Bibel auf der Bühne

Das Berliner Gorki-Theater erzählt bis Heiligabend das Buch der Bücher nach

Von Michael Grau

Berlin (epd). Es ist ein richtiger Beziehungskrieg, der da auf der Bühne tobt. «Du bist kein Mann, du bist eine Memme!», brüllt die Frau. «Ich hab keinen Bock mehr, mit dir zu diskutieren!», schreit der Mann. Der Mann ist Adam, die Frau Eva. Gerade sind sie aus dem Paradies vertrieben worden. Zumindest auf der Bühne des traditionsreichen Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Das Theater hat sich ein ambitioniertes Projekt vorgenommen: Mit dem Stück «Die Bibel - eine Sinnsuche in fünf Teilen» erzählt es von Donnerstag an bis Heiligabend das Alte Testament nach.

Regisseur Bruno Cathomas fasst den biblischen Stoff dabei in fünf Archetypen zusammen: Die Frau, den Mann, das Gute und das Böse. Die fünfte Figur ist das «Es», das sowohl für Gott als auch für die Schlange im Paradies stehen kann. «Das Es ist alles, was wir uns nicht erklären können.» Das «Es» bringt auch den Apfel ins Spiel, als Adam und Eva sich gerade verliebt haben. «Du erquickst mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe», rufen sie sich mit Worten des biblischen «Hohelieds» zu. «Dein Mund ist voll Süße wie Honig.»

Es bedurfte einiger Umwege, bis die Bibel auf die Bühne kam. «Ich wollte ein Stück über die Ursprünge des Schauspiels machen», sagt Cathomas. «Wir haben versucht, eine Geschichte zu finden, wo diese Ursprünge drin sind. Wir wussten, dass es eine große Geschichte sein muss.» Zunächst dachte Cathomas an Don Quichotte und Tolstojs «Krieg und Frieden», doch schließlich landete er bei der Bibel, in deren Geschichten es mindestens ebenso dramatisch zugeht. Nach der «Schöpfung» mit Adam und Eva geht es in den nächsten Wochen um «Law and Order», «Helden», die «Propheten» und um die «Apokalypse».

Im ersten Teil stellen sich die fünf Archetypen vor. Anya Fischer gibt als Eva zunächst das unschuldige Mädchen, das singend über die Bühne hüpft. Dann reißt sie sich, angestiftet vom «Es», das hellblaue Sweatshirt vom Leib und brüllt leicht bekleidet ins Publikum: «Ruf mich an! Null hundertneunzig, drei-sieben drei-sieben drei-drei!» Sie begegnet Adam und tanzt mit ihm zu Disko-Klängen über die Bühne, bis das Glück in der Krise mündet.

Der Regisseur hat dabei nur die Eckpunkte der Handlung festgelegt, den Rest improvisieren die fünf Schauspieler selbst. In den fünf Teilen will er nichts Geringeres als die Entwicklung der Menschheit nachzeichnen: von den Individuen über die Familie, die Sippe, das Volk, den Staat bis zur Vernichtung in der Apokalypse. Das «Böse» erscheint dabei als Kain, Pharao oder König Saul, das «Gute» als Abel, Mose oder König Salomo.

Cathomas bezeichnet sich selbst und die Schauspieler als ungläubig. «Sonst könnte man ein solches Stück gar nicht machen. Man hätte zu viel Respekt.» Er selbst stammt aus der Schweiz und wurde katholisch erzogen. «Das war alles mit Angst besetzt.» Durch die Lektüre von Charles Darwin wandte er sich von Kirche und Glauben ab. «Jetzt habe ich ein ganz entspanntes Verhältnis zur Bibel», erzählt er.

Im Maxim-Gorki-Theater (www.gorki.de) wird er sich in den nächsten Monaten wieder intensiv mit dem Buch der Bücher beschäftigen. Denn begleitend zum Theaterstück setzen sich in der Reihe «Die andere Bibel» Literaten mit der Heiligen Schrift auseinander. Dienstags um 22 Uhr öffnet die «Bibel Corner»: Jeder Zuschauer kann für zehn Minuten die Bühne mieten und seine Ansichten zur Bibel kund tun. Und nebenan lockt in nächster Zeit eine Bar mit einem ganz besonderen Namen: «Glauben und Trinken».

07. Oktober 2004