Der Papphocker macht den Kirchentag beweglich

Vom Sitzmöbel zum Kultobjekt

Hannover (epd). Ungeübte brauchen schon mal fünf Minuten, um einen Papphocker aufzubauen. Der inoffizielle Weltrekord eines trainierten Helfers auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover liegt bei 20 Exemplaren in etwa der gleichen Zeit. Bis zum Auftakt des großen Christentreffens am Mittwoch müssen mehr als 56.000 Hocker aufgestellt werden, die sich in der Geschichte des Kirchentages längst vom Sitzmöbel zum Kultobjekt entwickelt haben.

Die Erfolgsstory begann vor genau 30 Jahren auf dem Kirchentag in Frankfurt am Main. «Damals haben wir nach einer flexibleren Form der Hallenbestuhlung gesucht», erinnert sich Heinz Steege, der zwischen 1970 und 1998 Organisationsleiter des Kirchentages war. «In den Hallen wollten die Leute nicht mehr nur frontal zuhören, sondern miteinander reden. Und das war auf den festen Stuhlreihen nur auf Kosten einer Genickstarre möglich.»

Zuerst dachten die Macher des Kirchentages an leere Bierkisten, die beim probeweisen Einsatz von den Gästen allerdings zum spontanen Turm- und Burgenbau verwandt wurden und beim Umfallen nicht ganz ungefährlich waren. Dann kam die Idee, Sitzgelegenheiten bauen zu lassen, die nach Gebrauch Platz sparend transportiert und nötigenfalls eingelagert werden können. Der Prototyp des Papphockers war geboren.

«Vielleicht gibt es kein besseres Symbol für den Kirchentag als den Papphocker», sagt der heute 66-jährige Steege. «Er sorgt für eine mobile, flexible und fröhliche Art, Kirche zu sein.» Geschlechtergerecht redeten die Besucher bald von «Papphockerinnen und Papphocker». Mittlerweile wurden in der Kirchentagsgeschichte fast eine Million Exemplare gefaltet und aufgestellt.

Im Inneren stabilisiert von zwei diagonal zusammengesteckten Pappstegen ist das erstaunlicherweise von seinen Erfindern immer noch nicht patentierte fünflagige Papier überaus robust. Einziger Nachteil: Nach mehrstündigem Sitzen strengt die Papphockerei den Hintern an. Doch sie ist Kult und das knapp ein Kilo leichte Gerät dient längst nicht nur als Sitz, sondern ist Notizblock, Ruhekissen, Sichtschutz und Vesperplatz in einem, für das gemeine Kirchentagsvolk genauso wie für prominente Gäste. Dieses Jahr ist der Typ mit 45 Zentimetern bei gleich bleibender Kantenlänge von 350 Millimetern etwas höher als sein Vorgänger in Berlin. «Das ist komfortabler, die Leute werden größer», erläutert Einsatzleiter Enno Eike Nottelmann. Die Daten des Herstellers aus Sarstedt zwischen Hannover und Hildesheim sind rekordverdächtig. Insgesamt wurden 85.000 Quadratmeter Wellpappe verarbeitet und mit zehn Lastwagen angeliefert. Auf insgesamt 20.000 Hockern gibt es in Hannover erstmals Sponsorenaufdrucke von Greenpeace und einer Versicherung.

Alles an dem Produkt ist umweltschonend, versichert der Fabrikant. Das Grundmaterial stammt aus recyceltem Papier, die Farben sind grundwasserneutral, der Kleber verbindet auf Stärkebasis. Am Ende werden die Hocker eingelagert für den nächsten Kirchentag in Köln. Wer will, kann seine «Pappe» zum Preis von einem Euro mitnehmen. Das garantiert zumindest einen Sitzplatz in den wahrscheinlich völlig überfüllten Zügen, die am Sonntag viele der 100.000 Kirchentags-Dauerteilnehmer nach Hause bringen.

22. Mai 2005