Kirchenexperte Faigle sieht Sudan vor Wahlen am Scheideweg

Berlin (epd). Der neue Sudan-Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Volker Faigle (61), sieht das krisengeschüttelte afrikanische Land an einem Scheideweg. Kurz vor den ersten Mehrparteienwahlen seit mehr als 20 Jahren vom 11. bis 13. April ändere sich die politische Lage von Stunde zu Stunde, sagte Faigle in einem epd-Gespräch: "Das ist sehr beunruhigend." Es gebe Boykottaufrufe, und die Wahlen könnten sogar noch verschoben werden. "Es ist eine Unsicherheit bis zur letzten Minute", sagte Faigle.

Der Theologe bezeichnete die geplanten Präsidenten-, Parlaments-, Regional- und Bürgermeisterwahlen im Sudan als politischen Meilenstein, der aber einige Schönheitsfehler habe. Mit dem Urnengang werde fünf Jahre nach dem Ende des zwei Jahrzehnte währenden Bürgerkriegs im Südsudan auch über den Fortgang des Friedensprozesses entschieden. "Deshalb hoffen wir, dass es zu Wahlen kommt, die einigermaßen frei und fair verlaufen", sagte Faigle. Im Friedensvertrag von 2005 waren demokratische Wahlen vereinbart worden.

Faigle schließt Kompromisse zwischen dem Regierungslager um Präsident Omar al-Baschir und den wichtigsten Oppositionsgruppen in letzter Minute nicht aus. Dann könnte es auch einen Fahrplan geben, um die geplante Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Südsudan im Januar 2011 auszuhandeln. "Allerdings bin ich da ziemlich im Zweifel", räumte der Afrika-Kenner ein.

Zu befürchten seien auch eine Verhärtung der Fronten oder sogar ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs. "Es ist wirklich alles offen", sagte der Theologe und Bankkaufmann, der sechs Jahre lang in Kenia tätig war und um die Jahrtausendwende ein Dialogprogramm im Sudan leitete. Faigle ist der einzige EKD-Beauftragte, der für ein Land zuständig ist. Die Berufung eines ersten Sudan-Beauftragten erfolgte vor einigen Jahren in Reaktion auf Hilferufe sudanesischer Kirchen.

08. April 2010


Ein Islamist, ein Kriegsverbrecher und ein Ex-Rebell

Im Sudan kämpfen vor allem drei Männer um die Macht

Von Marc Engelhardt (epd)

Nairobi/Khartum (epd). Es sind vor allem drei Männer, die bei den Wahlen vom 11. bis 13. April um die Macht im Sudan kämpfen: Der Putschist und gesuchte Kriegsverbrecher Omar al-Baschir wird vermutlich als Sudans Präsident wiedergewählt. Sein ehemaliger Verbündeter, der Islamistenführer Hassan al-Turabi, will seinen Einfluss im größten Land Afrikas wieder vergrößern. Und der ehemalige Rebell und Präsident des halbautonomen Südsudan, Salva Kiir, erhofft sich Auftrieb für das Streben nach staatlicher Unabhängigkeit.

Dass Al-Baschir (66) im ersten Wahlgang gewählt wird, ist so gut wie sicher, seitdem nahezu alle anderen Parteien ihre Kandidaten zurückgezogen haben. Doch selbst ohne Boykott, darin sind sich Opposition und unabhängige Beobachter einig, hatte Al-Baschir seinen Sieg bereits mit gefälschten Wahllisten, der Unterdrückung der Opposition und der Beeinflussung der Wahlkommission gesichert. Der Wahlsieg ist für Al-Baschir, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen in Darfur gesucht wird, so wichtig, weil er ihm Legitimation verleiht, die dem Offizier seit seinem Putsch 1989 fehlt.

Der Wahlboykott dürfte den Spross einer alten, sehr einflussreichen Familie nicht wirklich anfechten. Seine fehlende Bildung gleicht der gewiefte Taktiker schon lange mit martialischem Auftreten aus. Al-Baschirs wahre Heimat ist das Militär: Mit 16 Jahren trat er in die sudanesische Armee ein. 1973 kämpfte er im Yom-Kippur-Krieg an der Seite ägyptischer Truppen gegen Israel und in den 80er Jahren gegen die Rebellen im Südsudan.

