Landwirtschaft im Spannungsfeld, zwischen Wachsen und Weichen

Einleitung

1.1 Tiefgreifende Strukturveränderungen

(1) Die evangelische Kirche hat die tiefgreifenden Strukturveränderungen der Landwirtschaft in der Bundesrepublik nach dem Kriege mit Aufmerksamkeit begleitet. Im Jahre 1965 brachte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine viel beachtete Denkschrift zur »Neuordnung der Landwirtschaft als gesellschaftliche Aufgabe« heraus. Mitte der 70er Jahre folgte eine Verlautbarung zu der Situation der strukturschwachen ländlichen Gebiete mit dem Titel »Sterben die Dörfer aus?«. Die Landwirtschaft mußte in diesem Zeitraum von fast 20 Jahren mit schwierigen Entwicklungen fertig werden. Dabei hat sie eine große Flexibilität, Anpassungs- und Umstellungsbereitschaft gezeigt.

(2) Mit wenigen Zahlen läßt sich der tiefgreifende Strukturwandel kennzeichnen:

  • Der Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen betrug vor 100 Jahren noch 40%, er sank auf 14% Im Jahre 1950, 10% im Jahre 1965 und knapp 5% heute. Rechnet man alle Arbeitskräfte landwirtschaftlicher Betriebe auf Vollarbeitskräfte um, dann arbeiteten beim Erscheinen der ersten Landwirtschaftsdenkschrift 1965 rd. 1,8 Mio. Vollarbeitskräfte in der Landwirtschaft. Heute beträgt die Zahl der Vollarbeitskräfte nur noch rd. 900000. Die Verminderungsrate belief sich also in 20 Jahren auf 50 %.
          
         
  • Obwohl sich die Anzahl der Vollarbeitskräfte in der Landwirtschaft seit 1949 insgesamt auf rd. ein Viertel verminderte, ist die Nahrungsmittelproduktion im gleichen Zeitraum auf das Doppelte gewachsen. Die große Steigerung der Agrarproduktion bei gleichzeitiger erheblicher Verminderung der Arbeitskräfte bedeutet, daß die Arbeitsproduktivität enorm zugenommen hat. Eine landwirtschaftliche Arbeitskraft versorgte 1949 zwölf Personen, heute dagegen 62 mit Nahrungsmitteln, allerdings unter Einschaltung von immer mehr vor- und nachgelagerten gewerblichen Bereichen.
          
         
  • Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als 1 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche betrug 1949 noch rd. 1,6 Mio., bis zum Jahre 1965 sank die Zahl auf rd. 1,2 Mio. - davon rd. 500 000 Vollerwerbsbetriebe - und gegenwärtig existieren noch rd. 750 000 Betriebe. Rund die Hälfte davon werden im Vollerwerb bewirtschaftet, rd. 40% im Nebenerwerb und rd. 10% im Zuerwerb. In jedem zweiten landwirtschaftlichen Betrieb sind demnach die Inhaber in teilweise beachtlichem Umfang außerbetrieblich erwerbstätig und ergänzen so das betriebliche Einkommen.

(3) Der rasche und tiefgreifende Strukturwandel war in vielen Einzelfällen mit menschlichen Problemen, persönlichen Opfern und sozialen Härten verbunden. Für viele Betroffene hatte er auch positive Auswirkungen. Nicht wenige Menschen haben außerhalb der Landwirtschaft eine befriedigende berufliche Existenz gefunden und können weiterhin in ihrer vertrauten ländlichen Umgebung wohnen. In der Landwirtschaft sind durch die technischen Entwicklungen viele Arbeitserleichterungen erzielt worden. Dadurch verminderte sich die körperliche Belastung. Andererseits erfuhr der einzelne eine fortdauernde Anspannung und Hektik, da mit immer weniger Arbeitskräften produziert werden mußte. Weil aus politischen und sozialen Gründen die Nahrungsmittelpreise relativ stabil gehalten wurden, die Flächenausstattung je Betrieb bei der kleinteiligen Agrarstruktur in der Bundesrepublik Deutschland aber nur wenig vergrößert werden konnte, blieb den Landwirten unter den gegebenen Rahmenbedingungen keine andere Wahl, als durch Rationalisierungen und Produktionssteigerungen mit Hilfe von Technik, Chemie und aufgekauften Futtermitteln ein befriedigendes Einkommen anzustreben.

