteten Gewissheit: am Ende ist uns und der ganzen Welt Erlösung versprochen.

Die ersten Jünger hatten offenbar zunächst nicht verstanden, was Jesus gemeint hatte, als er diesen Hass voraussagte. Der Sinn seiner Rede war ihnen verborgen. Auch als Jesus endete unter Folter und Kreuzigung haben sie es noch nicht verstanden.

Gottes Weg mit uns Menschen - ein Leidensweg. Wer versteht das schon? Das Kreuz sehen wir, das Scheitern, aber wie erkennen wir darin das Leben? Kann daraus das Heil erwachsen? Auch wir verstehen das nicht, wenn wir wirklich ehrlich mit uns sind. Doch plötzlich kann es einem wie Schuppen von den Augen fallen wie den Jüngern und Jüngerinnen damals. Sie mussten erst dem Auferstandenen begegnen, ehe sie Leiden und Kreuz als Gottes Weg zum Heil erkannten. Dann wurde ihnen allmählich klar: Der Weg des Meisters ist der Weg seiner Jünger. Sie gehorchten den Gesetzen nicht formal, sondern bestanden auf ihrem lebensdienlichen Sinn. Sie machten nicht mit, was alle taten,  Sie verweigerten die Anbetung des Kaiserbildes, sie vergaßen ihre Herkunft nicht sondern stellten sich an die Seite der Armen und Leidenden. Gott steht auf der Seite der Leidenden. Und damit ist der Ort gewiesen, den seine Nachfolger einzunehmen haben.

Dieser Ort ist gefährlich und belastend, denn es gibt so viele schreckliche Leiden in der Welt, denen kein Wunder gewachsen scheint. Es erwächst übrigens nicht nur aus dem förmlichen Hass der Welt. Leiden entsteht auch, weil die Welt Triumphe feiert, wenn ihr scheinbar alles gelingt. M. Luther: diejenigen, die dem Mammon dienen, haben Gewalt, Beliebtheit, Ehre, Gut und Sicherheit vor der Welt , während unendlich viele von der Sorge umgetrieben werden und den Katastrophen nicht gewachsen sind. Und die Mühen derer, die für die Leidenden einstehen, sind oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Immer trifft es diejenigen zuerst, die schon immer zu den Schwachen zählen. Sie leiden am meisten unter den ökologischen Krisen, den schrecklichen Kriegen, dem fundamentalistischen Terror. Hunger, Flucht und Vertreibung wachsen, es wird gefoltert und getötet, auch in Staaten mit demokratischer Tradition. Und da wuchern größenwahnsinnige Staats- und Gesellschaftskonzepte, in denen sich Menschen als Wiedergeborenen erwählt fühlen und die ganze Welt angeblich befreien wollen. Und da sind die Katastrophen im persönlichen Leben: Arbeitslosigkeit, lebensbedrohliche Krankheiten, die Angst vorm Altern, Einsamkeit. Es sind die Schwachen zuerst, die das Leiden trifft, nach dem Hurrikan von New Orleans war es wieder zu sehen. Leiden gibt es überall, offensichtlich sind sie unabwendbar.

2. Hass der Glaubenden gegen die Welt

Die Geschichte der ersten Christenheit ist weiter gegangen. Der Hass, der Welt gegen die gläubigen Christen verwandelte sich in Hass der gläubigen Christen gegen die Welt. Aus Verfolgten wurden Verfolger. Und es begann die ganze unselige Geschichte von Ketzerverfolgungen und Glaubensterror, von Inquisition und Bekehrungszwang – und vor allem die Hassgeschichte gegen die Juden. Oft wurde sie begründet mit dem unseligen Vorwurf, diese trügen die Schuld am Kreuzestod Jesu.

In unserem Predigtabschnitt scheint das schon angelegt zu sein. Das Psalmzitat am Ende des Abschnitts lautet: »Sie hassen mich ohne Grund« (Psalm 69,5). Viele Ausleger vermuten deshalb, hier habe der Evangelist Johannes schon die Richtung gegen die Juden gewiesen, und sie schließen auch aus anderen Stellen, das Evangelium sei schon antijüdisch geprägt. Wir können dass in dieser Predigt nicht diskutieren. Jedenfalls aber ist Johannes immer wieder antijüdisch gedeutet und gepredigt worden.

Die schreckliche Geschichte der christlichen Wurzeln des Judenhasses hat zu unendlichem Leid geführt. Die Kirche hat dabei ihre eigentliche Mitte, nämlich das Leiden und das Kreuz Jesu missbraucht. Immer wieder hat sich menschliche Macht mit Kreuzen dekoriert, hat sich aufgemacht zu Kreuzzügen, um zu erobern und zu töten. Und immer waren Macht- und Habgier im Spiel.

