Einverständnis mit der Schöpfung

Anhang: 5. Biologische Sicherheit

5.1 Warum ist biologische Sicherheit ein ethisches Problem?

Daß die Fragen der Sicherheit wie bei allen Techniken so auch bei der gentechnisch verfahrenden Biotechnologie ein zentrales ethisches Problem ausmachen, scheint evident zu sein. Dennoch haben sich aber die Bedingungen erheblich verändert, seit sich im Februar 1975 führende Fachleute an der berühmt gewordenen Asilomar-Konferenz Gedanken über die ethische Verantwortbarkeit der mit der Gentechnik einhergehenden möglichen Sicherheitsrisiken für die Menschen gemacht haben. Heute sehen wir uns mit neuen Problemen konfrontiert, die mit der Tatsache zusammenhängen, daß die Gentechnik die Abgeschlossenheit des Labor-Containments längst verlassen hat und über Freisetzungen großen Stils zum Teil unserer Umwelt geworden ist.

Folgende zusätzlichen Aspekte gilt es dabei zu beachten:

  1. Biologische Sicherheit ist ein Erfordernis ökologischer Ethik. Nicht nur die Menschen, sondern auch die außermenschliche Natur können durch die gentechnisch veränderten Lebewesen und Substanzen ihrerseits erheblich beeinflußt werden. Insbesondere über die Rolle, die die Bodenorganismen dabei spielen, wissen wir wenig oder gar nichts.
  2. In denselben Zusammenhang gehört, daß Achtlosigkeit hinsichtlich der Fragen biologischer Sicherheit auch die genetische Vielfalt ("Biodiversität", s.o. S. 126ff.) beeinflussen könnte.
  3. Die relativ strengeren Bestimmungen für die Durchführung von Freisetzungsversuchen in den Industrieländern können dazu führen, daß solche Versuche eher in den unterentwickelten Ländern und in den Schwellenländern durchgeführt werden, sofern die Sicherheitsstandards dort niedriger sind. Analoges gilt für die Inverkehrbringung. In beiden Fällen haben wir es mit Fällen der politischen Gerechtigkeit zwischen der sog. Ersten und der sog. Dritten Welt zu tun.
  4. Die verantwortungsethische Dimension nötigt uns, hier die Frage nach einer internationalen Regelung der Haftung für eventuell eintretende Schäden in Ländern zu bedenken, in die gentechnisch veränderte Organismen eingeführt und in denen diese freigesetzt werden. Da sich hier zudem eine ziemlich eindeutige Verteilung von ökonomischer Stärke und Schwäche zuungunsten der Länder der sog. Dritten Welt findet, erfordert die christliche Ethik eine Parteinahme zugunsten der Position der Entwicklungsländer.
  5. Schließlich gilt es, eine besonders beachtenswerte Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen: Gleichsam als Anwälte der unterentwickelten Länder haben sich in den Industrienationen eine Reihe von Nicht-Regierungs-Organisationen ("Non-Governmental Organizations": NGO's) entwickelt, die als weltgesellschaftliches Pendant der Organisationen der Civil Society zu betrachten sind. Ihnen ist im Kontext globaler Probleme biologischer Sicherheit im Sinne des Gerechtigkeitspostulats besonderes Gehör zu schenken.

5.2 Aspekte von biologischer Sicherheit

Biologische Sicherheit betrifft alle Risiken, die von transgenen Organismen ausgehen können. Gentechnikforschung und die Entwicklung und Inverkehrbringung von transgenen Organismen und ihrer Produkte tragen Risikopotentiale in sich, die Probleme für die menschliche Gesundheit, für die Umwelt und für die sozio-ökonomische Infrastruktur verursachen können. Man kann annehmen, daß im allgemeinen Organismen mit neuen Eigenschaften neue Rollen in Ökosystemen spielen können. Wieweit dies ein Risiko ist, läßt sich derzeit nicht oder nicht zuverlässig abschätzen. Aspekte der Diskussion sind insbesondere:

  • Auswirkungen der transgenen Produkte auf andere als die Zielorganismen (z.B. Toxine in Pflanzen, Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier),
  • Ausbreitung transgener Organismen und die Auswirkung auf die Artenvielfalt,
  • Übertragung des Transgens einer Pflanze auf verwandte Nutz- bzw. Wildpflanzen,
  • Risiken des horizontalen Gentransfers von Transgenen durch Bakterien, Pilze und Vektoren,
  • Risiken des horizontalen Gentransfers von Transgenen, die auf der Instabilität des Einbaus von Transgenen in Tiere oder Pflanzen beruhen und
  • Effekte auf das Ökosystem, in das der transgene Organismus freigesetzt wurde.

