Christen sollten sich vor Wahlverweigerung hüten

Politik ist kein “schmutziges Geschäft”
K.Rüdiger Durth (idea).
Wer die Nachrichten verfolgt, muss den Eindruck gewinnen, dass Politik käuflich sei und dass Politiker den Verlockungen des Geldes nicht widerstehen könnten. Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) stand auf der “Gehaltsliste” des PR-Managers Moritz Hunzinger (CDU). Der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, beglich mit einem günstigen Hunziger-Kredit seine Finanzamtsschulden. Zudem nutzte er Bonus-Meilen dienstlicher Flüge für private Zwecke, obwohl dies seit 1997 untersagt ist. Beide Politiker mussten ihren Stuhl räumen. In Wuppertal wurde der SPD-Oberbürgermeister wegen einer Wahlspende von einer Viertel Million Euro vom Dienst suspendiert, in Dachau der CSU-Kollege wegen des Verdachts der Wahlfälschung. In Saarbrücken wiederum ist der SPD-Oberbürgermeister trotz seiner Unschuldsbeteuerungen in erster Instanz wegen Vorteilsannahmen beim Bau des Eigenheims verurteilt worden. Sozialdemokratische Kommunalpolitiker wurden in Köln verhaftet, weil sie bestochen worden sein sollen. Der Geldgeber, ein CDU-Mitglied, kam gegen 100 Millionen Euro Kaution auf freien Fuß. In Bonn musste der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat 100.000 Euro Kaution hinterlegen, um aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Und in Berlin waren ebenfalls hohe Kautionen notwendig, um einem früheren CDU-Bundestagsabgeordneten, der in den hauptstädtischen Bankenskandal verwickelt ist, weitere U-Haft zu ersparen. Das sind nur ein paar Fälle aus der jüngsten Vergangenheit, die den Eindruck erwecken, dass Politik auch in der Demokratie ein “schmutziges Geschäft” sei, was einige Christen schon immer behauptet haben. Nicht wenige haben sich längst entschieden, am 22. September nicht nur Bundestagswahl zu gehen, weil ohnehin alle Politiker gleich schlecht seien – egal ob von CDU oder CSU, SPD oder Grünen; Liberale und andere werden selbstverständlich mit eingeschlossen. Die Nachrichten über das Fehlverhalten von Politikern, das oft zwar nicht strafrechtlich relevant, aber ethisch bedenklich bis verwerflich ist, verdecken freilich viele wichtige Aspekte. Knapp 1,8 Millionen Menschen engagieren sich allein in den Parteien, die im Bundestag vertreten sind. Viele weitere Tausend haben sich kleineren Parteien angeschlossen. Gemessen an diesen Zahlen sind die Namen, die die negativen Schlagzeilen beherrschen, verschwindend gering. Vergessen werden darüber vor allem die Zehntausende Parteimitglieder, die weder Zeit noch Kraft scheuen, um sich für ihre politischen Ziele einzusetzen. In den meisten Fällen “vergessen” sie selbstverständlich auch, die in ihrem Einsatz entstandenen Kosten in Rechnung zu stellen. Diese Menschen fühlen sich zu Recht mit angegriffen, wenn den Politikern pauschal unterstellt wird, sie hätten letztlich nichts anderes als ihr eigenes Wohl im Sinn. Was für die meisten Parteimitglieder gilt, gilt auch für die meisten Mandatsträger in den Gemeinde-, Stadt- und Kreisparlamenten, in den Landtagen und im Bundestag. Dass der Ruf nach dem “gläsernen Abgeordneten” immer lauter wird, ist verständlich. Dabei müssen die Bundestagsabgeordneten schon längst dem Bundestagspräsidenten mitteilen, in welchen Verbänden und Vereinen sie Mitglied sind und welchen Vorständen oder Aufsichtsräten sie angehören. Damit sollen Interessenskollisionen verhindert werden. Nun möchte man auch, dass Abgeordnete und Minister (die ohnehin kein bezahlten Nebenamt ausüben dürfen) auch ihre privaten Einkünfte offen legen. Wahrscheinlich wird es dazu bald kommen, obwohl einige Abgeordnete längst mit gutem Beispiel vorangehen – von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe bis zu seinem sozialdemokratischen Kollegen Ulrich Kelber. Bei ihnen kann jeder im Internet nachlesen, was sie verdienen und versteuern. Ob das der richtige Weg ist, ist fraglich. Aber wahrscheinlich bleibt der Politik kein anderer Weg, will sie schwindendes Vertrauen zurückgewinnen. Das Versagen einzelner Politiker darf nicht vertuscht werden. Die Demokratie bietet die Gewähr, dass jene ihr politisches Amt verlieren, die es missbrauchen. Das ist die Stärke der Demokratie, die freilich darunter leidet, dass sich immer weniger Menschen für sie engagieren. Hier wird es Aufgabe der christlichen Gemeinden sein, Bürgern Mut zu machen, sich in einer demokratischen Partei ihrer Wahl zu engagieren. Wer sich zu recht über das Versagen einzelner Politiker aufregt und schnell mit dem Wort von der Politik als “schmutzigem Geschäft” bei der Hand ist, der sollte aber auch daran denken, was wir der deutschen Nachkriegsdemokratie nicht alles zu verdanken haben - vom Frieden bis zur sozialen Sicherheit, von der politischen bis zur religiösen Freiheit. Deshalb haben es weder die demokratischen Parteien noch ihre Mitglieder verdient, Politik als “schmutziges Geschäft” abzulehnen. Vielmehr ist es auch die Aufgabe der Christen, an ihrem Platz das zu tun, was der Prophet Jeremia von über zweieinhalb tausend Jahren dem Volk Israel in der Babylonischen Gefangenschaft zugerufen hat (Jeremia 29,7): “Suchet der Stadt Bestes ... und betet für sie zum Herrn; denn wenn‘s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.”