Zum Verhältnis von Unterricht über Weltentstehung und Evolution in Physik und Biologie und über den Schöpfungsglauben in Religion

Karl Ernst Nipkow

Alle öffentlichen staatlichen Schulen sollten eine naturwissenschaftliche wie eine religiöse und philosophisch-ethische Allgemeinbildung vermitteln. Im Religionsunterricht darf man nicht ohne naturwissenschaftliches Grundwissen über "Urknall" und "Evolution" und im Biologie- oder Physikunterricht nicht einfach so nebenbei noch über die Phänomene der Wirklichkeit als göttlicher "Schöpfung" reden. Von beiden Seiten wird komplementäres Denken verlangt.

Kinder stellen von sich aus gewichtige philosophische und religiöse Fragen, auch im Schulunterricht. Wenn sie älter werden, wollen sie im Allgemeinen noch präziser Auskunft über Dinge, die sie bewegen - auch darüber, wie sich die ihnen früh geläufig werdende Rede von "Urknall" und "Evolution" und die Rede von einem "Gott" und der Welt als seiner "Schöpfung" zueinander verhalten.

Nicht wenige Jugendliche und junge Erwachsene hören allerdings auf zu fragen, weil sie die naturwissenschaftlichen und religiösen Ansichten für unvereinbar halten und im Konfliktfall eher den Schöpfungsglauben hinter sich lassen. Von der Sache und von den Kindern und Jugendlichen her sind daher vernetztes Wissen und eine differenzierende Urteilsfähigkeit erwünscht; sie können falsche gedankliche Alternativen überwinden. Diese Forderung richtet sich auch an das öffentliche Schulwesen. Es darf nicht das Weiterdenken blockieren oder gar den Unterricht Denkverboten unterwerfen.

Anders als das Schulwesen in anderen europäischen Ländern ist das deutsche für religiöse Fragen offen. Freilich stellen sich damit auch Fragen nach der Abgrenzung und der Beschränkung von Religion, zumal der Behandlung religiöser Themen in profanen Fächern.

Unproblematisch ist das Vorkommen von Religion, wenn Unterrichtsinhalte mit religiösen Bezügen zu behandeln sind. So sind im muttersprachlichen oder fremdsprachlichen Literaturunterricht in der Weltliteratur religiöse Traditionen anzutreffen, der Geschichtsunterricht kann nicht das Verhältnis von Kaiser und Papst und die Kreuzzüge im Mittelalter übergehen, im Musikunterricht darf geistliche Musik nicht fehlen, im Kunstunterricht werden Gemälde und Skulpturen mit biblischen Szenen und christlichen Motiven beschrieben und interpretiert, der Politikunterricht behandelt die Rolle von Religion hinsichtlich Krieg und Frieden, und im Biologieunterricht kommt bei der Behandlung der Stammesgeschichte der Menschheit die Rede auf Skelettfunde mit Grabbeigaben, die auf einen Jenseitsglauben hinweisen.

Weltanschaulich-neutraler Staat

In all diesen Fällen hat den Schulpolitikern und Lehrkräften jedoch vor Augen zu stehen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein weltanschaulich-religiös neutraler Staat ist. Schulen in freier Trägerschaft, etwa Waldorfschulen oder Schulen in evangelischer oder katholischer Trägerschaft, dürfen in allen Fächern bestimmten weltanschaulichen Überzeugungen Raum geben. Bei den staatlichen Pflichtschulen ist das nicht so. Sie haben die weltanschaulich-religiöse Neutralität zu beachten. Der Einwand, man könne dieses Prinzip grundsätzlich nicht einhalten, weil jede Wissenschaft letztlich auf nichtwissenschaftlichen weltanschaulichen Voraussetzungen beruhe, ist im Fall der Religion in profanen Fächern nicht stichhaltig. Er verkennt die wissenschaftstheoretischen Unterscheidungen zwischen Glauben und Wissen, die in der Gesellschaft wie in der akademischen Welt anerkannt sind, aber auch die Trennung zwischen Staat und Kirche.

