Einverständnis mit der Schöpfung

Anhang: 6. Zusammenfassung

Die seit 1991 nicht nur ungebrochen stürmisch, sondern beschleunigt verlaufende Entwicklung der Methoden sowie die schnelle Erweiterung der Anwendungsfelder der Gentechnik in der Pflanzen- und Tierzucht (s.o. S. 106ff. und S. 109ff.) machen ständig eine neuerliche ethische Prüfung und Urteilsbildung erforderlich. Weder ein bloßes Pro- oder Contra-Bekenntnis noch eine saubere Trennung der Anwendung gentechnischer Verfahren auf Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen lassen sich sinnvoll durchhalten. Zu vielfältig und zu stark miteinander verwoben sind die einzelnen Anwendungsfelder, und allzu offensichtlich sind die Unterschiede, was den Nutzen oder Schaden der verschiedenen Anwendungen betrifft. Konsequenterweise muß in der Ethik die Orientierung an festen, ein für allemal geltenden Prinzipien durch eine pragmatische Orientierung an den in der Diskussion stehenden Problemen abgelöst werden; der Weg geht von der prinzipien- zur problemorientierten Ethik. Diese läßt sich dadurch charakterisieren, daß es in ihr a) um ein besseres Verständnis der ganzen Situation als Umfeld des zu beurteilenden Falles und b) um die Möglichkeit geht, u.U. die Prinzipien aufgrund des genaueren Fallverständnisses zu verändern. Aus diesen beiden Gründen kann man von einer "hermeneutischen Wendung" in der Ethik sprechen.

Neben dieser allgemeinen Veränderung läßt sich in der heutigen Ethik in Sachen Gentechnik auch noch eine interne Umwertung der Werte konstatieren. So hat z.B. der Wert der genetischen Vielheit ("Biodiversität") deutlich gegenüber anderen Werten wie "Autonomie" oder "wirtschaftlicher Erfolg" an Bedeutung gewonnen - nicht zuletzt vermutlich aufgrund der ebenfalls immer intensiver werdenden kritischen Berichterstattung über Ursachen und Auswirkungen der gefährdeten Arten- und Sortenvielfalt. Der gewünschten Vielfalt von Arten und Sorten korrespondiert die Vielfalt als ethisches Postulat. Ein glaubwürdiger ethischer Pluralismus ist zudem kein Widerspruch. Er besteht vielmehr darin, zwar an den eigenen Wertvorstellungen festzuhalten, diese aber als ein Angebot zu betrachten, das mit anderen konkurriert.

Daraus ergibt sich für das Themenfeld der gentechnisch verfahrenden Biotechnologie in ihrer Anwendung auf Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen die doppelte Konsequenz: einerseits problemorientiert vorzugehen und andererseits die Ansichten anderer ernst zu nehmen und sich argumentativ mit ihnen auseinanderzusetzen. Der Problemorientierung entspricht die Konzentration auf drei heute in der politischen Diskussion stehende sogenannte "policy-Felder": die Kennzeichnung gentechnisch hergestellter oder veränderter Nahrungsmittel, die Patentierung biotechnologischer Erfindungen und die biologische Sicherheit im globalen Spannungsfeld.

Dem christlichen Auftrag zur verantwortlichen Gestaltung der Welt einschließlich der außermenschlichen Natur läßt sich die Verpflichtung zur Autonomie, d.h. zur Freiheit als Selbstbestimmung entnehmen. Die am 27. Januar 1997 verabschiedete Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (Novel Food-Verordnung, s.o. S. 129ff.) trägt dem insofern Rechnung, als Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit gegeben wird, sich darüber zu informieren, ob Nahrungsmittel gentechnisch verändert sind oder nicht. Damit ist die Verordnung aus ethischer Sicht als autonomieförderlich zu begrüßen, wenn auch zu fragen ist, ob sie weitgehend genug formuliert ist: Wer nämlich generelle ethische Bedenken gegen die Verwendung gentechnischer Verfahren bei der Herstellung von Lebensmitteln hat, wird sich schwerlich damit abfinden können, daß nur diejenigen Lebensmittel gekennzeichnet werden, in denen Veränderungen wissenschaftlich nachweisbar sind.

