Wie ein Riss in einer hohen Mauer

Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, EKD-Texte 100 (2., um den Anhang erweiterte Auflage), 2009

VI. „Brich dem Hungrigen dein Brot ... Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten“

Gerade in der Krise können die biblischen Einsichten in die Verführbarkeit und Schuldverstrickung der Menschen, die Erzählungen von Zerstörung und Umbruch, aber auch die Botschaft von Errettung und Heilung Orientierung geben. Die Heilige Schrift macht deutlich: Wer sein Vertrauen auf Gott setzt, hat gute Aussichten, in Krisen standzuhalten. Gottvertrauen meint dabei eine Lebenseinstellung, wie Dietrich Bonhoeffer sie 1942 beschrieben hat:

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. ... In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Niemand weiß heute, was die globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise noch bringen wird, was an Bewahrung und was an Unglück sie für uns bereithält. Wer sein Vertrauen auf Gott setzt, der wird in allem, im Glück und im Unglück, Gott begegnen und seinen Geboten folgen. Die großen Verheißungen der Heiligen Schrift ermutigen dazu, dieses Gottvertrauen zu erlernen und im Bemühen um Gerechtigkeit einzuüben. Einer dieser Hoffnungstexte steht – ebenso wie das Wort vom Riss in der hohen Mauer – im Buch des Propheten Jesaja (58, 7-12). Auch wenn die beiden Texte sehr unterschiedlichen Zeiten entstammen, gehören sie inhaltlich zusammen: wie Krise und Chance, wie Umkehr und Rettung. Auch das prophetische Wort von dem Land und dem Volk, die wieder aufgerichtet werden, um zu sein „wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt“, hat sich nicht erledigt, sondern geht mit dem Volk Gottes durch die Zeiten. Im Vertrauen auf Gott dürfen wir es auch auf unsere krisenhafte Lage und auf unsere Zukunft beziehen:

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken, und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vor Zeiten gegründet ward.“

• Jesaja 58, 7 ff.

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