Kirchenrechtler sieht wenig Chancen für Bundesratsinitiative zu Personenstandsrecht

Frankfurt a.M. (epd). Kirchenrechtler Hans-Michael Heinig erwartet nicht, dass das neue Personenstandsrecht nochmals geändert wird, wie es der Bundesrat verlangt hat. Modelle, bei denen die Kirchen die staatliche Aufgabe der Eheschließung übernehmen, seien in Deutschland wegen verbreiteter Einwände politisch schwer vermittelbar, sagte der Verfassungsjurist in einem epd-Interview.

   Das neue Personenstandsrecht, das am 1. Januar 2009 wirksam wird, erlaubt künftig religiöse Trauungen ohne vorangehende Eheschließung auf dem Standesamt. "Damit ist es in die Freiheit der Religionsgemeinschaften gestellt, ob sie kirchliche Trauungen ohne vorherige standesamtliche Eheschließung zulassen", erläuterte Heinig, der das kirchenrechtliche Institut in Göttingen leitet. Er wies darauf hin, dass in der evangelischen Kirche nach geltendem Kirchenrecht rein innerkirchliche Trauungen verboten seien. Die Fragen stellte Rainer Clos.

   epd: Künftig können Paare kirchlich heiraten, ohne zuvor eine zivilrechtliche Ehe zu schließen. Was sind die Folgen dieser Änderung des Personenstandsrechts?

   Heinig: Die Folgen sind unterschiedlich - je nach Religionsgemeinschaft. Der Staat gibt den Vorrang der Ziviltrauung auf. Damit ist es in die Freiheit der Religionsgemeinschaften gestellt, ob sie kirchliche Trauungen ohne vorherige standesamtliche Eheschließung zulassen. Die katholische Kirche wird diesen Weg gehen; in der evangelischen Kirche sind nach dem geltenden Kirchenrecht solche rein innerkirchlichen Trauungen verboten. Das spiegelt ein unterschiedliches Eheverständnis wider. Für die Katholiken ist die Eheschließung von sakramentaler Bedeutung. Protestanten stellen ihre weltlich geschlossene Ehe unter Gottes Segen. Wie die islamischen Moscheegemeinden und andere kleinere Religionsgemeinschaften reagieren werden, ist noch nicht absehbar. Allerdings haben sich einige Geistliche solcher Gruppierungen über das bisher geltende Recht hinweggesetzt. Sie werden die neuen Möglichkeiten sicherlich nutzen.

   epd: Seit einigen Jahren werden gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften vom Staat anerkennt. Ab Januar sind religiöse Traurituale zulässig, ohne dass dies eine staatliche Eheschließung voraussetzt. Was bedeutet dies für den besonderen Schutz von Ehe und Familie, wie er im Grundgesetz steht?

   Heinig: Der besondere Schutz der Ehe leidet sowieso schon. Das Bundesverfassungsgericht hat ihn mit der Entscheidung zu den eingetragenen Partnerschaften von Homosexuellen weitgehend abgeschafft. Denn laut Verfassungsgericht gibt es kein "Abstandsgebot" zwischen der Ehe und anderen Formen des Zusammenlebens, das der Staat zu beachten hat. Er muss die Ehe fördern und darf sie nicht diskriminieren. Er muss sie aber nicht besonders fördern. Im Ergebnis gibt es also keinen besonderen Schutz der Ehe. Auf dieser Linie liegen Bestrebungen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung, für nichteheliche Lebensgemeinschaften bestimmte Rechte und Pflichten einzuführen und damit den Ehen ein Stück weit gleichzustellen.

   Nun kommen noch rein kirchlich geschlossene Ehen hinzu. Diese werden im staatlichen Recht nicht als bürgerlich-rechtliche Ehen anerkannt. Doch sie werden in der einen oder anderen Form Rechtswirkungen entfalten. Die Vielfalt an rechtlich geregelten Lebensformen nimmt zu, der Schutz der Ehe ab. Denn das bis zum 1. Januar 2009 geltende Personenstandsrecht war nicht Relikt des Kulturkampfes, sondern zielte darauf, das verfassungsrechtliche Leitbild der Ehe (Mann und Frau, freiwillig geschlossen, auf Dauer angelegt, für Kinder offen) und zugleich die Eheschließenden zu schützen. Das staatliche Recht bewirkt einen fairen Interessenausgleich in der Ehe und nach ihrem eventuellen Scheitern.

