EKD-Ratsvorsitzender: Es gibt keinen Fußballgott

Köln (epd). Fußball und Religion haben nach Ansicht des amtierenden Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, viel miteinander zu tun. "Es geht zum Beispiel um die Bewältigung von Höhen und Tiefen", sagte Schneider am Freitag im Kölner Deutschlandfunk. Es gehe zudem darum, mit Erfolgen und Niederlagen umzugehen, ohne daran zu zerbrechen. Allerdings gebe es keinen "Fußballgott", so der evangelische Theologe.

Auf die Frage, ob man für seine Mannschaft beten soll, sagte Schneider: "Gott ist nicht derjenige der das Spiel entscheidet." Das seien die Mannschaften und die Art und Weise wie sie spielen - "und manchmal auch die Schiedsrichter", fügte Schneider hinzu, der auch Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland ist. Man könne allerdings bei Gott um die nötige Gelassenheit bitten, damit alle ihr Bestes geben.

Bei einem möglichen Elfmeterschießen beim Spiel Deutschland-England am Sonntag werde er nicht für die deutsche Elf beten, sagte Schneider weiter. Gott sei ja kein Automat, bei dem man Geld einwirft, damit dann das Gewünschte herauskommt. Allerdings werde er dem jeweiligen Spieler dann wünschen, dass er bei seinem Schuss präsent und konzentriert ist, "dass er die Leistung, die er bringen kann, in dem Moment dann auch bringt".

25. Juni 2010


Das Interview im Wortlaut:

„Die Alltagstauglichkeit des Glaubens wird wieder deutlich"

EKD-Ratspräsident Schneider über Fußball und Religion

Nikolaus Schneider im Gespräch mit Friedbert Meurer

2000 evangelische Gemeinden bieten Public Viewing an. Nationalspieler wie Cacau oder Mesut Özil beten öffentlich vor dem Anpfiff. Fußball und Gott, geht das zusammen? Ja, meint Nikolaus Schneider, Ratspräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Friedbert Meurer: "Toni, du bist ein Fußballgott!" Herbert Zimmermann, der legendäre Reporter, 1954 in Bern, er handelte sich damals einigen Ärger ein mit dieser Formulierung, Ärger bei den Kirchen wegen des Fußballgotts Toni Turek, des Torwarts. Andererseits: wir erleben jetzt bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika betende Spieler, auf Knien wird um den Sieg gefleht.
Der amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, gilt als fußballbegeistert. Vorgestern Abend hat er im Internet das Spiel der Deutschen live im WM-Ticker kommentiert. - Guten Morgen, Herr Schneider.

Nikolaus Schneider: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.

Meurer: Als Sie den Ticker vorgestern geschrieben haben, saßen Sie da eigentlich mit Deutschland-Trikot und Vuvuzela in der Hand am Laptop?

Schneider: Nein, so weit geht es bei mir nicht, sondern ich saß ganz entspannt in Freizeitkleidung am Laptop und hatte natürlich doch die obligatorischen Erdnüsse und ein bisschen was zu trinken da.

Meurer: Aber keinen Deutschlandschal um den Hals, Mütze auch nicht, alles nicht?

Schneider: Nein, das nicht. Das würde ich höchstens in einer größeren Gemeinschaft machen, aber so für mich vor dem Fernseher kommt mir das komisch vor.

Meurer: Warum ist der amtierende EKD-Ratspräsident zum Fußballreporter geworden?

Schneider: Das war eine Idee unserer Öffentlichkeitsarbeit, die gesagt haben, wäre doch ganz schön, wenn du das machen würdest. Die wussten, dass ich selber lange Fußball gespielt habe, dass ich ein bisschen Fußballverstand habe, dass ich ein Gefühl dafür habe, was auf dem Platz abgeht, also auch, wie die Spieler sich fühlen, was in so einer Mannschaft vorgeht, und dann haben die gesagt, wäre ganz schön, wenn du ein bisschen kommentieren würdest. Die Idee fand ich auch ganz schön und dann haben wir das gemacht.

Meurer: Es wird ja immer wieder geschrieben über den Vergleich zwischen Fußball und Religion. Was haben diese beiden Dinge miteinander gemein?

Schneider: Es geht zum Beispiel um die Bewältigung von Höhen und Tiefen. Es gibt ja Erfolge und es gibt Niederlagen, mit denen müssen wir umgehen, daran dürfen wir nicht zerbrechen. Es gibt die Erfahrung, dass ich was will, aber es geht nicht. Ich gebe mir noch so viel Mühe, ich renne, ich ackere, und der Ball verspringt, der Pass geht daneben, die Mitspieler, mit denen ich mich bisher gut verstanden habe, verstehen mich plötzlich nicht, und es ist so ein einziges Gewürge und Krampf. Das letzte Spiel hatte davon auch einiges zu bieten, was wir da gesehen haben. Das hat auch ein bisschen was mit uns und der menschlichen Natur zu tun, das kennen wir auch aus Berichten der Bibel, dass wir nicht so ausgestattet sind, dass wir wie Maschinen funktionieren. So sind Menschen nicht.

Meurer: Spieler beten deswegen auch auf dem Platz, obwohl das eigentlich die FIFA, glaube ich, sogar verboten hat. Wie finden Sie das, wenn Sie das sehen, wie gerade afrikanische Mannschaften beten, der Torwart kniet und betet, alle um ihn herum?

