Rettungsnummern: Ein Ruf fürs Leben

Vor 30 Jahren wurden die Rettungsnummern 110 und 112 bundesweit eingeführt

Von Klaus-Hermann Rapp

Stuttgart (epd). Heute ist es selbstverständlich, dass man in einem Notfall die zentralen, vorwahlfreien Rufnummern 110 oder 112 anwählt. Auf den Autobahnen und Bundesstraßen ist zudem ein flächendeckendes Netz von Notrufsäulen installiert, das in Zeiten der allgegenwärtigen Handys vielen gar nicht mehr bewusst ist. Doch das System der deutschen Notfallhilfe ist erst vor wenigen Jahrzehnten entstanden.

Einen Meilenstein setzten dabei Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder, als sie am 20. September 1973 die bundesweite Einrichtung der Notrufnummern 110 (Polizei) und 112 (Feuerwehr) beschlossen.

Vorausgegangen war ein jahrelanges Hickhack um die Zuständigkeiten und die Finanzierung zwischen Bund und Ländern sowie der Post. Dabei war die Notwendigkeit einer Neuordnung der Notfallhilfe unumstritten. Die Bundesregierung erklärte 1973, dass von den jährlich 20.000 Verkehrstoten etwa zehn Prozent gerettet werden könnten, wenn nur rechtzeitig Helfer am Unfallort wären. Die Mängelliste war lang: Überall fehlten Notrufmelder, die Ausstattung der Rettungswagen war ungenügend und die Polizeiwachen waren nicht immer besetzt, so dass mancher Notruf ins Leere lief. Insbesondere an Wochenenden und nachts verstrich oft entscheidende Zeit, ehe die Helfer an der Unfallstelle eintrafen.

Doch die Situation änderte sich erst, als der Schwabe Siegfried Steiger die Initiative ergriff. Nachdem sein Sohn Björn am 3. Mai 1969 an den Folgen eines Unfalls gestorben war, weil die Retter zu spät eintrafen, gründete er noch im selben Jahr die Björn-Steiger-Stiftung - mit dem Ziel, die Notrufstrukturen grundlegend zu ändern. «Damals gab es die Kurzrufnummern 110 und 112 nur in wenigen Großstädten und manchen angrenzenden Landkreisen», erinnert sich Steiger heute. Deshalb war es ein zentrales Anliegen der Stiftung, die flächendeckende Einführung der einheitlichen Notrufnummern zu fordern.

Mehr als 6.000 Briefe verschickte die Stiftung an Abgeordnete, Minister und Oberpostdirektionen. «Viele Politiker antworteten, dass unsere Forderung leider nicht finanzierbar sei. Doch niemand konnte uns eine detaillierte Aufstellung der anfallenden Kosten vorlegen», sagt Steiger im Rückblick.

Aber die Stiftung konnte im Regierungsbezirk Nordwürttemberg, wo im Frühjahr 1973 in jedem Ortsnetz die Notrufnummern 110/112 eingeführt wurden, die Finanzierbarkeit nachweisen. Zwar war die Stiftung mit einer Klage zur bundesweiten Einrichtung der Nummern aus verfahrensrechtlichen Gründen noch gescheitert, doch die Richter bescheinigten die Dringlichkeit des Anliegens. Die flächendeckende Umsetzung dauerte dann noch bis 1978.

Mittlerweile sank die Zahl der Verkehrstoten auf weniger als 7.000 Menschen. Zu diesem Rückgang haben sicherlich auch weitere Aktionen der Björn-Steiger-Stiftung beigetragen. Bereits 1972 finanzierte sie Gründung und Aufbau der Deutschen Rettungsflugwacht zur Luftrettung. Außerdem engagiert sich die Stiftung bei der Ausstattung der Straßen mit Notrufmeldern und dem Aufbau von Leitstellen und Notarztsystemen.

Ein aktueller Schwerpunkt ist die Initiative «Kampf dem Herztod», bei der die flächendeckende Verbreitung von Defibrillatoren zur Wiederbelebung gefordert und gefördert wird sowie Freiwillige in ihrer Handhabung geschult werden. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr etwa 130.000 Menschen am plötzlichen Herztod.

Aber auch im ureigenen Bereich der Notrufnummern gibt es wieder Handlungsbedarf. Weil viele Verkehrsteilnehmer im Notfall auf das Handy anstelle der Notrufsäulen zurückgreifen, kommt es vor allem in ländlichen Gebieten zu einer dramatischen Verzögerung der Rettung. Denn zum einen landet der Notruf nicht automatisch bei der nächsten Leitstelle, zum anderen wissen viele Anrufer nicht ihren genauen Standort. «Wie vor 30 Jahren ist auch heute eine grundlegende Neuorientierung bei den Notrufstrukturen notwendig», sagt Siegfried Steiger.