Bischof Huber: NS-Geschichte muss weiter aufgearbeitet werden

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat zum 60. Jahrestag des Kriegsendes dazu aufgerufen, die NS-Zeit weiter aufzuarbeiten. Andernfalls wirke verdrängte Geschichte fort, warnte Huber in einem epd-Gespräch in Berlin. Am 8. Mai müsse man sich nicht nur fragen, wovon Deutschland und Europa befreit wurden, sondern auch, wozu: «Wir sind am 8. Mai befreit worden zu einer Gestaltung der Freiheit, zu einem Leben in Demokratie, zum Respekt vor der gleichen Würde jedes Menschen», sagte der Berliner Bischof.

Der 8. Mai sei ein Tag der Befreiung auch für die Mitläufer und Mittäter gewesen. Sie seien von dem Verhängnis befreit worden, an dem sie selber mitgewirkt hätten. Der von Richard von Weizsäcker geprägte Begriff der Befreiung sei 1985 für die Westdeutschen ein neuer Schritt ins Freie gewesen. In der DDR sei der Begriff allerdings Teil der Ideologie gewesen. Falsche Vereinnahmungen des Jahrestags durch Rechtsextreme müssten zurückgewiesen werden, forderte der EKD-Ratsvorsitzende.

Wenn man sich der Geschichte nicht mehr erinnere, stehe man in ihrem Bann, sagte Huber. Die Debatte um Nachrufe auf NS-belastete Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes zeige, wohin es führe, wenn man sich der Geschichte nicht gestellt habe. In anderer Hinsicht gelte dies auch für die Aufarbeitung der SED-Geschichte im Osten Deutschlands.

Die evangelische Kirche muss Huber zufolge aus der NS-Zeit die Lehre ziehen, rechtzeitig wachsam zu sein und den Mut zu haben, sich einzumischen. «Glaubenscourage ist die wichtigste Lehre für die Kirche», sagte der Ratsvorsitzende. Das bedeute auch, sich für die Religionsfreiheit in allen Ländern einzusetzen.

Huber forderte dazu auf, dass am 8. Mai möglichst viele Menschen in Berlin an einem «Tag für Demokratie» am Brandenburger Tor teilnähmen. Die Aktion müsse so überzeugend wie irgend möglich sein. Er äußerte die Hoffnung, dass die geplante Rede von Bundespräsident Horst Köhler so im Gedächtnis bleibe wie die von Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag. Wenn in den Familien und am Arbeitsplatz über diesen Tag geredet werde, gehe er ins demokratische Bewusstsein ein.

06. April 2005