Minister: Schulen sollen trotz Erfurter Massaker offene Orte bleiben

Berlin (epd). Ein Jahr nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium hat die Kultusministerkonferenz (KMK) dazu aufgerufen, Schulen nicht zu Festungen zu machen. Sie müssten «offene Orte der Kommunikation und Begegnung sein», sagte die KMK-Präsidentin Karin Wolff am Donnerstag in Berlin. Den Opfern und Angehörigen sprach sie ihr Mitgefühl aus.

Schulen seien ein integraler Bestandteil der Gesellschaft und daher auch ein Seismograph für gesellschaftliche Fehlentwicklungen, sagte Wolff. Es sei nicht hinzunehmen, dass Gewaltdarstellungen in Medien und Computerspielen akzeptiert werden. Trotz vieler Analyseversuche blieben die Morde an Schülern und Lehrern nicht begreifbar. «Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns niemals zu hundert Prozent vor solchen Gewalttaten werden schützen können», sagte Wolff.

Am 26. April 2002 hatte der ehemalige Schüler des Gutenberg-Gymnasiums, Robert Steinhäuser, zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten in der Schule erschossen. Anschließend tötete er sich selbst.


Pressemitteilung der KMK im Wortlaut:

Gedenken an die Opfer der Morde am Erfurter Gutenberg-Gymnasium vor einem Jahr - Wolff: Schulen erwarten Unterstützung bei Gewaltprävention

Vor einem Jahr, am 26. April 2002, erschütterte die Meldung von der unvorstellbaren Bluttat am Erfurter Gutenberg-Gymnasium die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Über Tage und Wochen bestimmte das schreckliche Ereignis die Berichterstattung in allen Medien.

"Auch wenn längst andere Meldungen die Nachrichten dominieren, stehen wir ein Jahr nach den erschütternden Morden im Erfurter Gutenberg-Gymnasium noch immer fassungslos vor dem, was geschehen ist. Wir denken insbesondere an die Opfer, ihre Angehörigen, Freunde und Kollegen. Ihnen gilt unser tiefempfundenes Mitgefühl. Wir denken auch an alle diejenigen, die heute wieder am Gutenberg-Gymnasium lehren und lernen und für die der Schulalltag sicher noch nicht wieder eingekehrt ist. Ihnen wünschen wir viel Kraft bei der gemeinsamen Bewältigung des in ihrer Schule Geschehenen“, erklärte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Wolff, auch im Namen ihrer Kolleginnen und Kollegen.

Unmittelbar nach der schrecklichen Tat und bis heute anhaltend haben viele Menschen aus ganz Deutschland ihre Solidarität bekundet und spontan Hilfe geleistet. Dafür bedankte sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz ausdrücklich.

Auch wenn es sich um ein singuläres Ereignis handelt, das nicht symptomatisch für den Zustand in deutschen Schulen ist, müssen alle Anstrengungen unternommen werden, dass es nie wieder zu einer solchen oder ähnlichen Gewalttat kommt. Hier sind nicht nur die für Schule Verantwortlichen in die Pflicht genommen, sondern alle gesellschaftlichen Kreise und Gruppierungen. Schule ist integraler Bestandteil der Gesellschaft und als solcher Seismograph für deren Entwicklungen, auch für Fehlentwicklungen. Beispielsweise werden Gewaltdarstellungen in Medien und Computerspielen in erschreckender Weise hingenommen und akzeptiert. Hier tut ein Umdenken dringend not.

Im vergangenen Jahr hat es im Zusammenhang mit den Erfurter Morden viele Analysen gegeben, Erklärungen und Versuche, Zusammenhänge aufzuzeigen. Sie mögen zwar etwas Klarheit über die Hintergründe der Tat bringen, können aber letztlich nicht begreifbar machen, warum sie passiert ist. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns niemals zu hundert Prozent vor solchen Gewalttaten werden schützen können.

Es darf nicht dazu kommen, dass unsere Schulen zu Festungen werden, die man nur nach eingehender Kontrolle betreten darf. Sie sollen und müssen weiterhin offene Orte der Kommunikation und Begegnung sein. Dies hat die Kultusministerkonferenz schon in ihrer ersten Reaktion auf die Morde nachdrücklich unterstrichen. Sie hat dabei u.a. betont, dass Schule und Elternhaus auf der Basis von Offenheit und gegenseitigem Vertrauen künftig noch enger zusammenarbeiten müssen, hat sich für regionale Netzwerke von schulischen und außerschulischen Einrichtungen und die Stärkung der diagnostischen Kompetenz der Lehrkräfte ausgesprochen.

In diesen und anderen Handlungsfeldern sind in den vergangenen Jahren und in unmittelbarer Reaktion auf die Gewalttat in Erfurt von den Ländern bereits zahlreiche Maßnahmen zur Gewaltprävention und Gewaltvermeidung auf den Weg gebracht worden. Davon zeugt die umfangreiche Zusammenstellung „Beispielhafter Projekte zur Gewaltprävention in den Ländern“, die die Ministerpräsidentenkonferenz Ende März in Zusammenhang mit dem Bericht „Ächtung von Gewalt und Stärkung der Erziehungskraft von Familie und Schule“ verabschiedet hat. Die Projekte sind auch ein Beispiel für die Zusammenarbeit über institutionelle Grenzen hinweg.

"Im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags begreifen Schulen Gewaltprävention, gestützt auf die Lehrpläne der einzelnen Unterrichtsfächer, als vorrangige Aufgabe“, betonte Wolff. „Die Vermittlung von Orientierungen und Werten kann aber nur Erfolg haben, wenn in der Gesellschaft breiter Konsens über diese Werte besteht und das Handeln daran ausgerichtet wird. Auch in diesem Sinne muss uns Erfurt immer eine Mahnung bleiben.“

Quelle: Kultusministerkonferenz [Neues Fenster]