Ethikrat-Mitglied Barth: Mehr Selbstbestimmung für Patienten

Berlin (epd). Der Vertreter der evangelischen Kirche im Nationalen Ethikrat, Hermann Barth, hat sich für eine stärkere Selbstbestimmung todkranker Patienten gegenüber den Ärzten ausgesprochen. Die letzte Entscheidung über das Ob und Wie einer Behandlung müsse beim Patienten liegen, sagte der Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einem epd-Interview in Berlin. Barth gehört einer Arbeitsgruppe des Ethikrates an, die eine Stellungnahme zu dem Thema erarbeitet.

Der im Voraus geäußerte Wille eines Menschen etwa in einer Patientenverfügung müsse «im Prinzip genauso geachtet» werden wie der Wille eines aktuell einwilligungsfähigen Menschen, forderte Barth. Selbstbestimmung schließe ein, dass ein Patient gegen das Urteil des Arztes den Verzicht auf Behandlung durchsetzen könne. Das gelte selbst dann, wenn damit Heilungschancen aufs Spiel gesetzt würden, sagte Barth.

Das Bundesjustizministerium will noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Patientenautonomie am Lebensende vorlegen. Zuvor wird die Enquetekommission des Bundestags «Ethik und Recht der modernen Medizin» dazu eine Stellungnahme abgeben. Barth zufolge ist dieses Jahr nicht mehr mit einer Empfehlung des Nationalen Ethikrates zu rechnen.

Barth plädierte für eine größere Bedeutung von Patientenverfügungen, um den Menschen die Sorge zu nehmen, am Ende einer «quälenden Sterbeverlängerung ausgeliefert» zu sein. Dem Arzt sei der ethische Konflikt, trotz Heilungsmöglichkeiten nicht helfen zu dürfen, zuzumuten.

Ebenso wie eine Arbeitsgruppe des Justizministeriums, die die Grundlage für den Gesetzentwurf erarbeitet hat, sprach sich der evangelische Theologe für die Stärkung von Vertrauenspersonen der Patienten und eine große Reichweite der Patientenverfügungen aus. Der Arzt müsse der Entscheidung eines Bevollmächtigten des Patienten folgen, ohne ein Vormundschaftsgericht einzuschalten.

Ferner sollten Patientenverfügungen nicht erst dann gelten, wenn die Krankheit unumkehrbar tödlich sei, sondern schon vorher. Damit setzte sich Barth von der Mehrheitsmeinung der Ethik-Enquetekommission des Bundestags ab.

Der EKD-Vertreter sprach sich hingegen klar gegen die aktive Sterbehilfe aus. Die Selbstbestimmung eines Patienten reiche nicht so weit, dass damit der Anspruch auf Mitwirkung eines Dritten bei einer vorsätzlichen Tötungshandlung gerechtfertigt werden könne. «Die Rechtsgemeinschaft muss am Tötungsverbot strikt festhalten», betonte Barth.

16. August 2004


Das Interview im Wortlaut:

«Die letzte Entscheidung muss beim Patienten liegen»

Ethikrat-Mitglied Hermann Barth plädiert für die Selbstbestimmung Todkranker

Berlin (epd). Das Bundesjustizministerium will noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Selbstbestimmung von Patienten am Lebensende vorlegen. Die Ethik-Enquetekommission des Bundestags konnte sich hingegen auf eine Stellungnahme zu Patientenverfügungen und Sterbebegleitung noch nicht verständigen und will diese im Herbst vorlegen. Der Nationale Ethikrat befasst sich ebenfalls mit dem Thema. Jutta Wagemann sprach darüber mit dem Ethikrat-Mitglied und Vizepräsidenten des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hermann Barth.

epd: Die Arbeitsgruppe des Justizministeriums plädiert in ihrem Abschlussbericht für einen hohen Grad an Selbstbestimmung todkranker Menschen. Patientenverfügungen, also die Willenserklärung eines Patienten zur medizinischen Behandlung am Lebensende, sollen deutlich gestärkt werden. Teilen Sie diese Auffassung?

Barth: Der Bericht macht mit Recht die Selbstbestimmung stark. Selbstbestimmung schließt ein, dass ein Patient gegen das Urteil des Arztes den Verzicht auf Behandlung durchsetzen kann, selbst wenn damit Heilungschancen aufs Spiel gesetzt werden. Das ist unstrittig im Blick auf Situationen, in denen ein Patient bei klarem Bewusstsein selbst über Art und Dauer einer medizinischen Behandlung entscheiden kann. Ich trete dafür ein, dass der in einer Patientenverfügung im Voraus geäußerte Wille eines Menschen im Prinzip genauso geachtet wird wie der Wille eines aktuell einwilligungsfähigen Menschen.

epd: Zählt das Recht auf Selbstbestimmung mehr als das Ethos des Arztes zu heilen?