Vor allem wurde das Kreuz missbraucht als Hass-Instrument gegen die Juden, wenn es deren Verfolgung rechtfertigen sollte. Der Vorwurf lautet, die Juden hätten  ihren Bruder Jesus getötet wie Kain seinen Bruder Abel und trügen damit Schuld am Tode Jesu bis in alle Ewigkeit. Wir kennen die Folgen: Hass auf die Juden und deren Verfolgung eine fast 2000 jährige Kirchen - Geschichte lang. Heute können wir diese Geschichte nur mit Scham betrachten. Der Antijudaismus der Kirchen hat den Antisemitismus genährt, diese rassistische Steigerung, die vor allem eine Krankheit der europäischen Kultur geworden ist. Unter ihm hatten schon die nach den Zerstörungen Jerusalems geflohenen Juden der Diaspora zu leiden. Und der Antisemitismus gipfelte im Holocaust des 20. Jahrhunderts, als der Tod „ein Meister aus Deutschland“ geworden war.

In der Kontinuität dieser Geschichte unserer Kirche stehen wir. Gut, dass unsere Kirchen inzwischen ihre Anteile an der Hassgeschichte erkannt haben und alles daransetzen, dass sie nie wieder hinter diese Erkenntnis zurückfallen.

Denn der Antijudaismus hat uns ja auch von den reichen Wurzeln unseres Glaubens in der jüdischen Tradition abgeschnitten. Zugleich hat er die eigentlichen Verursacher des Kreuzes verschleiert. Das sind eben nicht die in den Evangelien genannten Werkzeuge, Judas und das jüdische Volk, Kaiphas und Pilatus. Alle Gestalten der Passionsgeschichte sind exemplarisch, nicht für die Juden, sondern für uns. Sie sind wie du und ich, sind ich und du. Gegen diese Erkenntnis kann man sich sperren, wenn man den Juden den Tod Jesu in die Schuhe schiebt. Und die Missbrauchsgeschichte ist noch nicht zu Ende. Man kann sich ja auch scheinheilig vor der eigenen Schuld drücken, wenn man den Tod Jesu am Kreuz als für den Glauben unwichtig erklärt – vorgeblich wegen der Gefahr, das Kreuz könne antisemitisch missbraucht werden. Oder weil der Tod Jesu so grausam sei, dass eine Kirche, in der Menschen sich wohl fühlen sollen, diese Botschaft besser in den Hintergrund stellen solle.

3. Ist der Hass der Welt wirklich unser Schicksal?

Aktuell gehasst werden wir als Jesu Nachfolger zurzeit nicht, hatte ich gesagt. Aber solche Situationen können plötzlich über uns kommen. Ich erinnere an Paul Schneider, der in Buchenwald ermordet wurde. Der Gegensatz von deutschen Christen und Bekennenden wie auch der Kampf unter den Bekennenden über den rechten Weg ist an seinem Schicksal deutlich zu machen. Sollen Christen den Kurs der Konfrontation steuern oder sich diplomatisch und taktisch einstellen? Dieses heikle Hin und Her, von dem die Geschichtsschreibung berichtet, das ist es, was Paul Schneider zu schaffen machte. Darunter litt er. Und in diesem Leiden fand er das Kreuz abgebildet. Für ihn sprach der verwirrende Weg der Kirche nicht gegen die Macht Gottes, sondern war ihm geradezu das Zeugnis für Gottes Zuwendung. Wo wir Menschen schwach sind, ist Gott umso stärker. Darum gehorchte er Gott mehr als den Menschen und wurde zum Märtyrer unserer Kirche, ohne andere, weniger mutige zu verurteilen.

In vielen Teilen der Welt gibt es auch heute Verfolgung von Christen. Bei einer Reise einer EKD-Delegation nach Indien kamen wir gerade in eine Krisensitzung des Nationalen Christenrates. Einige Nonnen waren von radikalen Hindufundamentalisten ermordet worden; einen australischen Missionar hatte man in seinem Auto verbrannt, gemeinsam mit einem kleinen Sohn. „Sie verfolgen uns nicht, weil wir evangelisch oder katholisch sind“, sagte der katholische Erzbischof in Delhi. „Sie verfolgen uns, weil wir Christen sind“.

Ist Verfolgung der eigentliche, der Normalzustand der Christen? Müssten wir eigentlich, wenn wir wirklich in dem Gekreuzigten den Lebendigen erkennen und bekennen, dass er die Nähe Gottes verkörpert, der Hass auf uns ziehen? Ja, offenbar geschieht das immer wieder. Aber was, wenn es nicht geschieht?

