Einverständnis mit der Schöpfung

Anhang: Vorwort

Die dynamisch verlaufende Entwicklung von Wissenschaft und Technik, insbesondere auch auf dem Gebiet der neuen Biowissenschaften ("life sciences"), vergrößert die Handlungsmacht der Menschen, ohne daß diese immer Gelegenheit und Zeit hätten, darüber in ausreichendem Maße nachzudenken. Dieser Befund hatte den Rat der EKD 1986 dazu bewogen, eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zu berufen, die sich mit den ethischen Fragen im Zusammenhang der Anwendung der Gentechnik bei Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren befassen sollte. Das Ergebnis der ausführlichen Beratungen dieser Gruppe, 1991 unter dem Titel Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik publiziert, hat in weiten Kreisen innerhalb und außerhalb der evangelischen Kirchen ein lebhaftes Echo gefunden und mannigfache Debatten ausgelöst.

Sowohl in den Biowissenschaften selbst als auch in der mit deren Ergebnissen arbeitenden Industrie ist in den inzwischen vergangenen sechs Jahren die Entwicklung stürmisch weitergegangen. Gentechnische Verfahren gehören inzwischen zu den Standardprozeduren, die bis in die Produktion von Medikamenten und Nahrungsmitteln hinein Anwendung finden und mithin auch Gegenstand von Gesetzgebung und internationalen Abkommen werden. Daher hat der Rat der EKD 1996 eine neue, ebenfalls wieder interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe damit beauftragt, die Schrift Einverständnis mit der Schöpfung auf den neuen Stand fortzuschreiben.

Zusätzlich zu den seit 1991 eingetretenen Veränderungen in Wissenschaft, Technik, Recht und Politik galt es dabei auch, den Verschiebungen im gesellschaftlichen wie kirchlichen Ethikdiskurs Rechnung zu tragen. Waren die achtziger Jahre noch stark von grundsätzlichen und fundamentalistischen Pro- und Contradebatten geprägt, die fast immer von "falschen Alternativen" (s.o. S. 49-54) ausgingen, haben sich die Auseinandersetzungen in den neunziger Jahren versachlicht. Statt von allgemeinen Prinzipien und Grundsatzerklärungen sind die Diskussionen nun von einer stärkeren Fallorientierung geprägt. Dabei kann es durchaus geschehen, daß im Lichte der Anwendung das eine oder andere ethische Prinzip präzisiert, verändert oder angepaßt wird. Es ergibt sich so etwas wie eine "hermeneutische Wendung" in der Ethik, auch und gerade in der evangelischen. Zudem kommt es im Zusammenhang der zunehmenden Globalisierung der Anwendung gentechnischer Verfahren auf Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere zu einer stärkeren Betonung ethischer Aspekte internationaler Fragen, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von Nord- und Südhemisphäre.

Die Arbeitsgruppe hat sich daher entschieden, die relevanten ethischen Fragestellungen nicht nach den Anwendungsfeldern Tier, Pflanze und Mikroorganismus aufzuarbeiten. Stattdessen hat sie sich an den Themenfeldern orientiert, die heute - auch im Kontext kirchlicher Gespräche - weltweit im Zentrum der international geführten Debatten stehen. Es sind dies die drei "policy"-Felder der Kennzeichnung neuartiger Lebensmittel, der Patentierung biotechnologischer Erfindungen und der biologischen Sicherheit ("biosafety"). Die Arbeitsgruppe nimmt damit bewußt in Kauf, daß einige aktuelle Themen - wie die Frage der gentechnisch eingeführten Herbizidtoleranz von Nutzpflanzen oder die Klonierung von Schafen durch Übertragung von Zellkernen aus differenzierten Körperzellen (Schaf "Dolly") - nicht eigens hervorgehoben werden. Im übrigen schließt sich die Arbeitsgruppe der Auffassung an, die bereits in der Schrift Einverständnis mit der Schöpfung leitend gewesen war: Es geht für einen kirchlichen Diskussionsbeitrag in einer pluralistischen Gesellschaft darum, einen Beitrag zur Klärung der Fragestellung und eine Hilfe zur eigenen Urteilsbildung der Leserinnen und Leser zu geben, es geht nicht um die Verlautbarung eines abschließenden kirchlichen Urteils. Formal ist die Fortschreibung der Schrift Einverständnis mit der Schöpfung so angelegt, daß diese Schrift unverändert zugrundegelegt und ihr ein Anhang beigegeben wird.

Aus den dargelegten Grundsatzerwägungen ergibt sich der Aufbau der vorliegenden Fortschreibung der Schrift Einverständnis mit der Schöpfung: Kapitel 1 orientiert über die wichtigsten Veränderungen im biowissenschaftlichen Sachstand, Kapitel 2 unternimmt Analoges hinsichtlich der ethischen Diskussion seit 1991. Dabei wird auf die in Einverständnis mit der Schöpfung entwickelten Perspektiven und Kriterien stets stillschweigend zurückgegriffen, wo nicht explizit anderes gesagt wird. Kapitel 3 befaßt sich mit dem "policy"-Feld der Kennzeichnung neuartiger Lebensmittel im Anschluß an die Novel Food-Verordnung des Parlaments der Europäischen Union. Das Schwergewicht der Fortschreibung liegt in Kapitel 4 auf dem Themenfeld der Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen vor dem Hintergrund der sich im Gesetzgebungsverfahren befindenden Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen. Den Abschluß bildet in Kapitel 5 die Diskussion der biologischen Sicherheit im Zusammenhang mit der gegenwärtig weltweit geführten Diskussion um die Konvention über Biologische Vielfalt und besonders der sich daran anschließenden Ausgestaltung eines Protokolls für biologische Sicherheit (Biosafety Protocol). Ein Glossar am Ende des Textes erläutert die wichtigsten Fachausdrücke.

Der Rat der EKD ist der Arbeitsgruppe dankbar, daß sie den Auftrag zügig und mit großem Engagement ausgeführt hat.

Hannover, im Oktober 1997

Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt
Vorsitzender des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland

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