Verbindlich leben

Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Votum des Rates der EKD zur Stärkung evangelischer Spiritualität, EKD-Texte 88, 2007

3. Der Dienst der Kirche an Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften

a) Wahrnehmen – Kontakt suchen – Anteil nehmen

Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen einerseits wie die Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften andererseits sind angewiesen auf Kontakte, Gespräche und Begegnungen, um ein gutes, fruchtbares Verhältnis zu entwickeln und zu erhalten.

Deshalb beruft der Rat der EKD (seit 1979) einen „Beauftragten für den Kontakt mit Kommunitäten, Schwestern- und Bruderschaften“. Er nimmt seinen Auftrag wahr durch Besuche einzelner Gemeinschaften, aber auch durch Teilnahme an der „Konferenz evangelischer Kommunitäten“ (KevK) (seit 1978) und am „Treffen geistlicher Gemeinschaften“ (TGG) (seit 2003) sowie weiteren regionalen und überregionalen Zusammenkünften (z.B. „Weggemeinschaft Spiritualität und Ökumene im Kloster Neresheim“). Hier wie da versucht er durch Gespräche, Vorträge, Predigten und Rundbriefe gegenseitiges Verstehen und Vertrauen zu fördern und nach Möglichkeit in Schwierigkeiten zu raten und zu helfen. Er pflegt auch den Kontakt mit den Leitungen der Gliedkirchen, deren Bemühungen er bestenfalls unterstützen und ergänzen, aber nicht ersetzen kann.

In den einzelnen Landeskirchen wird der Kontakt auf verschiedene Weise gepflegt. In manchen Kirchen lädt der Bischof die für die Leitung der Gemeinschaften Verantwortlichen jährlich zu einer gemeinsamen Tagung ein. In anderen Kirchen kommen Gesprächskreise von Vertretern einer Gemeinschaft und der Landeskirche regelmäßig zusammen. Manche Gemeinschaften, die in mehreren Landeskirchen vertreten sind (z.B. die Evangelische Michaelsbruderschaft), erbitten sich vom Rat der EKD einen bischöflichen „Kurator“. Bei anderen Gemeinschaften ist zu bedenken, dass sie über ihren Entstehungsort hinaus inzwischen weitere Konvente in mehreren Landeskirchen haben. Hier wie da geht es um gegenseitige Anteilnahme, um gegenseitiges Verstehen und Vertrauen und auf dieser Grundlage um Möglichkeiten der Zusammenarbeit und auch um die Klärung entstandener Probleme. Wo Vertrauen gewachsen ist, können auch wechselseitige kritische Anfragen erörtert werden.

Auf diese Weise bemühen sich die Kirchen, ihren Auftrag wahrzunehmen, darüber zu wachen, dass das Evangelium gemäß Schrift und Bekenntnis bezeugt wird, dass der Auftrag der Kirche in der Gesellschaft erfüllt wird und dabei die Einheit der Kirche gewahrt und gefördert wird. Dieser Auftrag gilt im Blick auf Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften ebenso wie im Blick auf Kirchengemeinden, kirchliche Dienste und Einrichtungen.

b) Anerkennen – Freiraum gewähren – Fördern

Bei allen Begegnungen der Kirchen mit Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften geht es auch um ihre Anerkennung als eine „Sozialgestalt“ der Kirche. Sie bestehen als eine Lebensform der Kirche unter anderen, neben, aber auch in Kirchengemeinden, kirchlichen Diensten und Einrichtungen. Der seit Jahren stattfindende „Lernprozess Kirche in den evangelischen Kommunitäten“ wie auch der entsprechende „Lernprozess Kommunitäten in der evangelischen Kirche“ (J. Halkenhäuser) ist keineswegs abgeschlossen. Die gegenwärtige, vor allem die zukünftige Bedeutung der verschiedenartigen – eher diakonisch, seelsorglich, missionarisch oder ökumenisch ausgerichteten – Gemeinschaften wird vielerorts noch nicht erkannt geschweige denn in Anspruch genommen. Hier und da gibt es Unklarheiten, Berührungsängste oder auch unfruchtbares Konkurrenzdenken zwischen Kirchengemeinden und geistlichen Gemeinschaften, besonders wenn die Grenzen fließend werden und geistliche Gemeinschaften gemeindeähnliche Strukturen annehmen.

Darum ist es wichtig, dass – nach einer offenen Anfangsphase – Gespräche über eine Anerkennung der geistlichen Gemeinschaft durch die Kirchenleitung geführt werden. Eine solche formelle Anerkennung sollte in der Regel durch einen leitenden Geistlichen ausgesprochen werden, in einem Fall hat die Landessynode einen entsprechenden Beschluss gefasst. Als Grundkriterien können gelten

  • Orientierung an Schrift und Bekenntnis
  • Regelung für öffentliche Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung.

Als weitere Kriterien kommen hinzu:

  • Mitteilung der Verbindlichkeiten, ggf. der Regel
  • Mindestdauer des Bestehens (5 Jahre)
  • Mindestzahl (7 Personen)
  • Mehrheit evangelischer Mitglieder
  • Zugehörigkeit zur Konferenz evangelischer Kommunitäten (KevK),
  • zum Treffen geistlicher Gemeinschaften (TGG) oder
  • zu einem der Diakonissen- und Diakonenverbände
  • Bereitschaft zu regelmäßigen Besuchen durch den Beauftragten der Kirchenleitung.

