Frauenkirche: Der ganze Stolz der Stadt

Vom anfänglichen Streit um den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche ist kaum noch die Rede

Von Marius Zippe (epd)

Dresden (epd). Die Bilder haben sich tief in das Gedächtnis von Renate Vogel eingegraben. In der Hand hält die 76-jährige Rentnerin eine alte Postkarte vom Innenraum der Dresdner Frauenkirche. Mit dem Finger zeigt sie auf eine Stelle vor dem Altar. «Hier habe ich 1943 gestanden und das Weihnachtsoratorium von Bach mitgesungen.» Unvergessen blieben ihr auch die glitzernden Lichterbäume und die klare Akustik.

Mit der Bombardierung der Stadt 1945 ging für Dresdner wie Renate Vogel eine Welt unter. In den 80er Jahren zog es die frühere Gemeindehelferin daher an jedem 13. Februar, dem Gedenktag der Zerstörung, an die Ruine der Frauenkirche. Kein Ort eignete sich für die DDR-Friedensbewegung besser, um an die Bombennacht zu erinnern und mit Kerzen gegen einen drohenden neuen Krieg zu demonstrieren. Jetzt nähert sich der Wiederaufbau der Kirche seinem Abschluss. An diesem Dienstag werden die hölzerne Turmhaube und das Kreuz angebracht. Die Eröffnung ist für den 30. Oktober 2005 geplant.

Als im Februar 1990 nach dem Sturz des SED-Regimes eine Bürgerinitiative um den prominenten Trompeter Ludwig Güttler mit einem «Ruf aus Dresden» für den Wiederaufbau des einstigen Stolzes der Stadt warb, schüttelte Renate Vogel nur den Kopf. «Das Ruinen-Mahnmal, in dem so viele Emotionen und Erinnerungen steckten, sollte zerstört werden?»

Viele äußerten ähnliche Zweifel, nicht nur in Dresden. In ganz Deutschland wurde in Zeitungen und Diskussionsrunden heftig über die Neuerrichtung gestritten. Nicht wenige fragten, ob mit den veranschlagten 128 Millionen Euro nicht lieber verrottete Altenheime und Straßen instand gesetzt werden sollten. Viele sprachen einer Kopie des von George Bähr von 1726 bis 1743 errichteten Barockbaus auch jeden städtebaulichen Wert ab. Andere wiederum sehnten sich nach Wiederherstellung der Dresdner Silhouette, so wie sie einst der Maler Canaletto verewigte.

Auch die sächsische evangelische Landeskirche rang mit sich, geplagt von Geldsorgen und dem Verfall vieler großer Kirchen. Vor der Synode im März 1991 veröffentlichte Baudezernent Ulrich Böhme sogar eine Denkschrift gegen den Wiederaufbau. Doch das Kirchenparlament sprach sich nach zähem Ringen dafür aus. Bischof Volker Kreß übernahm den Vorsitz im Stiftungskuratorium, Böhme blieb ein vehementer Kritiker.

«Heute ist die Begeisterung für die Frauenkirche unglaublich», beschreibt Dieter Zuber den Stimmungsumschwung. Er vertritt die Landeskirche im Stiftungsrat. Wäre aber die öffentliche Kritik nicht verstummt, hätte alles überdacht werden müssen, räumt er ein.

Wann der Meinungsumschwung kam, lasse sich kaum noch sagen, fügt Oberlandeskirchenrat Christoph Münchow hinzu. «Letztlich liebten die Dresdner ja doch eine Stadt, die es nicht mehr gibt.» Zum Stimmungswandel trug sicher bei, dass die ersten neuen Mauern schnell zu sehen waren - als Gegenbild zum lahmenden Aufbau Ost. Aus den alten Bundesländern und dem Ausland flossen zudem reichlich Spenden, mit denen die Rekonstruktion zum größten Teil bezahlt werden konnte.

Auch Renate Vogel erinnert sich nicht mehr, wann sie ihre Meinung änderte. «Das kam aber schnell», sagt sie. Irgendwann spendete sie für den Wiederaufbau, sammelte Postkarten und Zeitungsartikel. Dass die Dresdner mittlerweile ihre «neue» Frauenkirche annehmen, zeigt sich für sie am immer größeren Gedränge bei Veranstaltungen zum Wiederaufbau. Den ersten Glockenschlag zu Pfingsten 2003 hörte Vogel auch nur von Ferne. Durch das Menschenmeer in der Stadt hatte es für sie kein Durchkommen mehr gegeben.

Wenn die Kirche am Dienstag ihr Turmkreuz erhält, werden wieder Tausende erwartet und erst recht natürlich bei der Wiedereröffnung. Da könnten selbst die Stehplätze vor den Türen knapp werden, schätzt Renate Vogel, fügt aber gleich hinzu: «Egal, ich gehe vor die Kirche, soweit es eben geht.»

21. Juni 2004