Predigt zu Beginn der Interkulturellen Woche. Ökumenischer Gottesdienst in der Domkirche St. Eberhard

Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July

Es gilt das gesprochene Wort.

(Predigttext 2. Tim. 1,7)

„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“

Liebe ökumenische Gemeinde,
liebe Schwestern und Brüder!

Vor einiger Zeit traf ich mit einer Frau zusammen, die in der Hausaufgabenbetreuung für Kinder mit Migrationshintergrund ehrenamtlich engagiert ist. Sie ist schon im Ruhestand und - trotz familiärer Belastungen – zuverlässig dabei. Am Anfang war es nicht nur einfach. Manche Unzuverlässigkeit und Enttäuschungen waren zu verkraften. Es gab auch Ärger. Aber dann wurde sie krank. Und plötzlich tauchten die jungen Migrantinnen auf. Brachten Blumen, besuchten sie im Krankenhaus. Und es entstand eine Freundschaft des Gebens und Nehmens. Des Erzählens von Glaube, Liebe, Hoffnung in der Alltäglichkeit des Lebens und der Begegnung.

Ich weiß. Es gibt auch andere Geschichten, die nicht so schön enden. Aber es gibt eben auch diese. Diese Geschichte erzählt von Verständigung über Unterschiede hinaus. Sie erzählt vom Finden der Gemeinsamkeiten. Was dabei leitend ist, ist nicht ein Geist der Verzagtheit, sondern ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Manche andere Geister treiben leider unter uns Menschen ihr Unwesen. Schon seit Jahren. Der Geist der Abgrenzung, der Geist des Egoismus, der Geist des Für-sich-bleiben-Wollens, der Geist des Rassismus, der Geist der Fremdenfeindlichkeit, der Geist des Vorurteils, der Geist der Verzagtheit, des Durcheinanderbringens, des Hasses. Es sind die Dämonen, die wie die Ringgeister in der mythischen und verfilmten Erzählung „Herr der Ringe“, die Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen.

Das Gespenst breitet sich aus, weltweit. Die schrecklichen Bilder des Todes, der Gewalt, des Terrors, der Intoleranz, der Zerstörung, der Finsternis legen sich wie ein Bleimantel auf unsere Seelen. Millionen Menschen machen sich auf, fliehen, wie einst die Heilige Familie, um für sich und ihre Kinder das Überleben zu sichern.

Da ist das Wort Interkulturell plötzlich schon für sich genommen ein Leuchtzeichen gegen die Monokultur des Hasses. Da tut es gut, heute – zu Beginn der Tage des Begegnens, des Austauschs, des Kennenlernens, des Miteinanderfeierns, des interkulturellen Lernens - dieses Wort des Apostels Paulus unter uns und für uns und mit uns zu hören. Ich wiederhole ihn noch einmal:

„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“
Gott will all diese Dämonen und Geister vertreiben

Kraft, Liebe und Besonnenheit: Ein starker Dreiklang.

Kraft bedeutet: Gott schenkt uns den Zuspruch, aus dem wir allein handeln können.
Er sagt zu uns: Fürchtet Euch nicht. Bleibt nicht in den falschen Bildern des Hasses, der Ausgrenzung, des Egoismus hängen. Das sind Bilder der Beziehungslosigkeit und damit letztlich Bilder des Todes. Er sagt uns: Ich bin in Beziehung zu Euch gekommen, damit ihr untereinander Beziehungen leben könnt. Ihr dürft mich „lieber Vater“ nennen, ihr dürft die Bilder der Auferstehung und der Hoffnung sehen. Deshalb habt ihr Kraft, dass die Todesbilder dieser Welt nicht Macht über euch gewinnen und ihr zu Boten des Lebens werden könnt.

Gott hat aus der Kultur seines Erbarmens eine interkulturelle Beziehung zu uns Menschen aufgebaut. Wie könnten wir da eine interkulturelle Begegnung und Beziehung verweigern?!
Die Menschen in dieser Welt sollen spüren, dass wir aus der Auferstehungskraft leben und deshalb kraftvoll für die Opfer, für die Ausgegrenzten, für die Beleidigten und Erniedrigten eintreten können.

Kraft suchen, Kraft finden:

In Meßstetten auf der schwäbischen Alb soll eine frühere Kaserne in ein Auffangzentrum für Flüchtlinge umgebaut werden. Eintausend Menschen werden dort erste Aufnahme finden. Nach einer Bürgerversammlung hat sich der Gemeinderat einstimmig für eine solche Umnutzung ausgesprochen. Die Kirchengemeinde ist engagiert dabei. Sie sagen: Wir bekommen das hin. Und wenn wir Hilfe brauchen, melden wir uns.

