Kirchen rufen an Pfingsten zu Rücksichtnahme und Menschlichkeit auf

Frankfurt a.M. (epd). Vertreter der beiden großen Kirchen haben an Pfingsten zur Überwindung von Egoismus und Rücksichtslosigkeit aufgerufen. Die Menschen sollten sich wieder auf Tugenden wie Freundlichkeit, Gerechtigkeit und Güte besinnen, sagte der Mainzer Kardinal Karl Lehmann am Sonntag. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, warnte davor, wirtschaftlichen Erfolg und persönlichen Besitz «wie Götzen» zu verehren.

Kardinal Lehmann kritisierte in seiner Pfingstpredigt im Mainzer Dom, die Ellenbogenmentalität sei in der Gesellschaft sehr verbreitet. Viele sähen auch im Blick auf die vom Staat geforderten Steuern und Abgaben nur ihre eigenen Interessen, gingen rücksichtslos vor und kümmerten sich wenig darum, ob andere dadurch «im Straßengraben landen». Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz verwies auf die goldene Regel der Nächstenliebe, dem Mitmenschen nichts zuzumuten, was man nicht auch selbst erleiden wolle.

Der EKD-Ratsvorsitzende Huber rief in seiner Pfingstpredigt dazu auf, dem «Götzendienst unserer vermeintlich so säkularen Gesellschaft» entgegenzutreten. Der Berliner Bischof erinnerte an die vor 70 Jahren verabschiedete Barmer Theologische Erklärung der Bekennenden Kirche, mit der sich evangelische Christen von der Ideologie des NS-Staates abgegrenzt hatten. Falsche Offenbarungen und die Unterordnung des Evangeliums unter den Geist der Zeit würden darin ebenso abgelehnt wie eine Überhöhung des Staates. Dies gelte auch, wenn die Wirtschaft zur einzigen und totalen Ordnung menschlichen Lebens erklärt werde.

Auch der bayerische evangelische Landesbischof Johannes Friedrich würdigte die am 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verabschiedete Erklärung der Bekennenden Kirche. Diese erinnere daran, dass es keine Situation gebe, in der nicht das Gebot gelte, dass menschliches Leben geschützt und bewahrt werden müsse. Menschenrechtsverletzungen oder Folter wie im Irak seien mit diesem Gebot nicht zu vereinbaren.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann sprach sich für eine «Globalisierung um der Menschen willen» aus. In ihrer Pfingstpredigt in Hannover beschwor sie die Vision einer Welt, in der alle Menschen Nahrung, Obdach und Bildung haben. Wenn Menschen wie im Irak zutiefst gedemütigt würden, werde Gottes Heiliger Geist verletzt.

Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker rief zur Abkehr vom Besitz- und Leistungsdenken auf. Das Streben des Menschen sei ausgerichtet auf Erwerb von Eigentum, auf Besitz von Macht und Vergrößerung von Gewinn. Entscheidend sei jedoch, ob der Mensch fähig sei, sich um eine andere Lebensperspektive zu bemühen.

Der badische evangelische Landesbischof Ulrich Fischer ermutigte die Gläubigen, auf die verändernde und heilende Kraft des Heiligen Geistes vertrauen. Der württembergische evangelische Landesbischof Gerhard Maier erklärte, Christen rechneten «zuversichtlich mit Veränderung». In einer ökumenischen Pfingstvesper mit seinem katholischen Amtskollegen Bischof Gebhard Fürst von der Diözese Rottenburg-Stuttgart sagte Maier: «Wir leben aus den Gaben des Geistes und nicht von unseren eigenen mehr oder weniger genialen Ideen und Theorien».

Thüringens evangelischer Bischof Christoph Kähler wies auf die Bedeutung umfassenden Sprachenerwerbs hin. Die Verständigung zwischen den Nationen müsse ebenso gefördert werden wie die zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im eigenen Land, sagte der stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD.

31. Mai 2004