EKD: Bildung für den «ganzen Menschen»

Evangelische Kirche meldet sich in der Nach-Pisa-Debatte zu Wort

Von Jürgen Prause

Hannover (epd). Die evangelische Kirche meldet sich in der Bildungsdebatte zu Wort. Nach dem Schock der PISA-Studie, die deutschen Schülern im internationalen Vergleich nur mittelmäßige Leistungen bescheinigte, sorgt sich auch die Kirche um die Zukunft des Bildungswesens. Ihr geht es dabei aber nicht primär um Leistungskriterien oder Erfordernisse der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. In ihrer am Donnerstag vorgelegten Denkschrift «Maße des Menschlichen» wirbt die Kirche für ein umfassendes Verständnis von Bildung, das den «ganzen Menschen» in den Mittelpunkt stellt.

In der rund 90-seitigen Denkschrift thematisiert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Aspekte, die aus ihrer Sicht in der bisherigen Debatte nach PISA zu kurz kamen. Ein unverkürztes Bildungsverständnis umfasst aus evangelischer Sicht ethische, soziale, religiöse, philosophische, ästhetische und geschichtliche Bildung. «Das taucht bei PISA nicht auf, aber wir als Kirche müssen daran erinnern», sagt Professor Karl Ernst Nipkow. Der Tübinger Religionspädagoge ist Vorsitzender der Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend, die den Text erarbeitet hat.

«Bildung meint den Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein und Handeln im Horizont sinnstiftender Lebensdeutungen», heißt es in der Denkschrift. In der Bildungsdebatte seien bisher einseitig Lernen, Wissen und Können betont worden, hingegen seien Wertbewusstsein und Handlungsfähigkeit vernachlässigt worden, sagt Nipkow. Der Kirche gehe es gerade um diese Aspekte, denn Wissen allein ermögliche noch kein verantwortungsvolles Handeln. «Die Erfordernisse der Zukunft dürfen nicht auf kognitive Leistungen eingeengt werden», warnt der Vorsitzende der EKD-Bildungskammer.

Zentrale Bildungsaufgaben sind aus der Sicht der Kirche die Eindämmung von Aggression und Gewalt, die Erziehung zum Frieden, die Achtung der freiheitlichen Rechtsordnung und die Förderung sozialer Gerechtigkeit. Ebenso zählen die Verständigung mit Menschen anderer Kulturen und Religionen und die ökologische Bildung dazu. Bildung diene der Entfaltung des ganzen Menschen und seiner Erziehung zu sozialer Verantwortung, heißt es in der Denkschrift.

Wissen und Lernen sind für die Autoren der Denkschrift kein Selbstzweck. Die Kirche fragt: «Wissen wozu?». «Es geht nicht allein darum, über Wissen zu verfügen, sondern vor allem darum, es richtig zu verarbeiten und anzuwenden», schreibt der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock im Vorwort. Zur Beurteilung des Wissens seien moralisch-ethische Maßstäbe notwendig. «Die alte Unterscheidung zwischen Wissen und Weisheit ist heute heute mehr denn je notwendig», heißt es dazu in der EKD-Denkschrift.

Die EKD hatte sich auf ihren Synoden 1971 und 1978 umfassend mit dem Thema Bildung befasst. Bisher fehlte aber eine Positionierung der Kirche in der aktuellen Diskussion nach PISA. Dies wird mit der Vorlage der Denkschrift nachgeholt, wenn auch PISA nicht der Auslöser für die Erarbeitung des Grundsatztextes war. Die Arbeit daran reicht weiter zurück. Der Kirche geht es nicht um kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung des Leistungsniveaus an den Schulen, sondern um die längerfristigen Perspektiven des Bildungssystems.

Dennoch begrüßt die Kirche die begonnene breite Bildungsdebatte nach PISA. Diese müsse mit Beteiligung von Schulen, Eltern und Öffentlichkeit fortgesetzt werden, um das Bildungswesen effizienter und bedarfsgerechter zu machen, fordert die EKD. Mit ihrer Denkschrift will sie zu einer «Horizonterweiterung» und Vertiefung der Diskussion beitragen. «Die Denkschrift will Anstöße für die in Bewegung geratene Bildungspolitik geben», sagt Nipkow. Zugleich diene sie der innerkirchlichen Klärung des evangelischen Bildungsverständnisses.