Das Engagement ist eine kraftvolle Antwort auf die grausamen Bilder voller Gewalt, Krieg, Leid und Tod, die unsere Tage bestimmen, und ein Beweis dafür, dass der Ungeist und die Dämonen dieser Zeit nicht das letzte Wort haben sollen. Ist das nicht auch eine interkulturelle Brücke, die da gebaut wird: Ja sagen zu denen, die aus verschiedenen Ländern der Welt kommen. Mit ihren Eigenarten. Mit ihren Besonderheiten. Mit ihren Herausforderungen.

Es ist in diesen Tagen unsere ganz besondere Aufgabe, in Solidarität und Nächstenliebe und ohne Rücksicht auf die Kassenlage und sonstige Befindlichkeiten für die Aufnahme der Menschen zu sorgen, die ihre Heimat verloren haben und ‚ortlos‘ geworden sind. Aber nicht nur ein Dach über dem Kopf ist wichtig, sondern auch die persönliche Akzeptanz und damit verbunden das klare Signal: Wir sehen euch als Menschen mit einer eigenen Geschichte, einer eigenen Kultur, einer eigenen Tradition. So sehen wir euch und wollen mit euch ein Stück Weg gehen.

„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“
Besonnenheit:

„Vor einigen Jahren ist das Buch „Kultur und Ethik der Weltreligionen“ von Albert Schweitzer neu aufgelegt worden. Er notiert darin die fast schon verzweifelte Frage „Wer will den Glauben der anderen deuten, wenn ihm der eigene fremd geworden ist?“

Besonnenheit des Glaubens heißt in unserem Zusammenhang: Nicht den Ängsten nachhängen, sondern sich des eigenen Grundes, des eigenen Glaubens, der eigenen Kultur zu stellen und zu vergewissern, aber auch herausfordern zu lassen, um den „Anderen“, die „Andere“ zu sehen, „wahr - zu – nehmen“, voll Respekt und Würde. Wer aus dem Glauben an den ewigen und sich offenbarenden Gott lebt, der will mit den Kindern Gottes auf dieser Erde leben.

Interkulturell oder interreligiös kann man ja nur sein, wenn einem die eigene Kultur und Religion bewusst und gegenwärtig ist. Deswegen brauchen wir – richtig verstanden – mehr religiöse Erziehung und nicht weniger. Aber eine religiöse Erziehung, die uns in die Besonnenheit und Offenheit eines Lebens im Gotteshorizont führt. Eine religiöse Erziehung, die auch um den Gewaltschatten weiß, der in der Geschichte der Religionen mitgeht. Weil Menschen, die Gottesbotschaft sich für eigene Zwecke untertan machen und so missbrauchen.
Anschauungsmaterial gibt es furchtbar genug.

Besonnenheit: Martin Luther hat einmal gesagt, dass zu einer guten Theologie das richtige Unterscheiden gehört. Das kann im interkulturellen und interreligiösen Gespräch bedeuten: Berechtigte Fragen, nachvollziehbare Ängste, Verunsicherung, Glaubensfestigkeit von Fanatismus, Schüren von Hass, Streuen von Gerüchten zu unterscheiden. Das kann bedeuten: Gesprächskulturen und Begegnungsräume zu schaffen, die ein Miteinanderlernen ermöglichen. Auch einmal die falsche Frage stellen zu dürfen. Allerdings auch bereit sein die richtige Antwort zu hören.

Besonnenheit: Das kann in diesen Tagen heißen: In Geduld, mit Nüchternheit, aber auch Solidarität und Nächstenliebe für die Aufnahme der Menschen zu sorgen, die ihre Heimat verloren haben und „ortlos“ geworden sind. Ihnen zeigen: Ja, wir sehen euch. Wir sehen euch als Menschen, die zu anderen Menschen kommen und ein Dach über den Kopf wollen. Ja wir sehen euch, als Menschen mit einem Namen, einer Geschichte, einer Kultur, einer Tradition. Wir sehen euch und wollen mit euch ein Stück Weg gehen.

