Christ sein und Motorrad fahren

Christliche Motorradfahrer setzen sich für partnerschaftliches Verhalten im Verkehr ein

Von Michael Ruffert (epd)

Frankfurt a. M. (epd). Sanft legen die Fahrer ihre Maschinen in die Kurve und beschleunigen auf dem Weg zur Autobahn. Die Schräglage ist im Frühling noch gering, die Geschwindigkeit angepasst: An der Spitze der Gruppe von fünf Motorrädern fährt eine blaue BMW 1100 RS - der Fahrer ist Pfarrer.

Ruprecht Müller-Schiemann arbeitet als Motorradfahrer-Seelsorger der hessischen evangelischen Kirchen und ist seit frühen Studientagen selbst leidenschaftlicher Biker: "Gerade in dieser Jahreszeit erlebt man die Natur ganz anders als im Auto. Man kann den Frühling spüren und riechen", beschreibt er die Faszination beim Motorradfahren.

Auf seiner Maschine ist er in schwarzer Motorradkluft und Stiefeln nicht als Pfarrer erkennbar. Aber der Mann mit Schnäuzer und Nickelbrille ist mit seinen 55 Jahren inzwischen bundesweit der älteste Seelsorger, der sich speziell um Motorradfahrer kümmert. Wenn die Tage wieder wärmer und länger werden, fährt er häufig mit einer Gruppe vom Verband Christlicher Motorradfahrer (VCM) durch das Rhein-Main-Gebiet oder die Ausläufer des Taunus.

Solche Zusammenschlüsse christlicher Motorradfahrer gibt es in ganz Deutschland. Die Mitgliederzahlen weisen nach oben, in Hessen sind es rund 180. Es gibt auch Führerscheinneulinge, aber die Altersgruppe von 35 bis 45 Jahre dominiert. Im Frühling begrüßen die Biker die neue Saison mit Gottesdiensten, dem "Anlassen" der Maschinen.

Christ sein und Motorrad fahren ist für die Biker kein Widerspruch, dann das Klischee vom Raser und Rocker auf zwei Rädern gilt nach Ansicht von VCM-Sprecher Ansgar Kreft nicht mehr: "Das Image hat sich gewandelt. Mittlerweile ist Motorradfahren ein gesittetes Hobby von Leuten, die im Beruf stehen." Nicht selten trügen Biker unter der Lederjacke längst Hemd und Krawatte.

Wer bei den Gruppen mitfahren will, muss nicht in der Kirche sein. "Bei uns ist eigentlich jeder willkommen, egal, ob Katholik, Protestant oder Mohammedaner", sagt Kreft, "wir versuchen einfach, die christlichen Werte rüberzubringen." Dazu gehört für die Initiative vor allem partnerschaftliches Verhalten, Rücksichtnahme, mehr Sicherheit im Straßenverkehr und eine zurückhaltende Fahrweise.

Dabei ist Motorradfahren nicht mehr nur Männersache. "Bei uns sind einige Mädels dabei", sagt Christiane Lindemann. Sie hat feuerrote Haare und trägt konsequent unter der Motorradjacke den Pumuckel auf dem Shirt. Die 44-Jährige hat mit ihrer Honda-Transalp bereits rund 160.000 Kilometer hinter sich. Sie fährt nicht nur gerne, sondern schraubt auch selbst. "Ich mag den Geruch von Leder und Öl", sagt die Bikerin. Beim VCM macht sie mit, weil sie die Gemeinschaft sucht.

Dass Motorradfahrer für christliche Werte offen sind, zeigt auch der Erfolg von Biker-Gottesdiensten. Sie werden bundesweit immer häufiger angeboten. "Bei uns in der nordelbischen Kirche sind es mittlerweile 20 pro Jahr", erzählt Pfarrer Erich Faehling. Vor einigen Jahren seien es nur drei oder vier gewesen.

Faehling ist mit der Organisation des Motorradgottesdienstes (MOGO) am Michel betraut, der größten Hamburger Kirche. Dort kommen jeden Sommer mehr als 30.000 Fahrer zusammen. Die Feier gilt als größtes Bikertreffen Europas, der Korso nach dem Gottesdienst ist über 30 Kilometer lang. "Motorradfahrer suchen die Begegnung mit kirchlichen Themen", betont Faehling. Ihnen sei auch das Gebet für getötete Biker wichtig.

Der Andrang bei den Gedenk- und Frühjahrsgottesdiensten zeigt auch nach Ansicht von Müller-Schiemann, dass es bei Biker großes Interesse an Glaubensfragen gibt. In Hessen kommen beim "Anlassen" zwischen 10.000 und 15.000 Zweirad-Fans zusammen. In den Kirchenbänken sitzen dann Männer und Frauen in Motorradkluft, vor der Tür reiht sich ein Bike an das andere.

"Die Kirchenleitungen wären gut beraten, wenn sie unsere Arbeit weiter fördern würden", sagt der Motorradfahrer-Seelsorger. Denn die Biker erlebten, dass Glaube so dargestellt werden kann, "dass sie damit etwas anfangen und etwas mit nach Hause nehmen können".

21. April 2005