   Auf diese Schutz- und Ausgleichsfunktion können die Eheschließenden nun durch eine rein religiöse Trauung verzichten. Man kann nur hoffen, dass beide wissen, was sie tun. In jedem Fall droht der Schwächere auf der Strecke zu bleiben. Die Gefahr sehen auch die Katholiken, weshalb sie zur standesamtlichen Eheschließung raten.

epd: Der Bundesrat hat gefordert, den Status quo wiederherzustellen. Wie aussichtsreich ist diese Initiative?

   Heinig: Der Bundesrat hatte von Anfang an Bedenken gegen die Novellierung, diese jedoch zunächst zurückgestellt. Die Probleme des neuen Rechts sind vielen erst allmählich klar geworden. Gleichwohl zeichnet sich wohl keine Mehrheit für eine Änderung der Änderung ab.

   epd: Die evangelische Kirche hat klargestellt, dass einer Trauung vor dem Altar die standesamtliche Eheschließung vorausgehen muss. Ist das eine angemessene Reaktion?

   Heinig: Für die evangelische Kirche ist die Änderung des Personenstandsgesetzes die Gelegenheit, sich intensiver als bisher theologisch und kirchenrechtlich mit dem protestantischen Eheverständnis auseinanderzusetzen. Viele Fragen sind hier nicht hinreichend geklärt. Was macht aus evangelischer Sicht die Ehe zur Ehe? Welche Bedeutung kommt der kirchlichen Trauung genau zu? Ist sie nur Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung? Und was wird dann eigentlich in der Kirche gesegnet? Die Rechtsform nach staatlichem Recht etwa? Oder doch vielmehr das Versprechen einer ehelichen Lebenspraxis, die die Protestanten als gute Gabe Gottes verstehen? Wenn man jedenfalls die Ehe aus evangelischer Sicht entlang von bestimmten Kriterien wie Liebe und Treue, Respekt und Achtung bestimmt, wäre zu fragen, ob das staatliche Eherecht dienlich ist, um sie zu erfüllen. Das ist bei der momentanen Ausgestaltung des staatlichen Eherechts der Fall. Deshalb ist es zur Zeit auch richtig, an dem Mode  ll der bürgerlich-rechtlich wirksamen Eheschließung festzuhalten.

epd: Kennen Sie Statistiken darüber, wie viele religiöse Trauungen es ohne Standesamt schon bisher in Deutschland gibt?

Heinig Nein, da müssen Sie einen Kriminologen fragen. Denn bisher waren sie verboten.

   epd: Nun wurde vorgeschlagen, dass die Kirchen eine quasi-standesamtliche Funktion bei der Eheschließung übernehmen könnten. In anderen Ländern ist dieses Verfahren erprobt. Was spricht gegen eine solche Regelung?

   Heinig: Vielleicht streicht man zunächst heraus, was für diese Regelung spricht: Mit ihr kann man die Anliegen des alten Personenstandsrechts, also Schutz der Ehe und der Eheschießenden, verwirklichen, ohne die Religionsfreiheit übermäßig einzuschränken. Es handelt sich also um eine Lösung, die zugleich freiheitsschonend und effektiv schützend ist. Da schlägt das Herz des Verfassungsjuristen höher! Ich bin ein entschiedener Anhänger dieses Modells.

   Doch es gibt auch Probleme: Wer soll beliehen werden? Auch islamische Geistliche? Oder nur die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften? Das liegt nahe, weil sie Rechtstreue garantieren. Andere Gruppierungen müssten im Zweifel staatlich beaufsichtigt werden. Das will die Verfassung aber nicht: Religionsgemeinschaften sollen unabhängig vom Staat agieren können. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte dürfte gerade deshalb manchen unwohl sein, Religionsgemeinschaften eine bisher dem Staat vorbehaltene Aufgabe zu übertragen.

epd: Ist das nicht Staatskirchentum durch die Hintertür?

   Heinig: Im Ergebnis halte ich solche Einwände für unberechtigt. Zahlreiche europäische Staaten kennen das Beleihungsmodell. Mit Staatskirchentum hat das nichts zu tun. Bei einer Beschränkung auf öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften läge auch keine Diskriminierung vor. Denn erstens gäbe es einen sachlichen Grund für die Differenzierung und zweitens kann jede Religionsgemeinschaft diesen Status auf Antrag erwerben. Gleichwohl ist wegen solcher populärer Einwände das ausgerechnet beste Modell politisch nur schwer vermittelbar. Also werden wir mit dem neuen Personenstandsrecht leben müssen und schauen, welche Befürchtungen sich bewahrheiten und welche nicht.

29. Dezember 2008