1.2 Zuspitzung der Situation landwirtschaftlicher Betriebe

(4) Besonders schwer haben es heute die rd. 100 000 Landwirte, deren Einkommen zum unteren Viertel der Einkommenskala zählt. Um es zu verbessern, müßten sie ihre Betriebe erweitern. Dazu fehlt jedoch oft das Kapital. Flächenaufstockungen sind meist ebenso wenig möglich wie der Übergang zum Zu- oder Nebenerwerb, da die außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplatzangebote immer rarer werden. Also sind sie weiter ausschließlich auf das Einkommen aus der Landwirtschaft angewiesen und leisten großen Arbeitseinsatz ohne mittel- und langfristige Zukunftsperspektiven. Überdies wirkt der sich verstärkende Verdrängungswettbewerb innerhalb der Landwirtschaft nicht selten belastend auf die Dorfgemeinschaft.
Aber auch die Landwirte mit ausreichendem Einkommen sehen sich vor Problemen. Sie fragen, ob sie die Erträge bei immer größerem Einsatz von chemischen und pharmazeutischen Mitteln noch weiter steigern sollen. Viele, die ihre Betriebe oft nach eingehender Beratung mit erheblichem Fremdkapital erweitert haben, befürchten bei der verschlechterten gesamtwirtschaftlichen und haushaltspolitischen Lage und der Überschüsse in der Europäischen Gemeinschaft eine Senkung ihres Realeinkommens, so daß sie den Schuldendienst nicht mehr finanzieren können. Inhaber mittelgroßer Betriebe fragen, ob sie zu denen gehören die trotz aller Rationalisierung und Spezialisierung in Zukunft noch existenzfähig sein werden.

1.3 Zuspitzung der ökologischen Probleme

(5) In dieser spannungsvollen, von Belastungen und Gegensätzen gekennzeichneten Situation sieht sich die Landwirtschaft dazu noch wachsender öffentlicher Kritik ausgesetzt. Sie setzt bei der Subventionspolitik des Staates und der Europäischen Gemeinschaft an, bei der Überschußproduktion, bei der Verdrängung der kleinen und immer mehr auch der mittleren bäuerlichen Betriebe mit ihren, wie man meint, vielfach umweltfreundlicheren Arbeits- und Produktionsverfahren. Während man in den 6oer Jahren den Bauern nicht selten Rückständigkeit vorwarf und von ihnen eine noch schnellere Anpassung an die Erfordernisse einer modernen Industriegesellschaft mit rationellen Produktionsverfahren verlangte, wird nicht selten Kritik daran geübt, daß die Landwirtschaft diesen Umstellungs- und Anpassungsprozeß geleistet hat. Sie wird mitverantwortlich gemacht für Grundwasserverunreinigungen, Schädigungen von Boden und Landschaft, Belastungen der Nahrungsmittel mit Fremdstoffen, Verringerung der Artenvielfalt und bedenkliche Methoden in der Tierhaltung.

(6) Hierbei ist der Blickwinkel von Kritik und Gegenkritik oft verengt. So lassen Natur- und Tierschützer häufig außer acht, daß die Landwirte im europäischen Wettbewerb ein angemessenes Einkommen erwirtschaften müssen. Vor allem auf lokaler Ebene übersehen sie allzu leicht, daß nicht wenige der betroffenen Bauern Existenzsorgen haben. Agrarpolitiker, Produzenten und berufsständische Vertreter erkennen oft noch ungenügend, daß es mit den Interessen der Landwirte durchaus vereinbar sein kann, wenn der Spielraum für die Nutzung technisch-ökonomischer Möglichkeiten durch Forderungen von Ökologie und Tierschutz eingeengt wird. Verbraucher verkennen oft, daß man nicht beides gleichzeitig haben kann: Immer preiswertere und zugleich rückstandsfreiere Nahrungsmittel. So sieht jeder sein einseitiges Interesse, anstatt ökologische Notwendigkeiten und ökonomische Erfordernisse in ihrer unauflöslichen Verbindung zu sehen.

(7) Dabei drängt die Zeit, wenn Natur und Landschaft für kommende Generationen funktionsfähig erhalten bleiben sollen.

  • Über ein Drittel der 7,5 Mio. ha Wald der Bundesrepublik ist durch verschiedenste Umwelteinflüsse geschädigt; 100 000 ha des Waldbestandes sind krank oder schon tot; 1,8 Mio. ha zeigen erste Anzeichen von Umweltschäden. Was den Bäumen schadet, schadet auf längere Sicht auch den Pflanzen, den Tieren und den Menschen, ganz zu schweigen von den möglichen langfristigen Klimaauswirkungen.
          