Gegen gentechnisch veränderte Nahrungsmittel bestehen somit keine grundsätzlichen ethischen Bedenken, solange die Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit erhalten, frei zu entscheiden, ob sie sie kaufen wollen oder nicht.

Im Falle der Patentierung biotechnologischer Erfindungen (s.o. s. 136ff.) ist zu unterscheiden zwischen der grundsätzlichen Frage, ob Leben patentiert werden darf, und der Frage nach möglichen Folgen der Patentierung von Genen und Lebewesen im Einzelfall, z.B. was die Forderung nach Gerechtigkeit der Verteilung von Chancen und Risiken betrifft. Die genauere Untersuchung dieser Fragen einschließlich ihrer juristischen Implikationen zeigt, daß Leben etwas ist, was nicht in die Verfügungsgewalt der Menschen fällt, also auch nicht ihr Eigentum sein kann, da dies mit der Würde des Lebens nicht vereinbar ist. Allerdings betrifft dies die Patentierung aus einem zweifachen Grunde nicht: Zum einen begründet ein Patent keine positiven Eigentumsrechte, sondern nur die Ausschließung anderer von der Nutzung, zum anderen handelt es sich dabei nicht um ein Recht bezüglich des Lebens, sondern bezüglich einzelner DNA-Sequenzen und gentechnisch veränderter Lebewesen. - Was die möglichen Folgen angeht, gilt, daß hier insbesondere Fragen der internationalen Gerechtigkeit aufgeworfen sind, zumal was die Entwicklungsländer betrifft. Allerdings heißt das nicht, daß Patente zu verwerfen seien, sondern daß Regelungen gefunden werden müssen, die neben der Internationalisierung des Patentrechts auch einen Abgleich der internationalen Konventionen sowie eine Ausdehnung des Kartell- und Wettbewerbsrechts bewirken.

Daß die Würde des Lebens geachtet werden muß, bedeutet somit nicht, daß die Patentierung von Genen und lebenden Organismen moralisch verwerflich wäre. Allerdings sind hier noch weitere (rechtliche) Regelungen erforderlich, um Ungerechtigkeiten, zumal gegenüber den Entwicklungsländern, zu verhindern.

Was schließlich die biologische Sicherheit ("biosafety", s.o. S. 157ff.) betrifft, ist auch diese heute vordringlich eine Frage, die unter die internationale Gerechtigkeitsforderung fällt. Auch hier sind daher Regelungen zu finden, die ausschließen, daß die Verteilung von Risiken und Chancen den Entwicklungsländern nahezu ausschließlich die Risiken aufbürdet, den Industrieländern dagegen die Chancen überläßt ("biosafety protocol"). Vielmehr ist eine gerechte Verteilung von Risiken und Chancen nach Maßgabe der Kriterien einer sozial, ökonomisch und ökologisch langfristigen Verträglichkeit ("Nachhaltigkeit") anzustreben. Das schließt nach dem Prinzip globaler Verantwortung die Verpflichtung der Industriestaaten ein, Regelungen mit den Entwicklungsländern zu treffen, die auch die Haftungsfragen betreffen.

Der Export und das Testen gentechnisch veränderter Organismen ist somit nur unter Beachtung der Prinzipien internationaler Gerechtigkeit und globaler Verantwortung moralisch vertretbar.

Die ethische Beurteilung der gegenwärtig dominanten "policy-Felder" ergibt also, daß weder im Bereich der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel noch im Bereich der Patentierung genetisch veränderter Organismen noch auch in demjenigen der biologischen Sicherheit prinzipielle Ablehnung aus moralischen Gründen geboten ist. Damit allerdings eine Zustimmung aus moralischen Gründen möglich wird, müssen in allen drei Bereichen weitere Bedingungen erfüllt werden, die alle im Gebiet rechtlicher Regelungen oder politischer Vereinbarungen liegen. Im übrigen aber gehört es zum verantwortlichen Umgang mit der "Freiheit eines Christenmenschen", sich in jedem einzelnen Fall aufgrund der entwickelten ethischen Entscheidungshilfen selbst ein Urteil zu bilden.

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