Für das Verhältnis des Staates zum Christentum gilt in der Zusammenfassung des Staatskirchenrechtlers Martin Heckel folgende Abgrenzung und Zulassung von Religion: "Das Grundgesetz hat keineswegs das christliche Abendland wiederaufgerichtet, weder den christlichen Staat installiert noch die Großkirchen als Staatskirchen und Staatsstützen privilegiert und in das Verfassungssystem vereinnahmt, noch auch das öffentliche Recht und öffentliche Wesen im christlichen Kulturbegriff fixiert. Aber ebenso wenig hat es das Religiöse und die Religionsgemeinschaften aus dem öffentlichen Bereich und aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen und auf den Privatbereich des Individuums beschränkt." Freilich wird heute oft nur die negative Seite dieser Verhältnisbestimmung zur Geltung gebracht. Die positive Seite, die Frage der Zulässigkeit christlicher Bezüge in der Schule, scheint vergessen zu sein, obwohl sie höchstrichterlich längst geklärt wurde.

So verstand das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1975 unter dem Begriff "christlich" in Schulgesetzen (etwa der "christlichen Gemeinschaftsschule" in Baden-Württemberg oder einer Schule im "christlich-humanistischen" Geist in anderen Ländern) den "kulturellen" christlichen Einschlag, den kennenzulernen jedem Kind und Jugendlichen zuzumuten sei.

Die Behandlung christlicher Glaubensinhalte und -wahrheiten in profanen Pflichtfächern steht jedoch in der Gefahr, das säkulare Rahmenrecht in Gestalt von Artikel 4 des Grundgesetzes (Religionsfreiheit als individuelles Abwehrrecht gegenüber Eingriffen des Staates) zu verletzen. Die Schule, so das Bundesverfassungsgericht, darf daher keine missionarische Schule sein und keine Verbindlichkeit christlicher Glaubensinhalte beanspruchen, sondern müsse auch für andere weltanschauliche religiöse Inhalte und Werte offen sein: "Das Erziehungsziel einer solchen Schule darf - außerhalb des Religionsunterrichts, zu dessen Besuch niemand gezwungen werden kann - nicht christlich-konfessionell fixiert sein. Die Bejahung des Christentums in den profanen Fächern bezieht sich in erster Linie auf die Anerkennung des prägenden Kultur- und Bildungsfaktors, wie er sich in der abendländischen Geschichte herausgebildet hat, nicht auf die Glaubenswahrheit, und ist damit auch gegenüber dem Nichtchristen durch das Fortwirken geschichtlicher Gegebenheiten legitimiert."

Wird nun versucht, die Behandlung des Schöpfungsglaubens im Physik- oder Biologieunterricht mit dem kulturellen Einfluss des Christentums zu rechtfertigen, so werden Aussagenbereiche und -ebenen verwechselt. Der Sinn von "Kultur" verschwimmt mit dem Sinn von "Glauben".

Sicher ist es zulässig und um des geschichtlichen Verstehens willen wünschenswert, wenn die Schulen historische und gegenwärtige kulturelle christliche Faktoren erschließen. Dabei kann und muss auch die Bibel als Quelle herangezogen werden. So ist sinnvoll und pädagogisch sachgemäß, wenn im Biologieunterricht ethische Aspekte zur Sprache kommen und dazu christliche Standpunkte einschließlich biblischer Texte zusammen mit nichtchristlichen und säkularen ethischen Standpunkten einbezogen werden.

Ethische und damit öffentlich bedeutsame Anschlussfragen stellen sich im Biologieunterricht zum einen hinsichtlich ökologischer Probleme. Im ersten Buch der Bibel (Genesis) wird in Kapitel 2 gesagt, dem Menschen sei die Erde, beschrieben als "Garten", anvertraut, damit er ihn "bebaue und bewahre" (Gen 2,15). In der Gegenwart treten Christen für "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" ein, ohne dass dieser Sprachgebrauch auf die Christen beschränkt wäre. Während der Diskussion über die Einfügung von Artikel 20a (Schutz der natürlichen Grundlagen des Lebens) in das Grundgesetz war zu beobachten, dass auch Politiker unbefangen von "Schöpfung" sprachen. Dieser Ausdruck vergegenwärtigt ein Weltverhältnis, dem man auch dann zustimmen kann, wenn man dem Gottesglauben reserviert gegenübersteht. Denn die Welt als Schöpfung zu verstehen bedeutet anzuerkennen, dass wir die Lebenswirklichkeit allesamt vorgefunden haben, und zwar als eine lebensermöglichende und lebensförderliche, aber auch durch die Menschheit gefährdete, sodass wir nicht selbst Schöpfer sind oder Schöpfer spielen dürfen.

Ethische Folgeprobleme stellen sich aber auch beim Schutz des ungeborenen Lebens, der Verantwortung für Gesundheit und Achtung der Menschenwürde. Auch bei diesen bioethischen Fragen ist es sachgemäß, im Biologieunterricht die in unserer Kultur einflussreich gewordene Bestimmung des Menschen als "Gottes Ebenbild" zu würdigen.