Dazu kommen ökonomische, soziale und sozio-ökonomische Risiken wie etwa die Verdrängung traditioneller durch die transgenen Sorten bzw. Rassen und damit zusammenhängend die Umschichtung ganzer Wirtschaftszweige.

Die Auswirkungen von gentechnisch herbeigeführter Herbizid- oder Insektenresistenz auf Populationen, die Anwendung von Antibiotikaresistenzen (etwa bei der Selektion von transgenen Organismen, die im Falle vom Schwein zu unerwünschter Streptothricin-Resistenz geführt hat), das Potential der Verwilderung (wenn durch die transgene Modifikation Wettbewerbsvorteile entstehen) und ihr Einfluß auf die Biodiversität oder die unkontrollierte Verbreitung durch verwandte Kreuzungspartner sind Beispiele hierfür. Die wenigen hierzu studierten Modelle vereinfachen häufig erheblich und spiegeln nicht die Komplexität natürlicher Ökosysteme wider; es ist zu beachten, daß sich gentechnisch veränderte Organismen in verschiedenen Umwelten ganz unterschiedlich verhalten können.

Die Sicherheit gentechnischer Anlagen in Forschung und Produktion, von Laborstämmen als Objekte der Forschung und Aspekte des Transports gentechnisch veränderter Organismen sind weitere Gesichtspunkte der Biosafetydiskussion. Ein anderer Aspekt betrifft den Mißbrauch der Gentechnik bei der Entwicklung biologischer Waffen.

5.3 Das Biosafety-Protokoll und seine Vorgeschichte

Gerade bei der Neuheit der Technologie und ihrer Anwendungen ist die Abschätzung von Risikofaktoren und Technikfolgen dringend erforderlich. Es ist davon auszugehen, daß in den nächsten Jahren der Transfer gentechnischer Verfahren und Produkte in die Länder des Südens zunehmen wird. Damit stellt sich die Frage der biologischen Sicherheit für diese Staaten, in denen rechtliche Regelungen zur biologischen Sicherheit sowie Infrastruktur und Know-how für entsprechende Kontrollen weitgehend fehlen, in besonderer Weise. Es gibt inzwischen eine Reihe von internationalen Vereinbarungen, die für die biologische Sicherheit wichtig sind. Hierzu gehören z.B.: Codex Alimentarius (1962), Gentechnik-Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft (1990) sowie Die internationalen technischen freiwilligen Richtlinien zur biologischen Sicherheit im Bereich der Biotechnologie (1995).

Insbesondere die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - bekannt als "Erdgipfel in Rio" - rückte die biologische Sicherheit in zwei von drei verabschiedeten Dokumenten stärker in das Bewußtsein: die Agenda 21 und die Konvention über Biologische Vielfalt. In beiden Texten wird hervorgehoben, daß mit der weltweiten Nutzung der modernen Biotechnologie ein bestimmtes Gefahrenpotential verbunden sei, das eine verstärkte internationale Zusammenarbeit notwendig mache.

Die Konvention über Biologische Vielfalt führt drei Konventionsziele an: 1. den Schutz der Biologischen Vielfalt, 2. ihre nachhaltige Nutzung und 3. die gerechte Verteilung der Vorteile, die aus der Nutzung entstehen. Insbesondere das Aufeinandertreffen von biodiversitätsreichen, aber finanz- und infrastrukturschwachen Entwicklungsländern und finanz- und infrastrukturstarken, aber biodiversitätsarmen Industriestaaten wirft viele alte und neue Fragen auf: Wie soll der Zugang zur Ressource "Biologische Vielfalt" so geregelt werden, daß der arme Süden nicht übervorteilt wird? Welchen rechtlichen Status sollen Genbanken und botanische Gärten haben, deren Sammlungen aus vielen Ländern und teilweise noch aus der Kolonialzeit stammen? Wie kann verhindert werden, daß ein Rohstoff - nämlich die genetische Vielfalt - weder gerecht bezahlt, noch wirklich nachhaltig genutzt wird?