         
  • Viele Pflanzen- und Tierarten sind schon ausgestorben, andere höchst gefährdet. Nach Schätzungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums sind zwischen 30 % und 50 % der gesamten Flora und Fauna in ihrem Fortbestand bedroht, also fast jede zweite Tier- und Pflanzenart
          
         
  • Die Schadstoffbelastung des Bodens, der Gewässer und des Grundwassers nimmt aus unterschiedlichen Ursachen in bestimmten Regionen (Industrienähe, Intensivanbaugebiete, durchlässiger Boden usw.) solche Ausmaße an, daß wirksame Gegenmaßnahmen nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfen.
          
         
  • In der Geflügelhaltung ist die Produktion schon fast ganz in Großbetriebe abgewandert. Die öffentliche Kritik an einer zu wenig artgerechten Tierhaltung nimmt immer mehr zu.

(8) Der Landwirtschaft ist keineswegs allein die Gefährdung der Umwelt anzulasten. Durch Industrie, Haushalt und Autoverkehr wird eine Vielzahl von Schadstoffen in die Umwelt abgegeben und teilweise in der Luft über weite Strecken verbreitet. Die Landwirtschaft ist so auf vielfältige Weise selber durch Umweltschäden betroffen. Das gilt nicht nur für die 100 000 Waldbauern. Auswirkungen des »sauren Regens« sind auch für die landwirtschaftlichen Böden und die Nutzpflanzen zu befürchten. Aber auch unersetzliche Biotope und Landschaften gehen z. B. durch die zunehmende Verstädterung, durch neue Industrieanlagen und den Straßenbau verloren. So nahm nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die landwirtschaftlich genutzte Fläche in der Bundesrepublik täglich um 186 ha ab, insgesamt waren das 68 000 ha im Jahr.

1.4 Verschärfung der Hunger-Überfluß-Problematik im Weltmaßstab

(9) Obwohl auf der Welt genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, nimmt die Zahl der hungernden Menschen zu: Dieser Satz kennzeichnet brennpunktartig die gegenwärtige Situation, die von massiven Widersprüchen bestimmt ist. Die Nahrungsmittelproduktion insgesamt gesehen ist in der Welt so groß, daß jedem Menschen die täglich notwendigen Kalorien für eine ausreichende Ernährung zur Verfügung stehen könnten, aber die oft zitierte Angabe der Weltbank, daß 800 Mio. Menschen in absoluter Armut bzw. unterhalb des Existenzminimums leben und täglich hungern, beweist, daß Nahrung für alle keine Realität ist.
Zwar sind mehr als 30 Jahre Entwicklungsbemühungen nicht ohne Erfolg gewesen - in manchen »Schwellenländern« ist das Lebensniveau im Durchschnitt beachtlich gestiegen - aber oft ist die Situation großer Bevölkerungsgruppen in diesen Ländern keineswegs verbessert. Im ganzen hat sich vielmehr die Einkommensverteilung zu Lasten der Armen verschlechtert. Die groteske Situation, die sich heute aus der unterschiedlichen Verteilung und Nutzung der Naturgüter ergibt, läßt sich wie folgt charakterisieren:
(10) Einerseits:

  • werden die Agrarüberschüsse in der EG (Milchpulver, Butter, Rindfleisch, Wein) immer größer und sind kaum noch finanzierbar;
          
         
  • übersteigen die Ausgaben der Überschußfinanzierung bei weitem die Ausgaben europäischer Entwicklungshilfe;
          
         
  • werden die Folgekosten unseres Ernährungsüberflusses für den Gesundheitsbereich auf 20 Mrd. DM geschätzt;

andererseits:

  • verhungern in der Dritten Welt täglich 40000 Kinder, und 300 Mio. Kinder - das sind ein Viertel aller Kinder in der Dritten Welt - leiden an Mangel- und Fehlernährung;
          
         
  • gibt es in mehr als 4o Entwicklungsländern unter anderem infolge der Bevölkerungsentwicklung heute weniger Lebensmittel als vor zehn Jahren.