In dieser Lage ist nicht immer Bekenntnisschwäche schuld. Nirgendwo ist geschrieben, wir sollten das Martyrium suchen. Uns ist nämlich, wie dem ersten Gottesvolk auch, an anderen Stellen ein gutes und sicheres Leben in dieser Welt versprochen. Und alle Ordnungen, die das Leiden lindern und das Leben fördern, sind Gottes Geschenk.

Der Glaube Israels geht uns darin voran. Gerettet aus Ägypten, herausgeführt aus der Sklaverei, mit einem Land beschenkt, um sicher darin zu wohnen. Hier können sie leben, und Kinder und Enkelkinder auch, wenn sie zeitlebens Adonaj achten, Gerechtigkeit tun… und all das Gebotene befolgen. ( Dt 6 ) Gottes Recht ist Schutzraum gegen die Verletzung von Leben, Ehe, Eigentum und Ehre. Solche Erkenntnis ist gerade am stärksten gewachsen, als die Konkurrenz zu Adonaj am größten war, in der babylonischen Gefangenschaft im 6. vorchristlichen Jahrhundert. Da wurden die Juden gehasst. Ischtar und Marduk, Fruchtbarkeit und Potenz, Sonne und Mond - der Großkönig, mit seiner angemaßten gottähnlichen Würde hatte alle Macht und Ehre. Wie immer in der Geschichte, wenn die angemaßten Götter im Namen von Führer und Rasse oder im Namen von Partei und Klasse mit ihren Funktionären und Genossen das Sagen bekommen.

Gerade damals hat sich die Kraft des jüdischen Bekenntnisses entfaltet und ist hinausgegangen in die Welt der Völker dieser Erde. Mit ihm ist der Maßstab des Friedens bekannt gemacht in aller Welt. Dieser Maßstab ist Gottes Recht, das den Traum vom Frieden in Realität verwandeln wird. Das ist die frohe Botschaft für unsere gemeinsame Zukunft.

Das ist der große Schatz der geistlichen Überlieferung Israels.

Wir können diese Geschichte und ihre Verheißung nicht einfach übernehmen, als wären wir an die Stelle des Gottesvolkes getreten. Wir müssen genau hinzuhören, was es bedeutet, als ein wilder Ölzweig… in den Ölbaum eingepfropft und mit der Wurzel verbunden zu sein, wie Paulus im Römerbrief (11,17 f.) schreibt. Aber diese die Wurzel trägt uns und sie hilft uns, nicht müde zu werden, die Welt Gottes gerecht zu gestalten.

Höre, Menschheit, so dürfen wir das Bekenntnis Israels abwandeln. Denn wir haben es von Jesus, dem Juden, der uns und alle Völker einbezieht in die Erfahrung und die Geschichte seines Volkes. Ihm glauben wir Christen seinen Gott. Jesus, der Jude, hat die Gemeinde aus Juden und Heiden einbezogen in den Strom derer, die mit Gottes- und Nächstenliebe ihr Zusammenleben gestalten können. Von ihm wissen wir, dass dieser Gott die Verlorenen sucht und die Kleinen erwählt hat. Von ihm wissen wir, wie riskant das Leben in der Gottesmissachtung ist, das Leben der Ellenbogen und des Zynismus, das Leben des Brudermordes, der Frauenunterdrückung und der Kinderausnutzung. Darum können wir Unrecht beim Namen nennen, die Quellen des Leids, ihre Verursacher und ihre selbstsüchtigen Ziele. Wir brauchen die Ohren nicht zu verschließen vor den Stimmen der Opfer. Wir können Anteil nehmen an ihren Schmerzen. Wir teilen die Sehnsucht nach einem Recht, das den Schwachen schützt vor der Willkür der Starken. Recht, das sich ausbreitet, gegen Korruption und gegen die Globalisierung des Unrechts. Denen gegenüber müssen wir eine Achse des Friedens bilden. Das allein schützt die Welt vor dem Hass. Wir müssen zeigen, dass unsere Unterschiede im Glauben uns nicht am Frieden hindern. Denn die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit teilen wir miteinander.

Wie geht es weiter mit unserer Welt? Was wird aus mir und den Meinen? So fragen viele Menschen, und kommen mit solchen Gedanken und Sorgen auch in diese Kirche. Was sie bewegt und belastet, tragen sie im Gebet vor Gott. Sie lassen sich tragen mit ihren Lasten von den Gebeten und Gesängen der Gemeinschaft, von dem Zuspruch Gottes, den sie in der Feier des Heiligen Mahles empfangen. Es ist ein großes Geschenk, dass es solche Orte gibt. Ein größeres aber ist die Gewissheit, dass Gott diese Sorgen ernst nimmt, dass er sich um unsere Seelen sorgt. Dann können wir es auch ertragen, wenn uns der Hass der Welt wirklich treffen wird.