Fern der Heimat: Kirche - Urlaubs-Seelsorge im Wandel

VIII. Fern der Heimat: Die Kompetenzen einer Tourismuspfarrerin/eines Tourismuspfarrers

Alle pastoralen Fähigkeiten, die jede Pfarrerin/jeder Pfarrer haben sollte, sind an Urlaubsorten in besonderer Weise gefragt. Diese müssen sich auf diesem anspruchsvollen Arbeitsfeld und in einem besonderen Umfeld bewähren und konkretisieren. Die Kompetenzen eines Tourismuspfarrers oder -pfarrerin unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen einer Gemeindepfarrerin, eines Gemeindepfarrers, stehen jedoch unter einem erhöhten Anforderungsdruck und müssen souverän gehandhabt werden.

1. Geistliche Kompetenz

Zur geistlichen Kompetenz gehört an Urlaubsorten ein liturgisches Gespür, welche Form den Bedürfnissen den Touristen angemessen ist und an welchen Zeiten und Orten sich Atmosphäre verdichtet und somit eine Begegnung mit dem Heiligen entstehen kann. Die kirchlichen Angebote müssen sich von Animationsangeboten der Tourismusanbieter unterscheiden und das kirchliche Profil deutlich machen. Kirche am Urlaubsort soll erkennbar evangelisch sein. Deshalb ist es notwendig, über den Rahmen des Hergebrachten hinauszudenken und neue Formen zu gestalten, die dem Urlaub als Kasus Rechnung tragen.

2. Handlungskompetenz

Handlungskompetenz ist die Fähigkeit, sich in unterschiedlichen Situationen sachgerecht, durchdacht und verantwortungsvoll zu verhalten. Die Pfarrerin/der Pfarrer am Urlaubsort ist Grenzgänger/in und Grenzenlöser/in zwischen Residenten und Touristen, aber auch zwischen den Gruppen einer Ortsgemeinde, die z.T. recht weit verstreut leben. Hier müssen Pfarrerinnen und Pfarrer vermitteln, Grenzen auflösen und Zusammengehörendes miteinander verbinden. Diese Prozesse erfordern gemeindepädagogisches Geschick, um die Gemeindegruppen zusammenzuführen und zu halten, aber auch um auf die Kerngemeinde hinzuwirken, dass sie sich als gastfreundliche Gemeinde versteht.

Kreativität, Aufgeschlossenheit, Ideenreichtum, Organisationsfähigkeit und Eigeninitiative sind gefragt, um neue Formen der Verkündigung zu entwickeln und zu erproben. Zugleich erfordert die Situation der „Schwelle“ ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen um zu erspüren, was die Menschen bewegt.

Die Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit zu kennen und zu beherrschen, ist notwendig. Denn die Pfarrerin/der Pfarrer benötigen Mut und Geschick, in die Öffentlichkeit zu treten und Interesse zu wecken, Kontakte in die vielfältigen Bereiche des Tourismus’ und der Medien knüpfen und pflegen und Werbung für die eigenen Angebote zu machen.

3. Sozialkompetenz

Allgemein bezeichnet Sozialkompetenz engagierte Gestaltungsbereitschaft und dafür individuelle Handlungsziele mit den Einstellungen und Werten einer Gruppe zu verknüpfen.
Kirchliches Handeln an Urlaubsorten in Südeuropa findet in besonderem Maße in der Spannung von Angebots- und Betreuungskirche statt. Überdurchschnittliche Sprachfähigkeit sowie Sensibilität gegenüber den Menschen und das, was sie bewegt, sind dafür wichtige persönliche Grundvoraussetzungen. Es gilt, die beiden Arbeitsbereiche Ortsgemeinde und Tourismus miteinander zu verbinden. Das ist eine Gratwanderung, die neben einer besonderen Balance auch Konfliktfähigkeit und Belastbarkeit erfordert. Es ist wichtig, Grenzen zu ziehen gegenüber den Betreuungsansprüchen der Residentengemeinde aber auch, sich auf das, was Urlauber und Residenten in ihrer unterschiedlichen Situation bewegt, einzulassen um seelsorgerlich tätig zu sein.

4. Interkulturelle Kompetenz

Kirchliches Handeln an Urlaubsorten Ausland findet in einem fremden Kontext statt. Dafür sind Kommunikations- und Handlungsfähigkeit in kulturellen Überschneidungssituationen grundlegend. Die Institutionen, Einrichtungen und Menschen, mit denen in unterschiedlicher Weise zusammen zu arbeiten ist, unterscheiden sich sehr in Sprache, Lebensstil, Kultur, Religion bzw. Konfession von dem aus Deutschland Gewohnten. Mit Blick auf die Ökumene und die Öffentlichkeit des Gastlandes ist es unabdingbar, als evangelische Kirche Profil zu zeigen und zugleich auch Grenzen zu überwinden und die Türen zu öffnen. Dazu gehören klares theologisches Reflexionsvermögen, Selbstbewusstsein und Fingerspitzengefühl, aber auch die Fähigkeit, „zwischen den Zeilen zu lesen“, und sich reflektiert auf ein fremdes Umfeld einzulassen.

5. Persönlichkeitskompetenz

Um in diesem weitgefächerten und vielschichtigen Arbeitsfeld die Übersicht und Balance nicht zu verlieren, ist es unerlässlich und erforderlich, Leitungssouveränität, Selbstbewusstsein, innere Ruhe und Fähigkeit zur Selbstreflexion zu besitzen. Pfarrerinnen und Pfarrer an Urlaubsorten müssen sich der Pfarrerzentrierung der Gemeinde bewusst sein. Es besteht am Urlaubsort keine Möglichkeit auf verlässliche Strukturen zurückzugreifen, sondern die Strukturen müssen von der Pfarrerin/dem Pfarrer selbst hergestellt und erhalten werden. Zugleich erfordert diese äußerst selbständige Arbeit die Fähigkeit zur Koordination, Selbstorganisation und zur bewussten Prioritätensetzung.

Aus den geschilderten Kompetenzen lässt sich ersehen, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer an Urlaubsorten im hohen Maß Kompetenzen weiterentwickeln können, die für kirchliches Handeln zentral sind. Die im Ausland erworbenen Fähigkeiten sind in vielfältiger Hinsicht ein Gewinn für Gemeinden und Landeskirchen, die die Pfarrerin/ den Pfarrer nach der Zeit im Ausland wieder aufnehmen. Sie sollten in City-Kirchen, zentralen Dorfkirchen, Profilkirchen usw. fruchtbar gemacht werden.

EKD-Text 82 (pdf)

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