Ich begrüße es sehr, dass der Ministerpräsident unseres Bundeslandes zu einem „Flüchtlingsgipfel“ im Oktober eingeladen hat. Die Einladung dazu werden die Kirchen gerne annehmen und ihren Beitrag zu einer Kultur des Miteinanders leisten. Die Besonnenheit, die Gott uns in seinem Geist schenkt, ruft uns auch zum Mitwirken und Mitgestalten bei diesen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen auf.

„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“
Liebe:

Das innere Zentrum der Kraft und der Besonnenheit ist die Liebe. Gottes Liebe baut eine Brücke zu allen Menschen. Sie müssen Sie nur betreten. Gott baut eine Brücke zwischen den Kulturen. Er ist interkulturell und entzieht sich unserem Besitzanspruch. Die christliche Gemeinde sieht in seiner Offenbarung in Jesus Christus und im Heiligen Geist den Herzschlag seiner Liebe. Er gibt uns immer wieder die Kraft, den Geist der Liebe unter uns zur Entfaltung zu bringen.

Nächstenliebe und Solidarität üben wir nicht nach Kassenlage oder Befindlichkeit. Es ist ganz einfach: Wer in der Liebe ist, der ist in Gott und Gott in ihm. So wissen wir das aus der Heiligen Schrift und nicht anders.

Die Liebe braucht nicht das große Pathos. Manchmal kommt sie in kleinen Schritten, wie in dem Beispiel der Frau, das ich zu Anfang erzählte.

Beim Kirchentag im nächsten Jahr wird unsere Landeskirche in Württemberg ein regionales Thema einbringen: Stuttgarts Reichtum! Nein, dabei denken wir dieses Mal nicht an die berühmten, weltbekannten Firmen, die auch zum materiellen Wohlstand in dieser Region beitragen. Wir denken an die Menschen verschiedener Herkunft, Kultur und Religion hier in Stuttgart. In Stuttgart werden mehr als 120 verschiedene Sprachen gesprochen, die Menschen kommen aus mehr als 170 Nationen. Wir leben in einer Stadt mit einem der höchsten prozentualen Anteile an Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund. Wir leben auch als christliche Kirchen in dieser Stadt mit vielfältigem kulturellem und nationalem Hintergrund und lernen voneinander und begegnen uns. Wir haben eine Verbundenheit mit der israelitischen Gemeinde und verbscheuen jede Form des Antisemitismus, der in dieser Stadt und in diesem Land nichts zu suchen hat. Wir begegnen im Gespräch den islamischen Repräsentanten, die unter der Entstellung ihres Glaubens durch Islamisten leiden. Und wir begrüßen es, dass die Muslime heute deutschlandweit protestiert haben gegen Hass und Unrecht. Unsere Gedanken sind in diesen Tagen bei den Christen, die auf schreckliche Weise verfolgt werden. Die christlichen Kirchen sind aufgerufen, alles dafür zu tun, dass der christliche Glaube und die Präsenz der Christen im Vorderen Orient erhalten bleiben.

Vor vielen Jahren gab es ein Buch eines Religionspädagogen. Titel: Das Menschenhaus. Ja, wir leben in diesem Menschenhaus. In verschiedenen Zimmern, verschiedenen Wohnungen, verschiedenen Wohnformen. Manchmal stehen die Türen offen und wir rufen gleichsam über die Schulter: Komm doch herein! Manchmal klingelt es vorsichtig und wir wissen nicht so richtig, wie weit wir die Tür öffnen sollen. Manchmal kommt Angst hoch und wir legen die Sicherheitskette an und befragen erst einmal genauer, wer da mich besuchen will. Manchmal gehen uns die anderen im Haus furchtbar auf die Nerven, zu laut, zu auffällig, einfach nur ätzend. Dann plötzlich feiern wir ein Nachbarschaftsfest und die Nervensäge vom 4. Stock ist doch ganz nett. Das Menschenhaus.

Sicher, wir leben in Zeiten, da ist nichts zu verharmlosen, oder schönzureden. Aber wir leben in Zeiten, in denen Gottes Geist uns Kraft, Liebe, Besonnenheit gibt. In denen wir sagen können: Lasst uns Gemeinsamkeiten finden und Unterschiede feiern! (Motto der Interkulturellen Woche)

Wir brauchen in unserer Zeit die Kraft und den Realismus des Glaubens, Gottes Geist, damit wir nicht den Geistern und Dämonen dieser Zeit verfallen. Damit wir nicht den Glauben zum Vehikel unserer Machtbesessenheit und Gewalt machen.

Womit wir wieder am Anfang wären:

„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“

Amen.