(11) Für diesen gegenwärtigen Zustand der Einkommensvertellung und Ressourcennutzung auf dieser Erde kann es keine Rechtfertigung geben. Wir sind gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich ein Teil dieser Welt. Vieles ist miteinander verknüpft, auch wenn dies nur sehr unvollkommen wahrnehmbar ist. Das Bibelwort »wenn ein Glied leidet, so leiden alle anderen Glieder mit« gilt auch im Weltmaßstab für das Leben der Völker. Unser künftiges Schicksal ist untrennbar mit dem der Menschen in den Entwicklungsländern verbunden. Die reichen Industrienationen verdanken ihren Wohlstand und Fortschritt zu einem Teil den bestehenden Austauschbeziehungen mit den Entwicklungsländern (z. B. dem Import von billigen Rohstoffen aus diesen Ländern oder den Beschäftigungswirkungen, die von Exporten in die Entwicklungsländer ausgehen).
Aus der vielfältigen Verknüpfung agrarpolitischer und entwicklungspolitischer Probleme ergibt sich als unabweisbare Konsequenz: Wir sind mitverantwortlich für die Lösung der sozialen Frage dieses Jahrhunderts. Diese Frage lautet: Wie können genügend Nahrungsmittel für alle Menschen in der Welt erzeugt und gerechter verteilt und der Welthandel so organisiert werden, daß nicht die einen immer mehr in Armut und Hunger versinken und die anderen mit den Überflußproblemen nicht fertig werden?

1.5 Herausforderung für alle Gruppen der Gesellschaft

(12) All diese Probleme sind keineswegs Anfragen allein an unsere Landwirtschaft. In der gegenwärtigen Diskussion wird vielfach zu wenig erkannt, wie sehr alle Gruppen unserer Gesellschaft von den angesprochenen Problemen betroffen sind. So erfahren sie etwa einerseits die Umweltbelastungen als immer bedrohlicher und tragen zugleich andererseits selbst erheblich zu Umweltbelastungen bei. Auch die Landwirtschaft leistet in vielerlei Hinsicht einen großen Beitrag zur Pflege und Erhaltung der Umwelt bis hinauf in hohe Bergregionen. Zugleich leidet sie auch selbst in besonderem Maße an Belastungen durch die moderne Industriegesellschaft. Nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die Verbraucherwünsche bestimmen mit, wie und was ein Landwirt heute produziert und welche Produkte in starkem Maße importiert werden. Die Bauern können auf Dauer nur das nach Menge und Qualität herstellen, was von den Verbrauchern nachgefragt wird und wozu die Landwirte durch politische Maßnahmen angeregt werden. Sie können nicht allein die Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftssystems verändern. Sie können nicht in besonderer Weise die Natur schützen, während weite Teile der Bevölkerung in ihrem Verhalten die Natur- und Umweltbelastung unberücksichtigt lassen. Ebenso kann man von der Landwirtschaft aus entwicklungspolitischen Gründen keine Produktionsbeschränkungen fordern, wenn man selbst nicht bereit ist, die eigenen Ernährungsgewohnheiten zu verändern. Alle Gruppen unserer Gesellschaft müssen hier umdenken. Die Politik sollte entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.

1.6 Beitrag der Kirche

(13) Die Kirche weiß sich von diesen Problemen mitbetroffen. Sie versucht deshalb, sich solidarisch an der gemeinsamen Suche nach Lösungsansätzen zu beteiligen. Sie sieht ihre wesentliche Aufgabe darin, herausfordernde Fragen zu stellen und Lösungsansätze anzudeuten: Wie kann es gelingen,

  • die technisch-industrielle Entwicklung besser an die ökologischen Erfordernisse anzupassen?
          
         
  • unser Wirtschaften und Konsumverhalten auf Erhaltung und sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen auszurichten?
          
         
  • zu erreichen, daß jeder Berufs- und Wirtschaftszweig beim Wahrnehmen der eigenen Interessen zugleich auch auf die Interessen der anderen, besonders jedoch auf die Lebensrechte der Natur, einschließlich der Tierwelt, Rücksicht nimmt?
          
         
  • das Problem der Intensivierung der Landwirtschaft so zu lösen, daß die Boden-, Wasser- und Nahrungsmittelqualität sowie die Schonung der Landschaft gewährleistet werden und dennoch die Landwirte ein angemessenes Einkommen erwirtschaften?
          
         
  • zu erreichen, daß die Tierhaltung den verhaltensbedingten Bedürfnissen der Tiere besser gerecht wird als die häufig nicht artgerechten intensiven Haltungsverfahren? Wie können rentable Produktionsverfahren für bäuerlich geprägte Betriebe entwickelt und gefördert werden, die eine artgerechtere Tierhaltung ermöglichen?
          
         
  • den Strukturwandel in der Landwirtschaft so zu beeinflussen, daß wettbewerbsfähige Betriebe markt- und umweltgerecht produzieren können? Wie kann andererseits sichergestellt werden, daß die kleinen und mittelbäuerlichen Betriebe überleben und ihre Inhaber nicht arbeitslos werden?      
         
  • die Überschußproduktion abzubauen? Wie kann gleichzeitig vermieden werden, daß die kleineren und mittelbäuerlichen Betriebe durch diese Maßnahmen am härtesten getroffen werden?
          
