Adventsandacht im Konrad Adenauer Haus

Vorfreude ist die schönste Freude, heißt es in einem Sprichwort. Und ein interaktives Onlinelexikon weiß zu berichten: „Die Vorfreude ist eine Emotion, die durch die Erwartung eines künftigen, positiven Ereignisses gekennzeichnet ist. Sie wird durch das Eintreffen dieses Ereignisses beendet.“

Worauf freuen Sie sich? Auf ein Weihnachtsfest mit Menschen, die Ihnen wichtig sind? Auf ein paar ruhigere Tage zwischen den Jahren? Auf den Jahreswechsel, der die Chance bietet, Dinge nochmal neu anzugehen und sich selbst zu ändern? Oder vielleicht auf etwas ganz anderes? Als Christen leben wir gerade in der Zeit der Vorfreude par excellence: in der Zeit des Advents, des Wartens auf das Kommen Christi.

Warten macht nicht immer froh. Ich denke an volle Wartezimmer beim Arzt oder an die bangen Gefühle von Menschen, die um die Probleme ihres Arbeitgebers wissen und abwarten, ob ihr Job noch sicher ist. Aber es gibt auch dieses Warten: die aufgeregten letzten Minuten eines Verliebten bevor der oder die Geliebte endlich eintrifft, die Zeit eines alten Menschen am Bahnsteig, der einen Freund, den er viele Jahre nicht gesehen hat, vom Zug abholt, oder das Warten eines Kindes auf Weihnachten.

Auch Maria musste warten – warten auf die Geburt ihres besonderen Kindes. Voller Vorfreude ging sie zu ihrer Verwandten Elisabeth. Diese erwartete ebenfalls ein Kind, ihr erstes. Der Sohn der Elisabeth wurde später bekannt als Johannes der Täufer. Und dieser Johannes war auch ein Mensch voller Vorfreude und Erwartung. Er freute sich auf den Stärkeren, der nach ihm kommen sollte, auf Jesus, den er im Jordan taufen durfte.

Als Maria zu Elisabeth kam, war ihre Vorfreude so groß, dass sie sang. Ein Lied, das Sie gerade in der Lesung gehört haben: den Lobgesang der Maria. In diesem Lied besingt Maria ihre eigene Niedrigkeit, die Gott angesehen habe. Das mag uns fremd sein. Niedrigkeit ist etwas, das wir verbergen wollen. Wir wollen nicht in unserer Niedrigkeit gesehen werden. Wir wollen so angesehen werden, wie wir uns selbst am liebsten sehen: erfolgreich, stark und schön. Doch Gott schaut hin, schaut tiefer, bis zu Marias und bis zu unserer Niedrigkeit. Bis dorthin, wo wir nicht hinschauen wollen. Martin Luther beschrieb Gottes Hinsehen so: „Die Menschenaugen sehen nur über sich, sie wollen hochfahren. Aber Gottes Augen sehen in die Tiefe, nicht in die Höhe, und je tiefer jemand unten ist, desto besser sieht ihn Gott.

Als Menschen sind wir auch dann im Blick Gottes, wenn die Gesellschaft ihren Blick von uns abwendet. Viele Ruheständler kennen das Phänomen: Vor wenigen Jahren war die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit noch auf sie gerichtet. Jetzt sind sie aus dem Blick geraten. Mit dem Ende eines Mandates geht auch häufig das Interesse an der Person des Mandatsträgers verloren. Wie gut ist da zu wissen, dass wir nie aus Gottes Blick geraten werden.

Und als Menschen, die im Blick Gottes sind, dürfen wir auch mutig in die Zukunft schauen, einen Ausblick wagen, der mit Hoffnung verbunden ist. Hoffnungsvoll schaute auch Maria in die Zukunft, mit der Erwartung einer Zeit, in der man sie selig preisen würde - einer Zeit, in der sich Menschen daran erinnern würden, welches große Werk Gott an ihr vollbracht hat – aber nicht nur für sie, sondern für alle Menschen. Denn es würde auch die Zeit sein, in der die sozialen Verhältnisse umgekehrt wären: Hungrige sollten satt sein und Gewalttätige an Einfluss verlieren. Maria sehnte sich diese Zeit herbei, und erlebte sie schon in ihrer Vorfreude.

Im Advent leben auch wir in einer Zeit der Hoffnung, der Hoffnung auf eine bessere Welt. Auch für uns ist diese verheißene Zukunft noch nicht angebrochen. Noch immer bestimmen Diktatoren die Weltpolitik mit, noch immer sterben Menschen an Hunger und Durst. Umso mehr gilt es, die Hoffnung und Vorfreude auf Veränderung wachzuhalten. Hoffnung und Vorfreude vertrösten nicht, sondern bestärken uns darin, diese Welt mitzugestalten. Maria war keine Träumerin, sondern eine tatkräftige Frau, die nicht nur sich selbst, sondern auch die Situation anderer Menschen im Blick hatte. Und ihre Vorfreude war eine Freude, die über die Beschreibung der Vorfreude aus dem Internet weit hinausgeht. Dort heißt es: „Sie [also die Vorfreude] wird durch das Eintreffen [… des] Ereignisses beendet.“

Die Geburt Jesu ist kein Ereignis, mit dem die Vorfreude an ihr Ende kommt. Die Geburt eines Kindes gibt Anlass zu immer weiterer Vorfreude. Und die Geburt Jesu gibt uns jedes Jahr wieder neuen Anlass der Vorfreude auf eine Welt, in der sich die Gerechtigkeit durchsetzt. Mit der Ankunft Jesu hat sich die Welt verändert und sie verändert sich auch weiterhin. Lasst uns die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden wachhalten und uns freuen, dass wir wissen, Gott ist auf dem Weg zu uns. Amen