EKD: Ausstrahlung von Judenwitzen beschämend

Baden-Baden (epd). Die TV-Containershow «Big Brother» sollte nach Ansicht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nicht mehr live ausgestrahlt werden. Das forderte der EKD-Rundfunkbeauftragte Bernd Merz im Südwestrundfunk. Hintergrund ist die unzensierte Ausstrahlung von judenfeindlichen Witzen Anfang Oktober im Abosender Premiere. Merz nannte den Vorgang beschämend und warf Premiere-Chef Georg Kofler mangelndes Verantwortungsbewusstsein vor.

Der EKD-Beauftragte kritisierte, dass der Vorfall erst durch journalistische Recherche bekannt wurde. Der Sender hatte daraufhin die beiden verantwortlichen Redakteure fristlos entlassen. Die bayerische Staatsregierung fordert, die Show ganz abzusetzen. Die bayerische Landeszentrale für Neue Medien hat eine Strafanzeige wegen Verunglimpfung angekündigt.

16. Oktober 2004


Die Stellungnahme im Wortlaut:

Bernd Merz, der Rundfunkbeauftragte der EKD, über den neuesten Skandal bei „Big Brother“

„… denn sie wissen nicht, was sie senden.“

Ein junger Mann zeigt seinen WG-Mitbewohnern, was für ein Comedy-Talent er ist und erzählt Witze – über Juden. Premiere überträgt live- „Big Brother“ rund um die Uhr. Da passiert so was. Der Sender reagiert prompt: Zwei Redakteure werden entlassen, alle Mitarbeitenden sollen noch stärker sensibilisiert werden. Damit scheint der Fall für Premiere-Chef Georg Kofler erledigt zu sein. Und das ist der wahre Skandal.

Denn wenn Kofler äußert, um halb drei würde sowieso „höchstens ein Dutzend Zuschauer“ einschalten, sagt er nicht nur etwas über den Erfolg seines Senders, er zeigt auch, dass er überhaupt nicht weiß, was sein Job ist.

Fernsehen ist kein Spielplatz, wo man alles tun und lassen kann. Fernsehen ist ein Multiplikator, auch wenn es Pay-TV ist. Was hier gesagt und getan wird, bohrt sich in die Gesellschaft. Deshalb muss die erste Regel aller Programmmacher sein: Verantwortung. Verantwortung gegenüber den Menschen, die im Fernsehen gezeigt werden. Sie sind bei einem Format wie Big Brother immer gefährdet, zu vergessen, dass sie öffentlich handeln und zeigen Seiten an sich, die sie sonst zu Recht für sich behalten würden. Und die Programmmacher haben eine Verantwortung gegenüber dem Publikum und unserer Gesellschaft. Es gibt in unserer Gesellschaft verbindende Normen. Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens. Zu diesem Konsens gehört das Bewusstsein, gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, dass der Umgang mit dem jüdischen Glauben und Menschen jüdischen Glaubens respektvoll und nicht diskriminierend sein darf. Und dieser Konsens ist zerstört, wo man unkommentiert Witze über Juden überträgt. Das ist unentschuldbar und es bestätigt die Kritik, die an „Big Brother“ und ähnlichen Formaten geübt worden ist.

Denn dieser Fall zeigt, wie verantwortungslos bei Sendungen wie „Big Brother“ mit Menschen umgegangen wird. Der junge Mann ist bloßgestellt. Und das Publikum wird wieder einmal konfrontiert mit Gedankengut (oder eher Gedankenlosigkeitsgut), das dumpf in unserer Gesellschaft wabert, obwohl es von der überwiegenden Mehrheit bekämpft wird. Wenn Senderchef Kofler die Affäre herunterspielt, versucht er zu überspielen, dass es sich hier nicht um einen „bedauerlichen Vorfall“ oder eine „Panne“ handelt. Stattdessen zeigt sich an dieser Stelle ganz klar, wie unsinnig und wie gefährlich es ist, alles und jeden rund um die Uhr live zu zeigen. In diesen Realityformaten kommen solche furchtbaren Aussagen zwangsläufig vor. Erst vor wenigen Monaten wurden in einer anderen Container-Show nachts ebenfalls Witze erzählt – über sexuell missbrauchte Kinder. Ebenfalls live übertragen, auf einem anderen Sender als Premiere, frei empfangbar. Und es wird wieder passieren. Auf anderen Sendern, mit anderen Menschen, die Solidarität und Zuwendung verdienen statt Spott und Häme. Es wird immer wieder vorkommen, wenn Programmverantwortliche sich weigern zu begreifen, dass sie Verantwortung tragen.

Der Pressesprecher von Premiere kritisiert selbst, dass die Redakteure hätten reagieren müssen. Man hätte wegschalten und etwas anderes zeigen müssen. Warum ist das nicht passiert? Warum ist der junge Mann nach Rücksprache mit der Produktionsfirma Endemol nicht sofort aus dem Container entlassen worden? Warum wollte man die Angelegenheit vertuschen, bis sie durch die Presse entdeckt wurde? Unbequeme Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt: Weil es den Verantwortlichen egal ist, was sie senden. Die Menschen auf dem Bildschirm sind ihnen so egal wie die, die zuschauen. Das ist der Skandal. Deshalb reicht die Aussage bei weitem nicht, dass alle Mitarbeitende und Mitwirkenden weiter sensibilisiert werden sollen. Die Programmverantwortlichen selbst sind es, die sensibilisiert werden müssen. Sonst freuen sie sich unter Umständen noch darüber, dass hier ein Teilnehmer ihrer Sendung unannehmbares sagt. So kriegen sie ja immerhin Schlagzeilen, was „Big Brother“ bei den relativ schwachen Quoten dringend braucht. Solche Vorfälle verstärken den Eindruck, dass es für Programmmacher nur ein Tabu gibt: Misserfolg. Aber die Medien sind ein Brunnen, aus dem sich unsere Gesellschaft ernährt. Und blanker Zynismus wie in dieser Affäre vergiftet den Brunnen.