Fragen nach dem letzten Ursprung des Seins im Ganzen, also nach dem Anfang des Universums einschließlich des Lebens und hier besonders des menschlichen Lebens und des Endes von allem, ragen in einen kategorial anderen Bereich hinein. Zwar gibt es in diesem entgrenzten Kontext Teilaspekte, die mit naturwissenschaftlichen Erkenntnismethoden angegangen werden können, darunter der vermutbare Anfang unseres Universums (Urknalltheorie) und das Ende unseres Planeten in Bezug auf das vermutbare Schicksal unseres Sonnensystems. Wer jedoch Vermutungen zu letztgültigen Wahrheiten steigert, verfälscht die Naturwissenschaften und macht sie zu Ideologien.

Antworten auf "letzte Fragen" in Gestalt der Deutung der Gesamtwirklichkeit als Schöpfung durch einen Weltenschöpfer sind ebenfalls nicht ethischer, sondern weltanschaulicher Natur. Sie fallen nicht unter die "Werteerziehung" in den Schulen, sondern in den Bereich der "weltanschaulich-religiösen Bildung".

Glaubensaussagen über Gott als Schöpfer, Erhalter und Neuschöpfer in Jesus Christus haben zwar auch ethische und kulturelle Konsequenzen. Diese ergeben sich aber erst aus dem Glauben an Gott als Schöpfer. Aussagen zur Schöpfung verwandeln sich daher auch nicht plötzlich in theologische Weltentstehungstheorien, die mit naturwissenschaftlichen Theorien auf derselben Ebene zu vergleichen wären.

Diesen Anschein weckt der "Kreationismus", indem er die biblischen Aussagen zur Schöpfung wörtlich nimmt. Der "Neokreationismus", eine Weiterentwicklung, will immerhin in der Natur eine höhere Ordnung als "Plan" eines "intelligenten" Designers, sprich Weltentwerfers (Intelligent Design), wissenschaftlich nachgewiesen haben. Die Methode früherer Gottesbeweise kehrt im pseudonaturwissenschaftlichen Gewand wieder, um endlich zu überzeugen.

Eine solche Mischung aus einer vermeintlich wissenschaftlich möglichen Beweisführung und einer religiösen Konsequenz, wie sie zur Zeit missionarisch von den Vereinigten Staaten nach Europa ausgebreitet wird, kann nicht mit Hilfe der Formel des christlichen kulturellen Erbes legitimiert werden. In den Biologieunterricht gehört die Auseinandersetzung mit einer konkurrierenden, verkappt christlichen Version der Deutung des Ursprungs und letzten Sinns des Seins jedenfalls nicht. Ihr Ort ist zunächst der Religionsunterricht. Auch die Kirchengemeinden können sich dieses Themas annehmen.

Die Naturwissenschaften sind in ihren Befunden und Hypothesen über Weltentstehung und Evolution der einschlägigen, ständig revisionsoffenen Forschung verpflichtet. Bekenntnisse des Schöpfungsglaubens in der Kirche sind demgegenüber mit einer Tradition von Gottesbegegnungen und -erfahrungen verbunden, die als Offenbarung interpretiert werden und auf ihre Bezeugung in Zeugnis und Verkündigung angewiesen sind. Die wissenschaftliche Theologie ist als Wissenschaft zwar ebenfalls dem Ethos und den Methodologien wissenschaftlicher Forschung verpflichtet und prägt entsprechend den schulischen Religionsunterricht. Aber sie bezieht sich auf eine Glaubenstradition, die ihr vorgegeben ist und die sie verstehend und prüfend bewusstmachen will.

