Matthias-Film nimmt neuen Kinderfilm ins Programm

DIE BLINDGÄNGER

Kinostart: 28. Oktober 2004

Ab Frühjahr 2005 als DVD educativ bei Matthias-Film gGmbH

Stuttgart (fs). War nicht die blinde Selma in Lars von Triers „Dancer in the dark“ ein gutes Beispiel dafür, dass blinde Menschen zu ganz außergewöhnlichen Dingen imstande sind? Dass starke Emotionen in ihnen ruhen, sie getrieben sind von einer Vision? Der deutsche Kinderfilm „Die Blindgänger“ von Bernd Sahling, einziger deutscher Beitrag beim Kinderfilmfest der Berlinale 2004, erzählt von den geheimen Sehnsüchten eines Mädchens in einem Blindeninternat. Und davon, wie ein starker Wille scheinbar Unmögliches möglich macht.

Orientierungslos sind die Schülerinnen und Schüler des irgendwo bei Erfurt stehenden Internats für Blinde und Sehbehinderte ganz sicher nicht. Zumindest auf dem Schulgelände finden sie sich auch ohne Blindenstock bestens zurecht. Ansonsten sind ihr Gehör, Geruchs- und Tastsinn so geschärft, dass ihnen Veränderungen der Umgebung nicht entgehen, auch wenn Straßenlärm manchmal zu einer klaustrophobischen Bedrohung zu werden scheint. Weil sie Lust haben, an einem Musikbandwettbewerb eines Fernsehsenders teilzunehmen, stellen sich Marie (Ricarda Ramünke) und Inga (Maria Rother), beide 13 Jahre alt, bei einer rockenden Jungband vor, blitzen dort aber wegen ihres Handicaps und angeblicher Medienuntauglichkeit ab. Bei dieser Gelegenheit begegnet Marie dem Russlanddeutschen Herbert (Oleg Rabuk), dem sie später, nachdem er ein geklautes Auto zu Schrott gefahren hat und sich vor der Polizei verstecken muss, in der Sternwarte des Internats Unterschlupf gewährt.

Marie verliebt sich in den Jungen, den sie nicht sehen, aber ertasten und von ihm träumen kann. Und sie will ihm helfen, wieder in seine Heimat Kasachstan und zurück zu seiner Mutter zu kommen. Dafür aber verlangen die LKW-Fahrer 500 Euro Reisekostenbeteiligung, eine Summe, die weder Herbert noch Marie haben. Als Straßenmusiker mit geschminkten Gesichtern, damit der gesuchte Herbert nicht entdeckt wird, verdienen sie sich das Fahrtgeld, das ihnen jedoch eine Skaterbande wieder klaut – und typisch für die Zivilcourage in diesem Land: die Passanten schauen tatenlos zu.

Marie aber gibt nicht auf, sie hat ihre Vision. An ihrem freien Wochenende verbarrikadiert sie sich mit Inga am Saxofon, Daniel am Schlagzeug und Herbert auf dem Speicher der Schule, mit Hilfe des Internataufsehers Herrn Karl (Dominique Horwitz) entsteht sogar noch ein Videoclip für den Musikwettbewerb. Was jetzt nicht mehr überrascht: die Band „Die Blindgänger“ gewinnt, mit dem Geld kann Herbert seine Heimreise antreten, kann seinen Weg gehen, so wie Marie und ihre Mitschüler den ihren gehen werden.

Bernd Sahlings „Die Blindgänger“ erzählt vom „normalen“ Leben blinder Teenager, ohne irgendwo auch nur am Rand zu Betroffenheitskino zu werden. Wie ihre sehenden Altersgenossen sorgen auch sie sich um ihr Äußeres, färben sich zum Beispiel die Haare. Wirklich wohl aber, das macht der Film auch deutlich, fühlen sie sich doch nur in der Geborgenheit ihrer vertrauten Umgebung, in der man sich gegenseitig neckt und ärgert wie sonst wo unter Kindern und Jugendlichen. Und in der es die gleichen Gefühle zu verarbeiten gibt wie überall anders. Sahling gelingt es dabei sehr gut, die besonderen Unterschiede des Alltags, in der Wahrnehmung wie im Erleben, der Sehbehinderten darzustellen und sensibilisiert dabei auch die selektive Wahrnehmung des sehenden Kinobesuchers – ohne dabei Humor und Selbstironie nicht zu vergessen.

Besonders einfühlsam und verständnisvoll erweist sich dabei auch Dominique Horwitz als Internatsbetreuer, eine Rolle, die er ähnlich souverän auch schon in „Verrückt nach Paris“ mit aus ihrem Wohnheim ausbüchsenden geistig behinderten Erwachsenen spielte. Die wahren Helden dieses warmherzigen, empfindsamen und optimistischen Kinderfilms aber sind die Mitglieder der Band „Die Blindgänger“.