Barth: Es geht überhaupt nicht darum, abstrakt zu sagen, ob das eine oder das andere mehr zählt. Vom Arzt wird zu Recht erwartet, dass er das Menschenmögliche tut, um Leben zu bewahren und Leid zu lindern, und mich als Patienten entsprechend berät. Aber die letzte Entscheidung über das Ob und Wie der Behandlung muss beim Patienten liegen. Wenn das nicht klar ist, können wir den Menschen nicht die Sorge nehmen, sie seien am Ende eben doch der vollen Anwendung aller medizinischen Möglichkeiten und damit einer quälenden Sterbeverlängerung ausgeliefert.

epd: Gehen Sie denn davon aus, dass ein medizinischer Laie in der Lage ist abzuschätzen, welche Behandlung er zulassen oder ablehnen will im Falle einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls?

Barth: Eine Patientenverfügung abzufassen verlangt dem Betroffenen viel ab. Er muss sich mit einer Situation auseinander setzen die viele lieber verdrängen. Er muss sich kundig machen, sich mit Ärzten beraten, seine Angehörigen informieren.

epd: Bringt man nicht den Arzt in ein schwieriges ethisches Dilemma: Er sieht noch Heilungschancen, muss aber die Behandlung abbrechen, weil der Patient das - vielleicht vor Jahren - in einer Verfügung so festgelegt hat?

Barth: In dieses Dilemma kann der Arzt auch kommen, wenn ein Patient bei Bewusstsein ist und eine aus der Sicht des Arztes gebotene Behandlung ablehnt. Dieser Konflikt ist zumutbar. Im übrigen dürfen wir nicht die Illusion nähren, dass eine Patientenverfügung dem Arzt in absoluter Klarheit an die Hand gibt, was der Wille des Patienten ist. Der Arzt ist zur Interpretation genötigt. Darum ist es gut, wenn schon das Aufsetzen einer Patientenverfügung zugleich der Beginn eines Gesprächs mit dem Arzt ist.

epd: In der Regel wird in einer Patientenverfügung eine Vertrauensperson benannt, die entscheidet, wenn der Patient selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Für welche Regelung plädieren Sie, wenn sich der Bevollmächtigte und der Arzt nicht einig sind?

Barth: Ich schließe mich auch hier der Arbeitsgruppe des Ministeriums an. Sie räumt der vom Patienten selbst bevollmächtigten Person - anders als dem staatlich bestellten Betreuer - eine weitgehende Vertretungsmacht ein: Der Arzt muss der Entscheidung des Bevollmächtigten folgen. Wenn dazu ein Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden müsste, wäre das eine ungerechtfertigte Einschränkung der vom Patienten erteilten Bevollmächtigung und damit der Selbstbestimmung des Patienten.

Prinzipiell muss gelten: Nicht andere, sondern die Patienten selbst sollen darüber bestimmen, was gut für sie ist. Die Arbeitsgruppe hält aber an der Möglichkeit fest, das Vormundschaftsgericht zur Missbrauchskontrolle anzurufen.

epd: Sollte eine Patientenverfügung erst voll zur Geltung kommen, wenn die Krankheit einen unumkehrbar tödlichen Verlauf angenommen hat?

Barth: Nein, ich sehe keine Rechtfertigung, die Reichweite der Patientenverfügung auf die finale Phase zu beschränken. Allerdings rate ich davon ab, in vorgedruckten Patientenverfügungen Textbausteine vorzusehen, die sich auf die präfinale Phase beziehen. Denn das könnte leicht so missverstanden werden, als würden bestimmte Krankheitsbilder und Leidensituationen als nicht lebenswert abgestempelt.

epd: Wie weit geht für Sie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten? Schließt es den Wunsch nach Tötung, also die aktive Sterbehilfe ein?

Barth: Definitiv nein. Auch die Arbeitsgruppe des Ministeriums hat dies kategorisch abgelehnt. Die Selbstbestimmung eines Patienten reicht nicht so weit, dass sie einen Anspruch auf die Mitwirkung Dritter bei einer vorsätzlichen Tötungshandlung begründen könnte. Die Rechtsgemeinschaft muss am Tötungsverbot strikt festhalten. Hier ist für Sterbebegleitung und Sterbehilfe die rote Linie zu ziehen.

epd: Auch der Nationale Ethikrat beschäftigt sich mit dem Thema Patientenverfügung. Zeichnet sich schon eine Mehrheitsmeinung ab und wann ist mit einer Stellungnahme zu rechnen?

Barth: Der Nationale Ethikrat hat gerade erst eine Arbeitsgruppe zum Thema Sterbebegleitung gegründet, in der ich Mitglied bin. Wir haben mit der Debatte begonnen. Eine Stellungnahme wird es in diesem Jahr voraussichtlich nicht mehr geben.

16. August 2004

Quelle und Rechte: Evangelischer Pressedienst (epd)