Die Konvention verdient darüber hinaus Aufmerksamkeit, weil in ihr die Konflikte zwischen den Ergebnissen des Erdgipfels von Rio auf der einen Seite und der neuen Welthandelsordnung (GATT und Welthandelsorganisation) besonders scharf zutage treten und die Bemühungen um das Vereinbarmachen dieser zwei neuen und einflußreichen internationalen Regelwerke besonders dringlich erscheinen. Diese Bemühungen betreffen langfristig die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie. Besonders schwierig sind im Rahmen der Konvention über Biologische Vielfalt zwei Fragen:

  1. Verträgt sich die im GATT-Abkommen enthaltene Vereinbarung zum Schutz von handelsbezogenem geistigem Eigentum (Patenten) an Lebewesen mit dem Schutzziel der Konvention? Wirken Patente auf Lebewesen strukturell biodiversitätsmindernd? Wenn Patente im Bereich der modernen Biotechnologie als Innovationsanreize gesetzt werden, wie können diese Besitz-Rechte durch Besitz-Verantwortlichkeiten für mögliche Umwelt- und Gesundheitsschäden ergänzt werden?
  2. Globalisierung der Märkte heißt auch Globalisierung des Handels mit gentechnisch veränderten Organismen, und das heißt auch Globalisierung der Freisetzung. Es besteht die Gefahr, daß Freisetzungsrisiken in Länder mit geringen oder gar keinen Sicherheitsauflagen exportiert werden. Es besteht auch die Gefahr, daß Länder - um der Verteidigung ihrer Industriestandorte willen und zur Anlockung von Investoren - ihre Sicherheitsauflagen zurückfahren.

Die Unterzeichnerstaaten der Konvention über Biologische Vielfalt haben sich verpflichtet, zu prüfen, ob die Konvention durch ein Zusatzprotokoll um bestimmte Aspekte der biologischen Sicherheit ergänzt werden soll. Die Zweite Vertragsstaatenkonferenz der Konvention beschloß 1995, eine Arbeitsgruppe mit dem Arbeitsauftrag einzurichten, bis Ende 1998 die mögliche Ausgestaltung eines Biosafety Protocols (Protokolls für biologische Sicherheit) zu prüfen. Biologische Sicherheit betrifft alle Risiken, die von transgenen Organismen ausgehen können. Der Verhandlungsauftrag ist zum jetzigen Zeitpunkt im wesentlichen auf beabsichtigten und nicht-beabsichtigten Grenzübertritt von lebenden modifizierten Organismen beschränkt und bezieht sich nicht, wie es viele Länder angestrebt hatten, auf bindende nationale Mindeststandards.

So sehr weltweit Einigkeit darüber besteht, daß internationale Regelungen zur biologischen Sicherheit geschaffen werden müssen, so umstritten ist die Frage, welchen Grad von Verbindlichkeit diese Regelungen haben sollen. Ein Protokoll, das völkerrechtlich verbindlich ist, wird vor allem von den NGO's und den Entwicklungsländern gefordert, während die Industrieländer "Guidelines" oder einen "Code of Conduct" für ausreichend halten. Für ein Protokoll - so die NGO's und die Entwicklungsländer - spreche u.a., daß so der Druck erhöht werden könne, bereits existierende "Biosafety"-Gesetze zu harmonisieren und (vor allem in den Entwicklungsländern) künftige Regelungen an einheitlichen Grundsätzen auf einem möglichst hohen Schutzniveau zu orientieren.

5.4 Haftungsproblematik und Risikomanagement

Inzwischen wurden der Arbeitsgruppe zur Erstellung eines "Biosafety Protocols" zu ihrer zweiten Verhandlungsrunde 1996 von vielen Regierungen Texte zu einzelnen Elementen eines möglichen Protokolls vorgelegt. Folgende Themen und Fronten zeichnen sich ab:

Prior informed consent: Die Entwicklungsländer befürworten überwiegend eine explizite vorherige Genehmigung der zuständigen Behörde im importierenden Land bei jedem Organismus, bei jeder Verwendungsart und bei jeder der folgenden Einfuhren. Gerade bei den Ländern mit hoher biologischer Vielfalt ist der Gefährdungsgrad der Umwelt größer. Mögliche Gesundheitsschäden werden in armen und strukturschwachen Ländern später bemerkt werden, und es fehlen die Mittel und die Expertise, Abhilfe zu schaffen. Die Saatgutindustrie und einige Industrieländer waren an einfachen Anmeldeverfahren interessiert. Die Bereiche der landwirtschaftlichen Massenkonsumgüter und der Forschung wollten sie möglichst nicht innerhalb des Protokolls geregelt sehen.

