Fern der Heimat: Kirche - Urlaubs-Seelsorge im Wandel

VI. Die Folgen gelingenden kirchlichen Handelns an Urlaubsorten

1. Der doppelte Gewinn durch die Urlauberarbeit für die Gemeinden an Urlaubsorten

Die geschilderten missionarischen Möglichkeiten an Urlaubsorten beinhalten auch die Pflicht, dieses Potential zu nutzen. Gemeinden, die sich als gastfreundliche Gemeinden verstehen, profitieren in doppelter Weise, spirituell und finanziell:

a) Der spirituelle Zugewinn

Die Teilnahme von Urlaubern an Gottesdiensten und andere Gemeindeveranstaltungen verändert deren Charakter grundlegend. Denn zum einen prägt die Stimmung der Urlauber den Gottesdienst. Und zum anderen werden Gottesdienste zu einem ganz anderen Erlebnis, wenn z.B. statt 20 nun 200 Gottesdienstbesucher den Gesang anstimmen. Andere liturgische Formen werden möglich. Darüber hinaus wird durch die Urlauberarbeit das gesamte Gemeindeleben viel lebendiger, und die Gemeinde entgeht der Gefahr, um sich selbst zu kreisen. Das ist ein wichtiger spiritueller Gewinn, der sich in allen Sozialbegegnungen zeigt, in Gruppen, bei Themenabenden usw..

b) Der finanzielle Zugewinn

Urlauber tragen zur Finanzierung der Arbeit in den Gemeinden bei, sei es in den Kollekten oder durch Gebühren oder Spenden für Amtshandlungen. Die Erfahrung vieler Pfarrerinnen und Pfarrer an Urlaubsorten zeigt, dass sich die Großzügigkeit im Urlaub gegenüber der Kirche bemerkbar macht. So sind an den etablierten Orten Kollekten während der Saison über € 250 pro Gottesdienst keine Seltenheit. Eine andere bereits mit großem Erfolg praktizierte Möglichkeit besteht darin, geführte Wanderungen anzubieten (die auch geistliche Impulse enthalten) und dafür Beiträge zu erheben. Bei Wanderungen mit bis zu 120 Teilnehmenden und 5 € Beitrag (inkl. Mittagessen) wie sie auf Gran Canaria regelmäßig stattfinden, ergeben sich schnell einträgliche Summen. An allen Orten in Südeuropa werden für Amtshandlungen Gebühren erhoben, oder es wird um eine entsprechende Spende gebeten. Auch so lassen sich Einnahmen erzielen, um die Arbeit in den Gemeinden in Südeuropa mitzufinanzieren. Das ist angesichts knapper werdender Kirchensteuern eine wertvolle Möglichkeit, die Arbeit vor Ort weiterhin zu gestalten. Auch in dieser Hinsicht ermöglichen die Gemeinden in Südeuropa Spielraum, alternative Modelle der Finanzierung zu erproben. Denn in absehbarer Zukunft werden von der EKD aus theologischen und finanziellen Gründen nur noch Gemeinden im Ausland finanziert und unterstützt werden können, die sich öffnen, die gastfreundlich und missionarisch sind.

2. Der doppelte Gewinn für die Gemeinden in Deutschland

Die Begegnung mit Kirche am Urlaubsort hat vielfältige Rückwirkungen auf die Gemeinden in Deutschland. Denn kirchliche Arbeit an den Urlaubsorten Südeuropas ist nur unter geographischen Gesichtspunkten Arbeit im Ausland. Es ist ein „volksmissionarischer Einsatz, der nur deshalb im Ausland stattfindet, weil die Gelegenheit hier gut ist“ [68]. Wenn Menschen Kirche als einladende, lebendige und gastfreundliche Kirche erfahren, wenn sie das Gespräch mit einem Pastor oder mit der Gemeinde auf ungezwungene Weise suchen können, wenn sie punktuell am Gemeindeleben teilnehmen, wenn sie Segen erfahren für den weiteren Weg, wenn sie sich in ihrer Lage verstanden fühlen, wenn eine Gottesbegegnung gelingt, bleibt das nicht ohne Folgen für das Verhältnis der Menschen zur Kirche und zur Gemeinde am Heimatort. Diese erfahren durch kirchliches Handeln an Urlaubsorten einen doppelten Gewinn:

