Deutschsprachige ev. Gemeinde in Madrid wird 100 Jahre alt

Von Hans-Günter Kellner

Madrid (epd). Die junge Deutsche Birgit Davids steht mit einem Glas Sekt in der Hand am Tapas-Abend im Gemeindehaus der deutschsprachigen evangelischen Kirche in Madrid. Die Gemeinde feiert in diesem Jahr 100-jähriges Jubiläum. Zum Festgottesdienst am 19. Oktober wird auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, erwartet.

Anlässlich des Jubiläums blickt die Gemeinde auf ihre wechselvolle Geschichte zurück, besonders auf die NS-Zeit. «Damit muss man sich auseinander setzen. Vielleicht haben das die früheren Generationen verhindert. Zu spät kann es aber nie sein», sagt Birgit Davids. Während der NS-Zeit lebten die deutschen Protestanten in Madrid unter dem Einfluss der um Gleichschaltung bemühten Nationalsozialisten, hatten aber auch Probleme mit der mangelnden Religionsfreiheit unter der Franco-Diktatur (1939-1975).

Eine zentrale Rolle kommt Bruno Mohr zu, von 1936 bis 1958 Pfarrer in Madrid. Er war zunächst Militärseelsorger bei der in Südspanien stationierten deutschen Legion Condor, die zur Unterstützung Francos auch zivile Ziele bombardierte. Dazu zählte die nordspanische Kleinstadt Guernica. Zum Einmarsch der Franco-Truppen hisste Mohr am Pfarrhaus die Hakenkreuzfahne, berichtet die Kirchenhistorikerin Christine Tichy, die auf Anregung des amtierenden Pfarrers Hannes Bauer die Geschichte der Gemeinde wissenschaftlich untersucht hat.

Mohr habe damit eine Beschlagnahme verhindern wollen, meint Tichy. Er blieb bis Kriegsende Mitglied der NSDAP. Dennoch war Pfarrer Mohr heute in den Augen vieler Gemeindemitglieder kein überzeugter Nazi, sondern jemand, der die Gemeinde durch eine schwierige Zeit mit vielen Kompromissen gesteuert hat. Hätte er sich als Gegner der Nazis gezeigt, wäre er einfach abgesetzt worden, so Pfarrer Bauer. Allerdings sagt er auch: «Ich halte solch einen Weg in einem Unrechtssystem nicht für legitim.»

Dass andere Wege zwar mühsam, aber doch auch möglich waren, zeigten die Fliedners. Der deutsche Pfarrer Fritz Fliedner, in Kaiserswerth als Sohn des großen christlichen Sozialreformers Theodor Fliedner geboren, gründete 1870 ein protestantisches Missionswerk in Madrid. Die heutige Fliedner-Stiftung sollte den Protestantismus unter den Spaniern verbreiten.

Theodor und Hans Fliedner, zwei Nachkommen des deutschen Pastors, reisten 1937 zur Weltkirchenkonferenz nach Oxford und geißelten dort das Hitler-Regime. Die Konsequenz: Die Fliedners standen nach dem Einzug Francos in Madrid unter ständiger Bewachung der Gestapo.

Eigentlich ist die deutsche Gemeinde in Madrid älter als 100 Jahre. Fritz Fliedner war auch der erste Prediger, damals noch in der preußischen Gesandtschaft. Aber erst 1903, nach drei Jahrzehnten, konstituierte sich der Kirchenrat offiziell.

Heute hat die Gemeinde rund 900 Mitglieder. Die Gottesdienste in der «Friedenskirche», einem neoromanisch-gotischen Bau mit einem großen Rundkronleuchter im westgotischen Stil, sind mit auffällig vielen jungen Leuten gut besucht. Oft gestalten Konfirmanden mit Theaterstücken zu Bibelstellen oder Alltagssituationen große Teile des Gottesdienstes. Die ökumenischen Begegnungen mit der deutschsprachigen katholischen Gemeinde sind vielfältig, es gibt einen ökumenischen Chor und ökumenische Bibelabende, Gebetstage, Senioren- und Wanderausflüge.

Die Beteiligung der Mitglieder an der Gemeindearbeit ist Pfarrer Bauer wichtig. Er hat in den achtziger Jahren in Argentinien evangelische Theologie studiert und sieht sich stark von der Befreiungstheologie beeinflusst. Er wolle eine basisorientierte Gemeinde, in der jeder Verantwortung übernehme, sagt Bauer. Er ist sich sicher, das in Madrid auch geschafft zu haben.

Besonders begeistert zeigt er sich vom «frischen Wind», der ständig in die Gemeinde komme. «Unsere Zusammensetzung wechselt jedes Jahr zu etwa einem Drittel». Neue Botschaftsangehörige oder Angestellte deutscher Unternehmen kommen dazu. Andere gehen nach Deutschland zurück.

«Kirche» sei gerade im Ausland ein Angebot mit niedrigen Schwellen, glaubt der Pfarrer. Der Besuch im Gottesdienst sei einfach und unverbindlich. Auch die junge Deutsche Birgit ist in die Gemeinde in der Innenstadt gekommen, um Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation zu treffen. Und ihr Sohn soll in den Jahren ihrer Arbeit in Madrid nicht den Kontakt zur Kultur in der Heimat verlieren.