Christlich-jüdische Gesellschaften: Zunehmend antijüdische Klischees

Frankfurt a.M./Göttingen (epd). Berndt Schaller, evangelischer Präsident der Christlich-jüdischen Gesellschaften, hat eine Zunahme antisemitischer Denkmuster in Deutschland beklagt. Zwar seien rassistische Elemente eher selten, aber es gebe einen verbreiteten «Bodensatz» antisemitischen Denkens, «mit dem wir seit 1945 leben», sagte der Göttinger Judaistikprofessor in einem epd-Gespräch. Zugleich zeige sich eine Tendenz zur Geschichtslosigkeit und zur Bagatellisierung «altbekannter» judenfeindlicher Klischees. Die Äußerungen des FDP-Vize Jürgen Möllemann, wonach sinngemäß die Juden selber schuld seien, wenn sie angegriffen werden, sei dafür ein klassisches Beispiel, sagte Schaller. Wenn Möllemann solche Stereotypen bewusst inszeniere, gerate er in die Nähe des Antisemitismus: «Er ist kein Antisemit, aber er betätigt sich als solcher.» Auch das «Ausspielen einer Minderheit gegen die andere», der Juden gegen die Muslime, erinnere an den klassischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, sagte der Theologe im Blick auf den Fall Karsli. Möllemann trage den arabisch-israelischen Konflikt nach Deutschland, um unter Muslimen Wählerstimmen zu gewinnen. Schaller forderte die FDP auf, ihr Fehlverhalten gegenüber dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dessen Vizepräsidenten Michel Friedman deutlicher zu erklären. Bislang sei zwar ein Fehler Möllemanns eingeräumt worden, doch hätten die Liberalen offen gelassen beziehungsweise «vernebelt», worin dieser bestehe. Es müsse klar werden, dass Möllemanns Worte nicht nur taktisch, sondern dem Inhalt nach falsch gewesen seien. Ob dies dann in Form einer Entschuldigung geschehe, sei im Grunde nebensächlich. Der christlich-jüdische Dialog wird nach Ansicht des Judaisten durch die neue Antisemitismusdebatte nicht wesentlich beschädigt, sondern neu herausgefordert. In den Kirchen gebe es genügend Menschen, die gegen antijüdische Tendenzen Front machten. Allerdings sei das Gespräch zwischen Christen und Juden auf Grund des israelisch-palästinensischen Konflikt schwieriger geworden. Dies hänge mit «unterschiedlicher Wahrnehmung» zusammen, so Schaller, der dabei auf die kirchlichen Kontakte zu christlich-arabischen Gemeinden verwies. Schaller ist einer von drei Präsidenten des Deutschen Koordinierungsrates der insgesamt 79 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.