a) Ein neues Image von Kirche

Als Image lässt sich die komplexe Gesamtheit von Gefühlen, Einstellungen und Wissen – auch unbewusster Art – verstehen, die mit dem Meinungsgegenstand, also in diesem Fall der Kirche, verbunden sind. Auf entscheidende Weise mit prägend sind dabei nicht nur objektive Feststellungen, sondern oft mehr die Wirkungen, Bilder, Eindrücke und Gefühle, die „Kirche“ hervorruft. Bei vielen Menschen mischen sich so eigene Erfahrungen (gute und schlechte, auch oft lange zurückliegende und neuere) mit den Erzählungen anderer und dem Auftreten von Kirche in der Öffentlichkeit und den Medien.

Die Teilnehmer von Gottesdiensten am Urlaubsort lernen Gottesdienste anderer Art kennen: Er ist niederschwellig, angesichts der Teilnehmenden ökumenisch, mit eindrücklicher Liturgie, mit anderen Liedern, mit Musik, welche die Seele anrührt, mit einer Verkündigung in einer lebensnahen Sprache, Gottesdienste in neuen Formen und an ungewohnten Orten, Gottesdienste, die die Lebenssituation der Menschen ernst nehmen und sich von der Atmosphäre der Orte inspirieren lassen. Solche Gottesdienste wirken in ihrer ganzen Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit auf den Menschen und prägen so in bewusster und unbewusster Weise ein für viele Menschen neues Bild des Gottesdienstes. Auf kognitiver Ebene zeigt sich Kirche mit solchen Gottesdiensten überraschend anders als es viele Menschen erwarten, wobei sich überholte Bilder oft lange im Bewusstsein der Menschen halten. Auch auf emotionaler Ebene sprechen solche Gottesdienste die Menschen an und berühren sie. Das ist umso wichtiger angesichts der Erkenntnis der Kommunikationsforschung, dass das gesamte komplexe kognitive und emotionale Erleben das Image von Kirche prägt.

Die beschriebenen Gottesdienste berühren die Menschen und ermöglichen so eine Gottesbegegnung, sie wecken den „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ (Schleiermacher). Kirche wird neu erlebt. Sie hat im Erfahren der Nähe Gottes zu uns Menschen das zum Mittelpunkt, was Kirche als Gemeinschaft der Heiligen auszeichnet und den „Markenkern“ der Kirche ausmacht.

Auch das Kirchenbild verändert sich: Die Urlauber lernen eine Kirche kennen, die bewusst in die Öffentlichkeit geht und für ihre Veranstaltungen wirbt, die ihr Profil gegenüber der religiösen Majorität des Gastlandes herausstellen muss, die dabei gastfreundlich ist, die aus Gliedern besteht, die hier oder an anderen Orten die Arbeit mittragen und solchen, die nur punktuell am Leben der Gemeinde teilnehmen. Zugleich ist zu bedenken, dass an Urlaubsorten sehr unterschiedliche Frömmigkeitsformen zusammentreffen, die die Pluralität innerhalb und außerhalb der Volkskirche repräsentieren und Konfessionsgrenzen überschreitet. Bei der Begegnung mit Kirche am Urlaubsort lernen die Menschen eine andere Seite von Kirche kennen und das Kirchenbild erfährt so eine bewusste Veränderung, alte Vorurteile können abgebaut werden – kurz: die Kirche gewinnt ein neues Image bei den Menschen.

b) Mitgehende Kirche wird erfahren

Es bleibt für das Verhältnis der Menschen zur Kirche nicht ohne Folgen, dass sich Kirche als Kirche am Urlaubsort an einer Schwellensituation als verlässlich erwiesen und die Schwellen gestaltet hat sowie den Menschen gegenüber in lebensnahen Formen gastfreundlich gewesen ist. Hier kann Kirche das oft vorhandene Image der Verlässlichkeit stärken und untermauern.

