Verbindlich leben

Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Votum des Rates der EKD zur Stärkung evangelischer Spiritualität, EKD-Texte 88, 2007

4. Perspektiven

Im November 1990 hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland nach einem Bericht des damaligen Beauftragten des Rates für Kommunitäten, Schwestern- und Bruderschaften und den kommunitären Gemeinschaften gedankt „für den Dienst, den sie zeichenhaft für die ganze Kirche tun". Sie hat damit die Bitte verbunden, „die Kommunitäten mögen sich weiterhin als Teil der größeren kirchlichen Gemeinschaft betrachten, den Austausch mit Gemeinden und Gruppen pflegen, interessierten, suchenden und beladenen Menschen einen Ort zum Aufatmen gewähren, den Dienst der Fürbitte für Kirche und Welt in Treue wahrnehmen und die Erinnerung an die ökumenische Weite der christlichen Berufung wach halten.“ Gleichzeitig hat sie die Gliedkirchen gebeten, „auch zukünftig den kommunitären Gemeinschaften ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.“

Ganz auf dieser Linie liegt der Wunsch des Rates der EKD, dass sich die Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften als eine legitime Sozialgestalt der Kirche verstehen. Sie sollten Kontakt suchen und Kommunikation pflegen mit den Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Landeskirchen, in denen sie leben, und die Begegnungen mit den Beauftragten für die Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften der Landeskirchen und dem/der Beauftragten des Rates der EKD suchen. Ebenso dringlich ist aber auch der umgekehrte Wunsch auszusprechen, dass die Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen das Gespräch mit den Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften suchen mögen. Denn solche kontinuierlichen Gespräche stärken das Vertrauen untereinander. Vertrauen und Zusammenarbeit können da entstehen, wachsen und reifen, wo gegenseitig Einblick gewährt wird, wo Anteil genommen und Anteil zu geben gewagt wird und wo regelmäßige Besuche selbstverständlich werden. Dabei geht es auch um Voraussetzungen für eine helfende Vermittlung in Auseinandersetzungen und, – wo dies wechselseitig gewünscht wird –, zur förmlichen Visitation.

Auch das Gespräch untereinander kann zum Segen aller werden. Evangelische Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften sollten Kontakte zu anderen Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften suchen bzw. stärken. Das geschwisterliche Gespräch ist eine unerlässliche Grundform evangelischer Gemeinschaften, so dass eine Mitgliedschaft in der Konferenz evangelischer Kommunitäten (KevK), am Treffen geistlicher Gemeinschaften (TGG) bzw. an den Verbänden der diakonischen Gemeinschaften (Bund Deutscher Gemeinschafts-Diakonissen-Mutterhäuser BDGDM, Deutscher Gemeinschafts-Diakonieverband GmbH und e.V. DGD, Kaiserswerther Verband deutscher Diakonissen-Mutterhäuser e.V. KVDM, Verband evangelischer Diakoninnen- und Diakonengemeinschaften in Deutschland e.V. VEDD etc.) sowie eine Teilnahme an regionalen kommunitären Vernetzungen (z.B. Weggemeinschaft Spiritualität und Ökumene im Kloster Neresheim, Christophorus, Netzwerk für Kommunitäten, Orden und Bruderschaften in Ost und West u.a.) und den internationalen Vernetzungen (z.B. Church and Peace) wichtige Schritte der gegenseitigen Vertrauensbildung sind. Die Konferenz evangelischer Kommunitäten (KevK) und das Treffen geistlicher Gemeinschaften (TGG) haben in den letzten Jahren wichtige Schritte zur Intensivierung der Gespräche untereinander unternommen und sind inzwischen auch zu einem entscheidenden Forum für die Klärung der vielfältigen Fragen und Aufgaben geworden. Ihre „Selbstverständnisse“ (siehe Anhang) sind Ausdruck dieser Entwicklung. Die Zugehörigkeit einer Kommunität bzw. einer geistlichen Gemeinschaft zu diesen Begegnungsformen ist daher außerordentlich wünschenswert.