Geltung aus existentieller Gewissheit

Auch bezüglich ihres Sprachsinns im Sprachhandeln haben biblische und naturwissenschaftliche Aussagen nicht dieselbe sprachliche Bedeutung. Das gilt auch dann, wenn die Aussagen über die Weltentstehung und die Erschaffung der Erde in sieben Tagen am Anfang der Bibel wie ein Bericht abgefasst (Buch Genesis, Kapitel 1), an anderer Stelle als Erzählung über Geschehnisse im Paradies überliefert sind (Buch Genesis, Kapitel 2). Beide Male handelt es sich um bedeutungsvolle theologische Aussagen gläubiger Menschen. Ihre Geltungskraft beziehen sie aus existentieller Gewissheit, deren Plausibilität anderen nicht durch Beweise als allgemeingültige Wahrheit deutlich gemacht werden kann. Beide Schöpfungserzählungen wollen die Macht und die Güte des biblischen Gottes in Abgrenzung zu anderen Weltentstehungsmythen und Göttern zur Geltung bringen. Ihre Bedeutung wurzelt in einer Beziehungserfahrung zwischen dem Volk Israel und Gott, nicht in einer für jedermann einsehbaren Form außerhalb dieser Beziehung. Die geschichtlichen Glaubenserfahrungen der Güte Gottes sind zeitlich später universalisiert und auf die ganze Schöpfung als ursprünglich "sehr gute" Schöpfung (Gen 1, 31) übertragen worden. Die Kirchen folgen in der Gegenwart dieser Sicht in Dankbarkeit gegenüber Gott und in der Sorge um die Erhaltung unserer natürlichen Lebenswelt.

In der Form von Bericht und Erzählung hat man in der Bibel Glaube und Weltwissen nach dem Stand des damaligen naturkundlichen Wissens überliefert, ohne einen Widerspruch zu empfinden. Genesis 1, der Text über die Schöpfung in sieben Tagen, interpretiert jedoch das vorgefundene Wissen in einer revolutionären neuen religiösen Deutung. Aus Sonne und Mond werden zweckmäßige "Lichter" für den Tag und die Nacht - die Himmelsgestirne verlieren ihren göttlichen Charakter. Schlechthin alles ist nur "geschöpflich" und "endlich" und dem Menschen für eine Untersuchung mit seinen Mitteln anvertraut. Damit markiert die Bibel kulturgeschichtlich den Beginn profaner Naturforschung, die sich ihrer Verantwortung nicht entzieht. Große Naturwissenschaftler sind sich in unserer Zeit der Grenzen und Gefahren der menschlichen Möglichkeiten aufs Neue bewusst geworden.

Werden indes kategoriale Unterscheidungen zwischen Glauben und Wissen nicht aufgehoben und die Unterschiede der Aussageebenen und -grundlagen vorausgesetzt, können und müssen die naturwissenschaftliche und die religiöse Weltbetrachtung miteinander in Beziehung gesetzt werden. Was ist dabei zu beachten?

Die Zuordnung darf nicht so verlaufen, dass Theologen von naturwissenschaftlichen Aussagen über Weltentstehung und Evolution als "bloßen", unbewiesenen Vermutungen reden. Ein solcher Ansatz ist nicht nur angesichts der heutigen Mikrobiologie abwegig. Er fiele außerdem sofort auf die Glaubensaussagen zurück, die dann erst recht als "bloße" Behauptungen abgewertet würden.

Zugleich sollten Naturwissenschaftler Glaubenserfahrungen und Theologie nicht als irrational abtun, sei es, weil sie ihren wissenschaftlichen Methoden misstrauen, sei es, weil sie den eigentümlichen Charakter existentieller Sinnerfahrungen vom Charakter gegenstandsbezogener Analysen nicht zu unterscheiden wissen. Beide, Naturwissenschaft und Theologie, werden so nicht ernst genommen.

In der Schule sollte komplementäres Denken erlernt und in der Zusammenarbeit der einschlägigen Fächer entfaltet werden. Dabei stellen sich dem christlichen Religionsunterricht bei der Behandlung des Themas Schöpfung derzeit zwei Aufgaben. Über den Kreationismus und das Konzept des "Intelligent Design" muss er kritisch aufklären. Dazu ist er aus inhaltlichen theologischen Gründen verpflichtet, denn weder braucht noch verträgt der biblische Gottesglaube pseudowissenschaftliche Beweise.

Zugleich muss der Religionsunterricht Kreationismus und "Intelligent Design" aus methodischen Gründen ablehnen. Andernfalls geriete die Theologie als maßgebliche Bezugswissenschaft neben der Erziehungswissenschaft als der Berufswissenschaft der Lehrer in ein Zwielicht, das Vorurteile begünstigt. Der theologisch verantwortliche Religionsunterricht teilt viele wissenschaftliche Methoden mit anderen Fächern, etwa die der Textauslegung mit jedem anderen Literaturunterricht und geschichtswissenschaftliche Methoden in der Kirchengeschichte. Bei systematischen Glaubensproblemen müssen Religionslehrkräfte logisch denken können und die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen ihres Argumentierens selbstkritisch durchschauen. Anhand dieser Methoden ist in elementarisierender Weise die Auseinandersetzung mit dem Kreationismus und Intelligent Design zu führen. Sofern jene Ansätze den Biologieunterricht unterminieren und ihn als Ausdruck einer gottlosen materialistischen Weltanschauung brandmarken wollen, ist allerdings übrigens auch der Biologieunterricht gehalten, kritisch Stellung zu nehmen.