Aufgrund dieser Kriterien sollte eine Anerkennung durch die Landeskirchen erfolgen oder in Abstimmung mit ihnen durch die EKD, so dass die EKD die Gemeinschaften in eine offizielle Liste aufnehmen kann, die allgemein zugänglich gemacht wird.

Erstes Ziel der Anerkennung ist die Gewährung eines angemessenen Freiraumes für die Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften – für die Gestaltung ihres Gottesdienstes, ihres gemeinsamen Lebens und ihrer seelsorglichen, diakonischen, missionarischen und ökumenischen Dienste. Selbstverständlich können sich bei all dem Grenzen zeigen, die im vertrauensvollen Gespräch geklärt werden müssen.

Zwischen Kirche bzw. Kirchengemeinde und geistlicher Gemeinschaft ist Arbeitsteilung und Zusammenarbeit wünschenswert, bis hin zur Übernahme gemeindlicher und kirchlicher Aufgaben durch eine Kommunität. Dafür sollten Landeskirchen auf verschiedene Weise administrative Unterstützung gewähren. Unabhängig davon ist neben ideeller Unterstützung auch materielle Förderung der Gemeinschaften (in Form von Grundstücken, Häusern, Amtshilfe bei der Beantragung öffentlicher Gelder u.a.) durch die Landeskirche zukunftsweisend.

c) Rechtliche Regelungen suchen und Vereinbarungen schließen

Das Verhältnis der geistlichen Gemeinschaften und Kommunitäten zu den Landeskirchen bedarf in mancher Hinsicht der rechtlichen Klärung. Sie gelten meist als sogenanntes „freies Werk“ innerhalb der Landeskirche. Sie haben meist die Rechtsform des eingetragenen Vereins (e.V.) gewählt und sind als solche oft Mitglied des Diakonischen Werkes einer Landeskirche bzw. sogar, wie viele Diakonissen- und Diakonen-Häuser, dem Diakonischen Werk der EKD eingegliedert. Anderen Gemeinschaften ist eine Stiftung oder ein Freundeskreis als eingetragener Verein zugeordnet. Die evangelischen Stifte und Klöster sind in der Regel öffentlich-rechtliche Stiftungen. Hier und da bestehen rechtsförmige Vereinbarungen zwischen Landeskirche und Kommunität, vor allem über finanzielle Zuwendungen für bestimmte Arbeitszweige und Projekte. Nur eine geistliche Gemeinschaft ist in der Verfassung einer Landeskirche verankert (das Evangelisch-lutherische Kloster Amelungsborn in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers). Andere Gemeinschaften, die bewusst auf finanzielle Unterstützung verzichten (wie die Evangelische Marienschwesternschaft), suchen eine solche Verankerung nicht.

Unabhängig davon bedürfen einige Einzelfragen der rechtlichen Klärung, die in den Landeskirchen und bei den Gemeinschaften ihrer Eigenart entsprechend geregelt sind: Einer sorgfältigen Klärung bedarf vor allem die Frage der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung, vor allem, wenn die geistliche Gemeinschaft zu öffentlichen Gottesdiensten einlädt, eventuell auch um Taufen, Trauungen und Beerdigungen gebeten wird. Manchen Gemeinschaften, vor allem den „klassischen“ Diakonissen- und Diakonenhäusern, wird von der Landeskirche ein Pfarrer oder eine Pfarrerin zugewiesen. Andere laden benachbarte und befreundete Pfarrer für den Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen ein, wieder andere haben eine landeskirchliche Anerkennung ihrer leitenden Schwestern oder Brüder nach Maßgabe der Prädikanten oder der Prediger landeskirchlicher Gemeinschaften erhalten. Wieder andere haben ordinierte Pfarrer und Pfarrerinnen in ihrer Gemeinschaft. Liegen alle diese Möglichkeiten nicht vor, bleibt zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen den leitenden Mitgliedern der Gemeinschaften eine Ordination bzw. eine Beauftragung erteilt werden kann.

Besonders wichtig, freilich auch besonders empfindlich für geistliche Gemeinschaften und Kommunitäten ist die Frage der Visitation, also mehr oder weniger regelmäßiger Besuche durch Beauftragte der jeweiligen Kirchenleitung oder durch den Beauftragten des Rates der EKD. Die Visitation soll der Vertrauensbildung auf beiden Seiten, der Wahrnehmung von Entwicklungen, der gegenseitigen Anregung und der Korrektur von Fehlentwicklungen dienen. In besonderen Fällen sollten auch leitende Mitglieder befreundeter Kommunitäten und Orden zu Rate gezogen werden.

In einer Reihe evangelischer Kommunitäten leben Mitglieder anderer Kirchen (Freikirchen, katholische Kirche u.a.) oder auch aus der evangelischen Kirche Ausgetretene. Wichtige Fragen wie Abendmahlsgemeinschaft und seelsorgliche Begleitung dürften in absehbarer Zukunft rechtlich nicht zu klären sein. Die evangelische Kirche begrüßt diese Form geistlicher Ökumene, bittet aber die Beteiligten, Gespräche mit den betreffenden Kirchenleitungen über seelsorgliche Lösungen für diese Fälle nicht aus den Augen zu verlieren. Darüber hinaus sind auch die ökumenischen Gemeinschaften bzw. die katholischen Gemeinschaften mit evangelischen Mitgliedern gebeten, den entsprechenden Kontakt ihrer evangelischen Mitglieder zur evangelischen Kirche zu fördern.

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