Darüber hinaus sind Bemühungen um die Klärung kirchenrechtlicher Fragen vordringlich, besonders im Blick auf eine Ordination bzw. eine Beauftragung zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Wer kann unter welchen Voraussetzungen zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung beauftragt werden? Bei der Bearbeitung dieser Fragen sind die jeweiligen gliedkirchlichen Regelungen ebenso zu beachten wie die Bemühung der Gemeinschaft der Gliedkirchen, gemeinsame Vorstellungen zu einer ordnungsgemäßen Berufung zu entwickeln. Wünschenswert sind ebenfalls kirchenrechtliche Vereinbarungen über Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften auf der einen Seite und Landeskirchen bzw. Kirchenkreisen auf der anderen, sei es im Blick auf bestimmte Gebiete (Diakonie, Bildung, Friedensarbeit und Entwicklungshilfe) oder sei es – gemäß den Anregungen aus dem oben benannten Impulspapier ,Kirche der Freiheit` – im Blick auf bestimmte profilierte Gemeindeformen. Wo kirchenrechtliche Regelungen (noch) nicht möglich sind, z.B. bezüglich katholischer Mitglieder in evangelischen Gemeinschaften und evangelischer Mitglieder in katholischen Gemeinschaften, sind verlässliche Gesprächskontakte umso nötiger.

Der Rat der EKD hält es darüber hinaus für sinnvoll und wünschenswert, dass in jeder Gliedkirche – soweit nicht schon vorhanden – auf der Ebene der Kirchenleitung eine für den Kontakt zu den Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften zuständige Ansprechperson zu Gesprächen einlädt, zur Klärung anstehender Fragen beiträgt und die nötigen Regelungen vorantreibt. Denn nur im Rahmen solcher regelmäßigen Kontakte hat eine Entwicklung hin zu einer förmlichen Visitation Aussicht auf Erfolg. Eine angemessene Form der Visitation müsste – in freier Anlehnung an die Visitation von Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen und in Orientierung an ökumenischen Erfahrungen – erst noch entwickelt werden. Dabei ist dann auch zu prüfen, ob der Beauftragte des Rates der EKD, eventuell auch ein leitendes Mitglied einer anderen Gemeinschaft um der Vergleichbarkeit willen beteiligt werden sollte.

Zur Stärkung und Stützung all dieser Gesichtspunkte und Perspektiven wird der Rat der EKD auch weiterhin einen Beauftragten für die Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften berufen und etwa alle drei Jahre einen Bericht von diesem entgegennehmen. Der Dienst des Beauftragten kann dabei auch durch eine Arbeitsgruppe unterstützt werden, deren Mitglieder im Benehmen mit der Konferenz evangelischer Kommunitäten (KevK) und dem Treffen geistlicher Gemeinschaften (TGG) benannt werden. Allerdings sollte deutlich bewusst bleiben, dass der Beauftragte des Rates der EKD für evangelische Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften nicht auch noch die Betreuung und Begleitung der großen Zahl der Diakonissen- und Diakonenverbände bzw. -häuser übernehmen kann; hier müssten eigene Verabredungen getroffen werden.

Das Ziel all dieser Anregungen im Blick auf Kontakte und Begegnungen, Gespräche und Visitation ist eine Freigabe zur Eigenverantwortung und ein möglichst hohes Maß an gegenseitigem Verstehen und Vertrauen, um die – nicht nur förmliche – Anerkennung der jeweiligen Gemeinschaft in den Landeskirchen und der EKD auf der Basis gemeinsam verabredeter Grundbedingungen zu fördern und zu stärken. Denn die evangelischen Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften als eine besondere Sozialgestalt der Kirche sind nach Überzeugung des Rates der EKD eine geistlich wichtige Kraft in der evangelischen Kirche, die es zu fördern gilt – nicht zuletzt auch um der vielen Menschen willen, die ein „Kloster auf Zeit“ als Heilungszeit suchen. Die diesem Text angefügte und in das Internet gestellte Liste der Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften dient daher auch der Orientierung bei der Suche nach Möglichkeiten eines „Klosters auf Zeit“.

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