Trauern im Netz

Kirchliche Trauerangebote im Internet boomen

Von Marion Menne

Trier/Düsseldorf (epd). Gaby Speck, 40 Jahre alt, verheiratet, eine Tochter, fiel in ein «Wahnsinnsloch», als ihre Mutter starb. Irgendwann war ihr klar, sie braucht professionelle Hilfe. Seit einigen Monaten findet sie die im Internet, bei einem kirchlichen Online-Seminar. Mit dieser Art der Seelsorge gehen die Kirchen neue Wege - und haben großen Zulauf, besonders bei jungen Menschen und solchen, die anonym bleiben wollen.

Mit 14 anderen Trauernden, die Mutter, Vater, Bruder oder das noch nicht geborene Kind verloren haben, trifft sich Gaby Speck regelmäßig im virtuellen Seminarraum. «Am Anfang war ich skeptisch», gibt sie zu. «Aber nach einer Weile habe ich mich aufgehoben gefühlt - Adolf Pfeiffer kümmert sich rührend um uns!»

Adolf Pfeiffer, das ist kein virtueller Guru, sondern ein 63-jähriger Theologe, der bei der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Trier arbeitet. Nachdem er 15 Jahre Trauerseminare vor Ort geleitet hat, bietet er sie seit einiger Zeit auch online an, unter http://www.trauer.org/ und ist damit einer der ersten in Deutschland.

Die Teilnehmer werden angeleitet, einzelne Phasen der Trauer zu reflektieren und Tagebuch zu schreiben. Einige treffen sich jeden Tag im geschützten virtuellen Seminarraum zum «schreibenden Gespräch». Nur sie haben Zugang mit Benutzernamen und Passwort. Für Gaby Speck ist es «fast wie eine Manie», immer gucken zu müssen, ob es eine Nachricht von jemandem gibt.

«Das ist unglaublich, wie sich ein Gruppengefühl entwickelt hat», sagt der Theologe Pfeiffer. «Die Leute helfen sich selber, weil sie Antworten kriegen von Leuten, die in der gleichen Situation sind.» Diese Erfahrung hat auch der Internetbeauftragte der Evangelischen Kirche im Rheinland gemacht, Ralf Peter Reimann. Seit eineinhalb Jahren ist das von ihm initiierte Trauernetz online (http://www.trauernetz.de/), als erstes Angebot dieser Art in der evangelischen Kirche, wie er sagt. Online-Beziehungen können seiner Meinung nach intensiver sein als realer, denn manchmal sei es leichter, einem Fremden sein Herz auszuschütten.

In vielen Fällen sind es die nicht kirchennahen Menschen, die die kirchlichen Angebote nutzen. «Wir arbeiten auch mit biblischen Worten, aber sind offen für andere», sagt Reimann. Er sieht es als Chance, gerade solche zu erreichen, die nicht zu einer Kerngemeinde gehören, und sorgt dafür, dass sich jeder frei äußern kann. Klar, dass im Trauerbuch die Meinungen bei der Frage nach dem «ewigen Leben» schonmal auseinander gehen können.

Seelsorge hat das evangelische Netz nicht nur online im Programm, sondern es gibt Links für Trauertreffs im wirklichen Leben. Der kirchliche Internetbeauftragte Reimann freut sich über zahlreiche «Clicks». Im November seien die Seiten von «trauernetz.de», das inzwischen von der rheinischen und der hannoverschen Kirche sowie dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt getragen wird, 34.000 mal abgerufen worden. Auch Adolf Pfeiffer in Trier sagt: «Die Nachfrage ist enorm.» Schon sein fünftes Seminar sei ausgebucht.

Der Theologe glaubt, dass er demnächst mehr Zeit für die virtuelle als für die Seelsorge vor Ort aufbringen wird. Der frühere «Computer-Feind», wie er sich selbst bezeichnet, sieht im Internet ganz neue Chancen für Trauernde, die seiner Ansicht nach noch mehr genutzt werden müssten. Hatte Pfeiffer früher einmal im Monat ein Treffen mit einer Trauergruppe, so ist heute ist er täglich in Kontakt: «Morgens schaue ich rein und gucke, was passiert ist. Abends nochmal. Manche schreiben mich direkt an: lieber Adolf, wie denkst Du darüber? Und manchmal wird es dann Nacht.»

14. Januar 2004