Die Würde des Menschen steht im Mittelpunkt

Fünf Jahrzehnte "Brot für die Welt" - Vom Spendenaufruf zum professionellen Hilfswerk

Stuttgart (epd). Die Geburtsstunde von "Brot für die Welt" schlug am 12. Dezember 1959. Rund 12.000 Menschen waren in die Berliner Deutschlandhalle gekommen, wo sie der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer aufrütteln wollte, "aus der Trägheit des Herzens". Viele Mark und viele Pfennige wanderten in die aufgestellten großen Spendendosen. Es waren die Dosen, in denen die US-Amerikaner Milchpulver ins darbende Nachkriegsdeutschland geschickt hatten. Aus Dankbarkeit sollten nun deutsche Christen in den ersten Wirtschaftswunderjahren Hungernde in Indien und Afrika bedenken.

Das Echo übertraf die Erwartungen. Mit fast 20 Millionen Mark Spenden hatten die evangelischen Landes- und Freikirchen, die Träger von "Brot für die Welt", nicht gerechnet. Das erste Geld ging unter anderem nach Marokko, Chile und Indonesien. Was als einmalige Aktion gedacht war, wurde zur ständigen Einrichtung. Wenn am Sonntag (30.11.) die 50. Sammelaktion "Brot für die Welt" in Berlin startet, steht dahinter eine der größten Spendenorganisationen in Deutschland mit mehr als 100 Mitarbeitern. 2007 gingen fast 53 Millionen Euro ein.

Als einer der Ehrengäste ist der anglikanische Erzbischof David Gitari aus Kenia zum Jubiläum eingeladen, der als "Bischof der Armen" geschätzt wird. Gitari, heute im Ruhestand, kam auch einmal nach Stuttgart, um zu feiern. Der Bischof wollte sich damals mit "Brot für die Welt" über das friedliche Ende des Regimes von Daniel arap Moi Ende 2002 freuen. "Wir verdanken das Euch", sagte der Bischof, der mehrere Mordanschläge überlebt hat, zu "Brot-für-die-Welt"-Direktorin Cornelia Füllkrug-Weitzel.

Viele Jahre hatte die Hilfsorganisation die Arbeit des Kenianischen Kirchenrats für Menschenrechte und Demokratie unterstützt. Dieses Projekt steht für den Wandel, den "Brot für die Welt" in fünf Jahrzehnten vollzog: Von der akuten Nothilfe in den Anfangsjahren zu der langfristigen Entwicklungsarbeit, den politischen Kampagnen und strategischen Hilfen von heute, um die Wurzeln von Hunger und Armut anzugehen. "Brot für die Welt" verschrieb sich früh der Hilfe zur Selbsthilfe. Doch "es dauerte fast zwei Jahrzehnte, um den Weg vom Großkrankenhaus zum Basisgesundheitsdienst zu gehen", sagte der 2003 verstorbene langjährige Direktor Hans-Otto Hahn einmal selbstkritisch.

Das Erbe des Kolonialismus und der Kalte Krieg: "Brot für die Welt" ergriff Partei und handelte sich trotz strikter Gewaltfreiheit den Vorwurf ein, bewaffnete Gruppen in Brasilien, im Nahen Osten oder den Philippinen zu unterstützen. Für Streit sorgte auch die Apartheid in Südafrika. 1970 zog sich "Brot für die Welt" schließlich vom Antirassismusprogramm des Weltkirchenrates zurück. Die Aktion "Hunger durch Überfluss" empörte 1981 die Bauernverbände und löste hitzige Diskussionen über Agrarexporte, Viehfutterproduktion und Fleischkonsum aus.

Mit der Grundsatzerklärung "Den Armen Gerechtigkeit" wurde 1989 das Ziel formuliert, ungerechte Verhältnisse zu ändern. 1997 legt sich "Brot für die Welt" auf die Förderung einer nachhaltigen kleinbäuerlichen Landwirtschaft fest, ohne Chemie. "Empowerment" wurde zum Ziel der Entwicklungsprojekte, also die Stärkung und Bildung von landlosen Bauern, Slumbewohnern oder indianischen Frauen, damit sie selbst ihre Rechte einfordern und ihre Lebensverhältnisse verbessern können. "Ich kenne kein besseres Konzept als Empowerment", sagt Direktorin Füllkrug-Weitzel.

Der frühere Entwicklungsminister Erhard Eppler (SPD) ist überzeugt, dass "Brot für die Welt" in fünf Jahrzehnten Millionen von Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht hat. Die Entwicklungszusammenarbeit zwischen kirchlichen Partnern gewinnt für ihn neue brisante Aktualität: "Wo Staaten zerbröseln, halten Kirchengemeinden zusammen." Füllkrug-Weitzel misst den Erfolg der Projekte nicht in volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen: Im Mittelpunkt stehe der einzelne Mensch, mit seiner Würde und seinem Stolz.

Zum Ausruhen bleibt keine Zeit. "Brot für die Welt" will in seinem 50. Jahr eine lernende Organisation bleiben und sich auf die Herausforderungen der Globalisierung einstellen. Aufbruch ist angesagt. Bis 2013 ist ein Zusammenschluss mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst geplant, unter einem gemeinsamem Dach mit der Diakonie, dann in Berlin. Die Fusion soll eine neue Verbindung von Entwicklungs- und Sozialarbeit im In- und Ausland ermöglichen. Auch international will "Brot für die Welt" im Verbund mit kirchlichen Hilfswerke aus anderen Ländern mehr politischen Einfluss gewinnen. Sie wollen "Motoren gesellschaftlichen Wandels" sein, wie Füllkrug-Weitzel sagt.

28. November 2008