Der einzige prominente Gegenkandidat Al-Baschirs ist ein alter Kampfgefährte: der Islamist Hassan al-Turabi (78), mit dessen Hilfe sich Al-Baschir 1989 an die Macht putschte, bevor er ihn ins Gefängnis werfen ließ. Al-Turabi ist der Sohn eines muslimischen Rechtsgelehrten. In den 40 Jahren, die er in der Politik verbracht hat, wechselten sich Haft und hohe Ämter mehrfach ab. Jetzt will er erneut versuchen, mit seiner Volkskongresspartei die Regierung zu übernehmen.

Al-Turabi ist ein promovierter Jurist, der in London und Paris studiert hat. Er gehört zu den schillerndsten Persönlichkeiten der sudanesischen Politik. Er mischt in islamistischen Gruppen wie der "Muslimischen Bruderschaft" mit, in religiösen Fragen gab er sich oft moderat. Doch sanften Worten ließ Al-Turabi brutale Taten folgen: Nach 1989 wurde er schnell für Folter und willkürliche Hinrichtungen bekannt, 1991 lud er den Terroristenführer Osama bin Laden in den Sudan ein, um von dort seinen Dschihad zu planen.

Der ehemalige Rebellenführer Salva Kiir verzichtete hingegen schon früh darauf, gegen Al-Baschir zu kandidieren. Er kämpft - ohne nennenswerten Gegenkandidaten - einzig um das Amt des Präsidenten des halbautonomen Südsudan, das ihn automatisch zum Stellvertreter des Präsidenten in Khartum macht. Das Desinteresse am höchsten Staatsamt hat vor allem einen Grund: Wenn es nach den Wünschen des 59-jährigen geht, wird der Südsudan bald unabhängig.

Der langjährige Rebellenführer, der seit seiner Jugend im Busch für die Loslösung des christlich-animistisch geprägten Südsudan gekämpft hat, will seinen Traum endlich wahr machen. Die Wahl ist dafür nur eine Zwischenstation: Der Friedensvertrag von 2005 sieht vor, dass auf die Wahlen das Referendum für die Unabhängigkeit des Südens folgen wird. Erwartete Zustimmung: 90 Prozent.

Dass Kiir im Südsudan gewählt wird, ist sicher. Die schwache Opposition hat - auch wegen Schikanen von SPLM-Anhängern - kaum Chancen, gegen die mächtigen Ex-Rebellen zu gewinnen. Kiirs Herausforderungen sind jedoch immens: Nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg ist der Südsudan so unterentwickelt ist wie kein anderes Land in Afrika. Korruption innerhalb von Kiirs SPLM und Angriffe von Aufständischen, die vom Norden unterstützt werden, sind weitere Probleme. Zudem wird bezweifelt, dass die ehemaligen Rebellen schon in der Lage sind, einen eigenen Staat zu führen: Dieser Kritik widerspricht Kiir vehement.

08. April 2010


Von der Schicksalswahl zur Farce

Im Sudan hat der umstrittene Präsident Al-Baschir keine ernsthaften Gegner mehr

Von Marc Engelhardt (epd)

Nairobi/Khartum (epd). Es sollte eine Schicksalswahl werden: Zum ersten Mal seit 24 Jahren sollte die Bevölkerung im Sudan zwischen mehreren Parteien und Kandidaten wählen können. Doch die Abstimmung über den Präsidenten, Parlamente, Bürgermeister und weitere Funktionsträger vom 11. bis 13. April verkommt zur Farce. Alle nennenswerten Oppositionsparteien zogen sich aus dem Rennen zurück.

Die ehemaligen Rebellen der "Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung" (SPLM) treten nur noch in ihrer Hochburg im Süden des Landes an. Die wichtigste Opposition im Nordsudan, die Umma-Partei, kündigte als letzte Partei ihren Rückzug an. "Wir boykottieren die Wahl, weil unserer Forderung nach Verschiebung nicht entsprochen worden ist", verkündete Umma-Sprecherin Sara Nugd-Alla am Mittwochabend. "Wir werden die Ergebnisse nicht anerkennen."