Schneider: Da habe ich viel Verständnis dafür, weil das zeigt auch ein Wissen darum, dass wir eben nicht perfekt sind, sondern dass einiges mehr dazu zusammenkommen muss, damit unser Leben gelingt. Dass wir so um den Beistand Gottes bitten, heißt ja auch, dass wir sozusagen dann präsent sind, weil wir in uns ruhen, weil wir uns auf Gott verlassen können und wissen, er ist bei uns in den Höhen und den Tiefen, und das kann eine gewisse Gelassenheit geben, sodass man also einfach um den Beistand und die Gegenwart Gottes bittet.

Meurer: Darf man für so etwas Profanes Gott bitten und beten, dass man gewinnt im Fußball?

Schneider: Gott ist nicht derjenige, der das Spiel entscheidet, sondern das machen die Mannschaften und die Art und Weise, wie sie spielen, und manchmal auch die Schiedsrichter. Worum man wirklich in dem Fall bitten kann, ist, dass Gott mir die Gelassenheit gibt, oder dass er mir die Chance gibt, so in mir zu ruhen, dass ich dann auf dem Platz und bei dem Spiel auch zu dem komme, was ich wirklich bin und was ich wirklich kann.

Meurer: "Toni, du bist ein Fußballgott!" So hat Reporter Herbert Zimmermann 1954 beim Endspiel in Bern den deutschen Torwart Toni Turek bezeichnet, heftigen Protest damals übrigens geerntet. Könnte das Ihnen herausrutschen beim Elf-Meter-Schießen, Deutschland gegen England, "Manuel, du bist ein Fußballgott!"?

Schneider: Nein, das könnte mir wirklich nicht rausrutschen, weil es gibt keinen Fußballgott. Das ist in der Tat Idolatrie.

Meurer: Entschuldigung! Das ist was, Idolatrie?

Schneider: Das ist die Vergottung von Menschen und das ist Missbrauch von Menschen. Es gibt keinen Menschen, der Gott ist.

Meurer: Aber die Spieler beten offenbar zum Fußballgott?

Schneider: Die Spieler beten zu Gott.

Meurer: Zwei deutsche Spieler fallen auf beim Gebet. Das ist Cacau, der betet, christlichen Glaubens, und Mesut Özil, der neue Volksheld, betet zu Beginn des Spiels Koran-Ferse. Wie erleben Sie diese multireligiöse Situation in der deutschen Nationalmannschaft?

Schneider: Das ist doch interessant, dass sozusagen die Alltagstauglichkeit des Glaubens wieder deutlich wird. Das ist in unserer Gesellschaft ja sonst kaum zu sehen. Dass Menschen zu ihrem Glauben ganz öffentlich stehen, dass sie ihn auch ganz öffentlich präsentieren, das ist so was wie eine Rückkehr des Religiösen in Zeiten, wo man eigentlich doch erwartet hatte, wo viele angekündigt hatten, dass die Religion sich auflösen und verschwinden wird. Das Phänomen macht öffentlich, dass dem nicht so ist.

Meurer: Es gibt Untersuchungen, gerade jetzt kürzlich, die sagen, unsere Gesellschaft wird immer säkularer. Trauen sich die Deutschen nicht mehr, öffentlich zu beten?

Schneider: Man muss jetzt überlegen, was säkularer heißt. Ich denke, die Dimension des Religiösen löst sich eben nicht auf, sondern Menschen haben ein Verlangen danach zu fragen, wo sie herkommen, wo sie hingehen, was ihnen ein Fundament fürs Leben sein kann. Angesichts der Zerbrechlichkeit der Lebensfundamente, angesichts auch der Bruchstückhaftigkeit, die wir alle selber sind, da fragen Menschen danach.
Das andere ist: Wie ist das mit den Religionsgesellschaften, also auch mit den Kirchen, oder den anderen, den Freikirchen. Da zeigt sich, dass die Bereitschaft, sich zu binden und sich einzugeben in eine solche Religionsgesellschaft, vermutlich weiter abnimmt, weil das Bedürfnis, den eigenen Glauben selber aus eigener Verantwortung zu leben, aus eigener Einsicht zu leben, ihn ganz individuell zu leben, wohl offensichtlich auch zunimmt.

Meurer: Ich lese, dass in Deutschland 2.000 evangelische Gemeinden Public Viewing anbieten. Müssen die Pfarrer jetzt schon Länderspiele zeigen, damit die Leute in die Kirche gehen?

Schneider: Die Pfarrer sind genauso fußballverrückt wie andere auch und die Gemeinden eben auch, und das dann so zu machen, finde ich sehr sympathisch.

Meurer: Es ist nicht mehr Weltlichkeit in den Gemeinderäumen, die damit Einzug hält?

Schneider: Nein, nein, sondern es ist einfach der Alltag des Lebens, und das ist doch gut so. Unser Glaube ist ja nicht etwas Elitäres alleine für den Sonntag, sondern der Glaube soll alltagstauglich sein.

Meurer: Herr Schneider, Sonntag Deutschland gegen England. Wenn es um etwa 18:30 Uhr Elf-Meter-Schießen gibt, werden Sie dann für Deutschland beten?

Schneider: Also das werde ich nicht, weil so funktional ist das nicht. Gott ist ja nicht wie ein Automat: Man wirft mal einen Groschen rein, also wie ein Gebet, und dann kommt das und das heraus. Nein, das werde ich nicht tun, sondern ich wünsche dann dem Spieler, der schießt, dass er wirklich so präsent ist, dass er so konzentriert ist, dass er die Leistung, die er bringen kann, in dem Moment dann auch bringt.

Meurer: Nikolaus Schneider, der amtierende Ratspräsident der EKD, hat vorgestern das Spiel Deutschland gegen Ghana im Internet kommentiert. Herr Schneider, schönen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

Schneider: Gerne, Herr Meurer. Auf Wiederhören!

Quelle: Deutschlandfunk vom 25. Juni