         
  • die Teilung der Welt in reiche und arme Regionen, in einen hungernden und einen überernährten Teil, in hochverschuldete Länder und Gläubiger-Länder, in Exporten landwirtschaftlicher Produkte abhängige und hochindustrialisierte Volkswirtschaften schrittweise zu überwinden?
          
         
  • einen Umdenkungsprozeß einzuleiten und eine Verhaltensänderung bei allen Beteiligten zu bewirken? Wie können einseitige Schuldvorwürfe abgebaut werden? Wie kann zu einem besseren Zusammenwirken zwischen Landwirten und Verbrauchern, zwischen Produzenten und Natur-, Tier und Umweltschützern, zwischen den Ländern der EG und den Ländern der Dritten Welt beigetragen werden?
          
         
  • Niemand, auch nicht die Kirche, kann auf solche Fragen letztgültige Antworten geben. Alle diese Fragen lassen sich auch nicht mit wenigen Sätzen beantworten. Die von ethischen Gesichtspunkten geleiteten Erörterungen, Ratschläge und Empfehlungen dieser Denkschrift sollen als Diskussionsbeitrag und Orientierungshilfe verstanden werden.

(14) Angesichts der großen Herausforderungen der Gegenwart sind Christen in ihrer Verantwortungen zur Hoffnung berufen. Dies hat seine konkreten Ängsten und Problemen der Menschen auseinandersetzt. Sie sieht die Existenzprobleme vieler Landwirte ebenso wie die Sorgen der ökologisch und entwicklungspolitisch Engagierten, die fürchten, die Lebensgrundlagen unserer Erde könnten durch weiteren Raubbau, durch Belastungen der Luft und durch die Verunreinigung des Wassers zerstört und das Hungerproblem nicht bewältigt werden. Weil viele Besorgnisse und Befürchtungen heute konkrete Ursachen und Anhaltspunkte haben, dürfen sie nicht einfach verdrängt werden. Andererseits darf die Kirche nicht selbst dazu beitragen, ungerechtfertigte Ängste zu verstärken. Ihre Aufgabe ist es, zu verantwortlichem Handeln zu ermutigen, damit die Ursachen vermindert werden, die schwerwiegende ökonomische, ökologische und gesellschaftspolitische Befürchtungen auslösen. Gott gibt seine Schöpfung nicht auf: »Solange die Erde steht, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht« (1. Mose 9). Diese Gewißheit vermag Resignation zu vertreiben und Verantwortungsbereitschaft zu wecken, um nach Wegen aus bedrohlichen Gefahren und Ängsten zu suchen.

(15) Die Kirche kann dazu beitragen, die Gewissen zu schärfen, Umkehrbereitschaft zu wecken und neue Handlungsimpulse zu geben. Sie verkündet den Glauben an Gott, den Schöpfer und Erhalter dieser Welt, der den Menschen als sein Ebenbild beauftragt hat, die Erde zu bebauen und zu bewahren und nicht nur zu eigenen Zwecken zu nutzen. Die Bibel sagt: »Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaue und bewahre« (1. Mose 2). In unserer Zeit des technischen Fortschritts ist oft zu einseitig das »Bebauen« und zu wenig das »Bewahren« herausgestellt worden. Dadurch wurde einer technischökonomischen Naturbeherrschung Vorschub geleistet, die die Gesamtzusammenhänge zu wenig beachtete. Im Glauben an Gott den Schöpfer gilt es jedoch, die doppelte menschliche Verantwortung neu zur Sprache zu bringen, die durch die Gottebenbildlichkeit und durch die Mitgeschöpflichkeit des Menschen gegeben ist. Verantwortung vor Gott schließt auch die Bereitschaft zur weltweiten Solidargemeinschaft ein.

(16) Der Glaube an Gott den Schöpfer, an die weltgestaltende Kraft der Liebe und die Hoffnung des Heiligen Geistes befreien zur Verantwortung und zum Dienst am Schwachen. Damit ist die Verpflichtung eingeschlossen, daß wir uns umfassend sachkundig machen. Es gilt, zunächst darüber nachzudenken, wie es zu der heutigen Agrarentwicklung mit ihren positiven und bedenklichen Folgen kam und welche Ziel und Wertkonflikte damit verbunden sind. Danach ist mit Kriterien der christlichen Ethik nach Lösungsansätzen in den drei Problembereichen Wachsen und Weichen, Ökologie und Ökonomie, Hunger und Überfluß zu fragen sowie nach Folgerungen, die sich daraus für Politik, Gesellschaft und Kirche ergeben.

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