In einer gemeinsamen Erklärung der Opposition werden die Gründe für den Boykott aufgeführt: die Fälschung der Volkszählung und der Wählerlisten, Behinderung der Opposition im Wahlkampf durch Regierungsmilizen und Sicherheitskräfte sowie die Beeinflussung der Nationalen Wahlkommission durch die Regierungspartei von Präsident Omar al-Baschir.

Der Staatschef, seit 1989 im Amt, wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen der Kriegsverbrechen in Darfur gesucht. Mit dem massenhaften Boykott der Opposition schwindet seine Hoffnung, durch die Wahl demokratisch legitimiert zu werden. Zuletzt hatte Al-Baschir mit Drohungen versucht, den Schein einer freien Wahl aufrecht zu erhalten: Falls die SPLM die Wahl behindere, werde er die 2011 geplante Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Südsudan blockieren.

Doch die SPLM, die zwei Jahrzehnte lang für die Autonomie des Südsudans gekämpft hatte, ließ sich davon nicht beeindrucken. Dennoch hat Al-Baschir Grund, sich zu freuen: Seine Wiederwahl im ersten Wahlgang gilt nach dem Rückzug aller anderen aussichtsreichen Kandidaten als sicher.

Die Wahlkommission hielt noch am Dienstag bei einem Treffen mit internationalen Beobachtern in Khartum die Behauptung aufrecht, die Abstimmung werde frei und fair verlaufen. Bei dem gleichen Treffen jedoch listete die UN-Mission im Sudan in einer langen Liste auf, wo im Land zu wenig oder falsch gedruckte Wahlzettel ausgeliefert wurden. In einem Bundesstaat, Jonglei, wurden bislang gar keine Wahlzettel ausgeliefert: Sie waren offenbar falsch beschriftet worden.

Am umstrittensten ist die Lage in der westsudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur. Nach einem Bericht der Konfliktforscher der International Crisis Group wurden in Darfur, wo 19 Prozent aller sudanesischen Wähler leben, nur Unterstützer der Regierung registriert. Die meisten der 2,6 Millionen Vertriebenen hingegen, die als Oppositionsanhänger gelten, stünden nicht auf den Wählerlisten.

"Die Lage in manchen Teilen Darfurs ist schrecklich", sagt auch die Chefin der EU-Wahlbeobachtungsmission, die Belgierin Veronique De Keyser. "Nicht einmal humanitäre Helfer können dorthin, also können wir es auch nicht." De Keyser kündigte am Donnerstag an, alle EU-Wahlbeobachter aus Darfur abzuziehen. Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern sogar, die EU solle die Mission ganz aufgeben.

"Wenn die Beobachter bleiben, geben sie einem Prozess eine scheinbare Legitimität, der in Wirklichkeit tief von Mängeln behaftet ist und einem Kriegsverbrecher ins Amt verhelfen soll", erklären die Bürgerrechtler der "Sudan Democracy First Group". Sie werfen ausländischen Beobachtern vor, sich von der Einschüchterungstaktik der Regierung beeinflussen zu lassen und zu wenig Kritik zu üben.

Auch Oppositionelle im teilautonomen Süden Sudans, wo die SPLM mit Salva Kiir einen eigenen Präsidenten stellt, klagen über Behinderungen im Wahlkampf. Unabhängige Kandidaten protestieren gegen willkürliche Festnahmen ihrer Anhänger.

Ein weiteres Problem ist die Wahl selber: Im Süden des Sudan, wo die Mehrheit der Bevölkerung noch nie zu den Urnen gehen konnte, müssen Wähler zwölf Stimmzettel ausfüllen. Wahlbeobachter bemängeln, dass selbst an Wahlen gewohnte Europäer Probleme hätten, die wilde Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht zu durchblicken. Dass die Ergebnisse wie geplant am 18. April vorliegen, glaubt vor diesem Hintergrund kaum jemand.

08. April 2010