Öffentlichkeitsbeteiligung: Die Entwicklungsländer, aber auch viele Industriestaaten, wollen sich für eine Beteiligung der Öffentlichkeit einsetzen. Öffentlichkeitsbeteiligung kann allerdings viele Formen annehmen. Sie sollte bis zur Einbeziehung der relevanten gesellschaftlichen Gruppen in die Kommissionen für biologische Sicherheit gehen. Die Information der Öffentlichkeit ist zu gewährleisten. Ein Aspekt der Öffentlichkeitsbeteiligung verbindet die Biosafety-Verhandlungen mit der Kennzeichnungsdiskussion: Kennzeichnung ist die Voraussetzung für die Beteiligung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, über das eigene Einkaufsverhalten die Wahl der Technologiepfade mitzubeeinflussen.

  • Haftung, Schadensdeckung, Versicherung: Die Entwicklungsländer haben die Haftungsfrage als zentrales Thema der Herbstsitzung 1997 angefordert. Dies ist für sie eine Frage der Gerechtigkeit: Die schwachen Opfer sollen die Verursacher belangen können. Darüber hinaus sind aber auch folgende Überlegungen wichtig:
  • Haftung hat eine korrektive Funktion. Sie erlaubt eine nachträgliche Durchsetzung des Rechts.
  • Haftung hat eine Wiedergutmachungsfunktion, die die schädlichen Konsequenzen von den Opfern zu den Tätern verschiebt.
  • Die Expertise des Versicherungssektors wäre darüber hinaus eine wichtige Stimme, da sie wirtschaftlich an einer korrekten Bewertung der Risiken interessiert ist.
  • Einbeziehung sozio-ökonomischer Risiken: Die Entwicklungsländer haben sich geschlossen für eine Einbeziehung sozio-ökonomischer Risiken ausgesprochen. Sie haben eine Studie dazu angefordert, die über die bisher vorliegende Literaturliste hinausgeht, die vom Sekretariat der Konvention erstellt wurde. Gesundheitsfragen, Umweltfragen und Fragen der sozio-ökonomischen Struktur sind in Entwicklungsländern mit einem hohen Anteil an sehr armen Menschen ungepuffert miteinander verknüpft. Einige Hinweise mögen dies verdeutlichen: Zusätzliche Wissensbereiche (Ökonomie, Soziologie, Ethik) schärfen die Wahrnehmungsfähigkeit für mögliche Schadenskaskaden. Arbeitsplatzverlust in den Entwicklungsländern zeichnet sich als Folge mancher Biotechnologien ab. Biotechnologieprodukte des Nordens können traditionelle Exportprodukte des Südens ersetzen. Der Einfluß der transnationalen Konzerne auf die Staatswesen kann wachsen.

Die Biosafety-Verhandlungen werden regelmäßig von einer Gruppe von erfahrenen Beobachterinnen und Beobachtern aus NGO's begleitet. Deren berechtigte Forderungen lauten: Vorsorgeprinzip, Einbeziehung von ethischen, sozio-ökonomischen und Gesundheitsrisiken, Öffentlichkeitsbeteiligung, Gefährdungshaftung, Erstellung von Plänen und Maßnahmen für Unfälle und Schadenssituationen. Zu diskutieren ist auch die Möglichkeit eines Freisetzungsmoratoriums bis zum Inkrafttreten eines gesetzlich bindenden Biosafety-Protokolls.

5.5 Ethische Schlußfolgerungen

Eine internationale Lösung des Problems der biologischen Sicherheit setzt die Anerkennung der Forderung interkultureller Gerechtigkeit als Fairness voraus. Das bedeutet, daß sich das Verhalten aller Beteiligten an der Vorstellung messen lassen muß, wie sie sich verhalten würden, wenn sie in der Position des am meisten Benachteiligten wären.

Der Wahrung der biologischen Vielfalt ist dabei eine herausgehobene Bedeutung einzuräumen.

Bei der Frage der Freisetzung von genetisch veränderten Organismen ist der Forderung nach ökologisch und ökonomisch langfristiger Verträglichkeit (Nachhaltigkeit) Vorrang vor kurzfristigem ökonomischen Nutzen zu geben.

Die Industriestaaten müssen dabei dem ethischen Prinzip der Verantwortbarkeit mit zuvor eingeholter informierter Zustimmung durch die Entwicklungsländer nachkommen. Dazu gehört die Bereitschaft, auch haftungsrechtliche Verpflichtungen einzugehen.

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