Die Auseinandersetzung mit dem Kreationismus ist gleichwohl nicht eine der Hauptaufgaben des Religionsunterrichts. Er hat die bei ihrer Sache bleibende, ihrer Grenzen bewusste Evolutionsforschung und das theologisch angemessene Verständnis des Schöpfungsglaubens in Unterscheidung und Zuordnung einleuchtend und konstruktiv aufeinander zu beziehen.

Schon die reformatorische Theologie hat die um ihre Grenzen wissende Vernunft in ihr Recht gesetzt. Auch in der Schule dürfen die profanen Fächer nicht bevormundet werden. Die Schüler sollten vielmehr erkennen lernen, dass die Vernunft auch innerhalb von Glauben und Theologie notwendig mitwirkt, nämlich bei der gedanklichen Rechenschaft über religiöse Überzeugungen und Gewissheiten. Auf dieser Basis können die Heranwachsenden lernen, dass Sinnerfahrungen in Gestalt existentieller Glaubens- und Lebenserfahrungen etwas anderes sind als gegenstandsbezogene Analysen.

Gegensätzliche Einstellungen gegenüber der Natur

Sinn wird in der Begegnung mit der Natur vielgestaltig erlebt, praktisch in ihrer einleuchtenden evolutionären Zweckmäßigkeit wie auch verheerend in ihrem empfindungslosen Wüten, ästhetisch in der Fülle ihrer wunderbaren, schönen farbigen Erscheinungen und der Musikalität Tausender Stimmen. Wir erleben sie emotional und religiös, allerdings abhängig von unserer situationsgebundenen Wahrnehmung, einmal in der "Herrlichkeit" ihrer Erscheinungen in einer Situation hierfür empfänglicher "Heiterkeit" mit unserer "Seele" als "Spiegel des unendlichen Gottes" (Goethes "Werther", Brief vom 10. Mai), in Leid, Schmerz und Ausweglosigkeit oft nur noch "wie ein lackiertes Bildchen", das keinen Sinn mehr weckt oder stützt, weil man "vor Gottes Angesicht steht wie ein versiegter Brunn(en) . . . " (Brief Werthers vom 3. November).

In diesem Sinn sollten Biologie und Biologieunterricht die je besondere Eigenart und das jeweilige Eigenrecht der außerwissenschaftlichen praktischen, ästhetischen, religiösen und anderen Umgangsformen mit der Natur sehen und anerkennen. Es wäre unsinnig, die einen Umgangsformen gegen die anderen auszuspielen oder ihre jeweilige Bedeutung auszutauschen. Durch wechselseitige Kategorienverwechslungen und Verabsolutierungen entsteht Verwirrung. Bildung aber lebt von der Klarheit des Wissens und der Unterscheidungsfähigkeit.

Schließlich kann unsere Wahrnehmung sehr gegensätzliche Einstellungen gegenüber der Natur entbinden. Uralt scheint das Staunen ihr gegenüber zu sein. Es ist gut, wenn unsere Schulen diesem Staunen Raum geben. Aber der Biologieunterricht kann sich nicht als allgemeingültig ausgeben, wenn religiöse Menschen aus dem Staunen über die Wunder der Natur einen "Plan" Gottes ablesen, der ihnen Gottes Existenz bestätigt, und andere Menschen aufgrund derselben Natur angesichts ihrer Katastrophen Gott leugnen.

Auf eine Formel gebracht, kommen die unterschiedlichen und dennoch zugleich im Leben zusammengehörigen Perspektiven in einem kontextbewussten "Denken in Komplementarität" zusammen. In dem einen Kontext ist die evolutionstheoretische Sicht, in anderen Kontexten sind die genannten anderen Perspektiven einschließlich der Sicht des christlichen Glaubens bedeutsam. Die im Religionsunterricht erprobte Komplementarität hilft, die naturwissenschaftlichen und religiösen "Wahrheitsweisen" angemessen zu verorten und trotz logischer Gegensätze ("Evolution" ist nicht gleichartig und gleichwertig mit "Schöpfung") aufeinander zu beziehen. Richtige, aber meist zu allgemeine schulpolitische Aufgabenbestimmungen wie die der "Vermittlung" naturwissenschaftlicher und philosophisch-religiöser Aspekte verlangen in der Schulpraxis differenzierende Zuordnungen.