Kirche kommt auf diese Weise den Menschen nahe, denn „,kirchenfern’ sind die Menschen meist deshalb, weil die Kirche ihnen nicht nahegekommen ist!“ [69] Bei den Menschen verändert sich das Bild von Kirche und sie können so – unverbindlich – (wieder) in Kontakt mit Kirche treten, ohne sich Blicken von anderen auszusetzen oder fürchten zu müssen, gleich vereinnahmt zu werden.

Schließlich ist nicht zu vergessen, dass die positiven Erfahrungen mit Kirche im Urlaub auch zu Hause erzählt werden, denn „Ferienmenschen haben ein legitimes Interesse an erzählbaren Urlaubserlebnissen“ [70]. Dabei gilt in der Tourismusbranche Mundwerbung als die effektivste Form der Werbung, denn sie beinhaltet konkrete Informationen aufgrund tatsächlicher Erfahrungen, stammt von Freunden oder Bekannten, denen man vertraut und ist deshalb glaubwürdiger als jede andere Form der Marketing-Kommunikation [71]. Die positiven Erfahrungen mit Kirche wirken eben auch auf das Umfeld der Menschen. Da ein Image durch eigene und übermittelte Informationen und den damit auch verbunden Wertungen entsteht, ist dies eine Ebene, die nicht unterschätzt werden darf.

Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang das Bild von Kirche in den Medien in Deutschland, die über die Aktivitäten von Kirche an den Urlaubsorten im Süden ausnahmslos positiv berichten, sei es auf Gran Canaria oder in Alanya, ganz zu schweigen von der Presse an den Urlaubsorten, die auch von Urlaubern gelesen wird. Jede Begegnung mit Kirche prägt das Image von Kirche. Umso wichtiger ist es also, sich dieser Außenwirkung bewusst zu sein und sie zu nutzen.

Punktuell gute geistliche Erlebnisse mit der Kirche im Urlaub sind also ein doppelter Gewinn für die ganze Kirche. Bekehrungswunder oder Wiedereintrittswellen zu erwarten, ist zweifelsohne übertrieben. Aber eine „gute Kundenbindung“ gelingt nur über gute Erfahrungen und eine anschließende unaufdringlich angebotene Kommunikation. Möglich wäre dies, wenn man mit der Form einer „situativen Gemeindebefragung“ arbeitet, nicht nur um die Beurteilung eines bestimmten Angebotes zu erreichen, sondern auch um Heimatadressen zu erhalten mit dem Ziel, ein Anschlussangebot in der Heimatsituation verfolgen zu können um so eine Nachhaltigkeit der Begegnung mit Kirche im Urlaub auch im Alltag zu ermöglichen. Dieses spezielle Anknüpfungsangebot sollte aber nicht gleich mit Kerngemeindeangeboten oder Kircheneintrittsforderungen aufwarten. Ebenso sind die Möglichkeiten zur Kontakt- und damit auch Beziehungspflege im Hinblick auf die Urlauber zu prüfen und zu nutzen, wie es an manchen Orten bereits praktiziert wird: Erhalt des Gemeindebriefes auch in Deutschland oder ein Weihnachtsrundbrief der Urlaubsgemeinde als Lichtblick in der dunklen Jahreszeit. Hier ist die Kooperation der Auslandsgemeinden mit den Landeskirchen ausbaufähig. Auch Gemeinden in Deutschland sollten Angebote überlegen, welche den Urlaub rahmen, wie z.B. ein Reisesegen zu Beginn oder ein Fest zur Wiedereingliederung in den Alltag am Ende der Sommerferien.

EKD-Text 82 (pdf)

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