Zwölf Minuten Stille statt Schokolade

Kalender «Der Andere Advent» erscheint zum zehnten Mal

Von Oliver Spies

Hamburg (epd). Keine Schneelandschaft ziert das Titelblatt, Plätzchen-Backrezepte fehlen und Schokolade ist auch keine drin: Dem Kalender «Der Andere Advent» fehlt alles, was man von einem Adventskalender erwartet. Ohne das übliche Weihnachts-Klischee zu bedienen, lädt die Hamburger Adventsaktion mit meditativen Texten und Bildern zu «zwölf Minuten Stille pro Tag» ein. Der Erfolg gibt dem Konzept Recht: Mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren erscheint in diesem Jahr der zehnte Adventskalender des Hamburger Vereins «Andere Zeiten - Initiativen zum Kirchenjahr».

«Ich staune selbst über den Erfolg», sagt Pastor Hinrich Westphal, Gründer des «Anderen Advent». Mit 4.000 Exemplaren ging die Aktion 1995 an den Start, um ein «Zeichen gegen den weihnachtlichen Kommerz» zu setzen. Zwei Jahre später erreichte die Auflage bereits 60.000 Stück, und im vergangenen Jahr wurden 175.000 Kalender verkauft.

Das Geheimnis des Kalenders sieht Redakteurin Susanne Niemeyer in seinen Überraschungseffekten: «Der Leser weiß beim Umblättern nie, was kommt.» Die achtköpfige Redaktion scheut sich nicht, Satiren neben traurige Geschichten oder nachdenkliche Verse zu stellen, Cartoons neben Aquarelle, Fotos neben Kinderzeichnungen. «Es kommt auf die Mischung an», sagt Niemeyer. In diesem Jahr soll sogar «Pu der Bär» auftauchen. Acht Monate lang arbeiteten Redaktion und Grafik an dem Kalender.

Der Verzicht auf «den üblichen weihnachtlichen Kitsch» ist längst Markenzeichen: Ob leuchtendes Iglu in arktischer Nacht, Flaschenpost am Strand oder das Porträt einer Schäferin - auf der Titelseite weist nur das Logo auf die Adventszeit hin. Auf dem aktuellen Kalender ist eine rote Telefonzelle zu sehen. Sie steht auf einem Bootsanleger am Rande eines einsamen Sees. «Wo ist die Brücke zwischen Himmel und Fisch?», fragt ein Gedicht auf der Rückseite.

Der Kalender will die christlichen Wurzeln von Weihnachten auf neue Art herausstellen: Der «Weg zur Krippe» ist für Pastor Westphal immer auch ein «Weg zu sich selbst und zu anderen»: «Die Texte und Bilder können jedem Tag ein spirituelles Vorzeichen geben.» Die oft laute und oberflächliche Weihnachtszeit mit ihrem Ansturm auf Kaufhäuser verstelle nicht nur einsamen und mit Sorgen belasteten Menschen den Blick auf das Wesentliche: die Geburt Jesu.

Aus der kleinen Leserschar des «Anderen Advent» ist mit den Jahren eine bundesweite Gemeinschaft geworden. 1998 wurde der Verein «Andere Zeiten» gegründet, der seitdem Herausgeber und alleiniger Vertreiber ist. Mit dem Andere-Zeiten-Magazin, Briefen zur Fastenzeit und anderen Initiativen begleitet der Verein, der mittlerweile acht feste Mitarbeiter hat, durch das Kirchenjahr.

Mit dem Weihnachtsfest ist noch nicht das letzte Kalenderblatt erreicht: Der «Andere Advent» begleitet die Menschen auch «Zwischen den Jahren» und auf den «Wegen im neuen Jahr» bis zum Heiligen-Drei-Königstag, dem 6. Januar. Erst dann verabschiedet sich die Redaktion mit dem Segensgruß «Ich geb dir einen Engel mit».

«Der Andere Advent», 7,50 Euro

29. September 2004