OSZE-Konferenz in Berlin eröffnet

Rau ruft zu Zivilcourage im Kampf gegen Antisemitismus auf

Berlin (epd). Bundespräsident Johannes Rau hat zu Zivilcourage im Kampf gegen Antisemitismus aufgerufen. «Jeder Angriff auf Minderheiten ist immer auch ein Angriff auf unsere Gesellschaft», sagte Rau am Mittwoch in Berlin vor rund 500 Teilnehmern einer zweitägigen OSZE-Konferenz zu Antisemitismus. Rassismus und Fremdenhass müssten weltweit entschieden abgelehnt werden: «Lassen Sie uns gemeinsam für eine Welt arbeiten, in der wir alle ohne Angst verschieden sein können.»

Die zweitägige Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Teilnehmern aus mehr als 50 Staaten findet auf Einladung der Bundesregierung im Auswärtigen Amt statt. Viele Menschen könnten nicht zwischen Antisemitismus und normaler Kritik unterscheiden, sagte Rau. Es sei legitim, das Verhalten von Juden und jüdischen Institutionen zu kritisieren. Allerdings sollten Kritiker der Nahostpolitik Israels immer an die besondere Situation in diesem Land denken.

Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) bezeichnete den Kampf gegen den Antisemitismus als Aufgabe jedes Einzelnen. Antisemitismus sei weltweit eine große Herausforderung: «Er fängt mit Vorurteilen an und hört mit Mord auf», warnte er. Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sei es für die Bundesregierung eine moralische Verpflichtung, immer wieder auf die Gefahren hinzuweisen.

Die EU-Erweiterung am 1. Mai wird nach Ansicht des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, auch zu einer neuen Auseinandersetzung mit Antisemitismus führen. In Osteuropa gebe es vielfach eine traditionelle Judenfeindlichkeit, sagte Spiegel auf der Konferenz. Dies sei bisher weitgehend verschwiegen worden. «Der Kampf gegen Antisemitismus wird deshalb schwieriger, komplizierter und langwieriger werden, als viele vermutet haben», warnte er.

Der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sagte, es gebe «alarmierende Signale», dass die Judenfeindlichkeit weltweit zunehme. «Wer eine Minderheit hasst, hasst auch alle anderen und richtet den Hass schließlich gegen sich selbst.» Wiesel schlug vor, ein Manifest gegen den Judenhass schreiben zu lassen, das weltweit ausgegeben und einmal jährlich verlesen wird. «Antisemitismus muss demaskiert und dann verboten werden», sagte er.

Der derzeitige Vorsitzende der OSZE, Solomon Passy, bezeichnete es als «moralische Pflicht» der internationalen Gemeinschaft, das Gedenken an die Opfer des Holocaust zu bewahren. Andernfalls würde sie sich eines weiteren Verbrechens schuldig machen. Er forderte eine «Politik der Null-Toleranz» beim Antisemitismus.

Auf der zweitägigen Konferenz wollen die 55 OSZE-Teilnehmerstaaten über praktische gemeinsame Schritte im Kampf gegen den Antisemitismus beraten. Die Teilnehmer aus Regierungen, jüdischen Verbänden und Menschenrechtsorganisationen befassen sich unter anderem mit der Erfassung antisemitischer Vorfälle, mit Judenfeindlichkeit in den Medien und im Internet sowie mit der Rolle der Erziehung.

28. April 2004