Studienjahr in Jerusalem: Auf der Suche nach den Wurzeln

Christliche Theologie-Studenten verbringen ein Jahr in Jerusalem

Von Oliver Spies

Jerusalem (epd). «Schwimmen lernt man im Wasser, Kochen in der Küche, Theologie in Jerusalem», sagt Maria Jepsen. Für die Hamburger Bischöfin unterweisen nicht nur Bücher und Professoren in Glaubensfragen. Die Heiligen Stadt selbst ist mit ihrer Geschichte, ihren Steinen, Pflanzen und Menschen eine theologische Lehrerin.

Seit 25 Jahren bietet deshalb der Arbeitskreis «Studium in Israel» deutschsprachigen Theologie-Studenten an, ein Jahr an der «Hebräischen Universität» in Jerusalem zu studieren. Ziel des Studienprogramms ist es, die jüdischen Wurzeln des Christentums durch die persönlichen Begegnung mit Israelis und Juden aus aller Welt kennen zu lernen.

«Hier klärt sich die Frage, was es überhaupt heißt, Christ zu sein», sagt Joachim Krause. Der Berliner Theologiestudent muss täglich erklären, wer er ist, was er glaubt und woher er kommt. Für Studienleiter Andreas Wagner ist genau dies das Ziel: «Unser Studienprogramm setzt auf Begegnung, die zur Auseinandersetzung mit der eigenen Identität anregt.»

Die Begegnung mit der Tradition des Judentums trage dazu bei, die biblischen Quellen neu zu entdecken und zu verstehen, so Wagner, der die derzeit sieben Teilnehmer betreut. Die persönliche Begegnung zwischen Juden und Christen sowie Israelis und Deutschen helfe zudem, Vorurteile abzubauen und einander kennen zu lernen.

Kenntnisse über Sprache, Glauben, Denken und Kultur des Judentums kann Joachim Krause an der Hebräischen Uni auf dem Scopus-Berg seit knapp einem Jahr sammeln: Neben dem Studium der grundlegenden Schriften des Judentums, der Tora, des Talmuds und der Midrasch, belegte der 22-jährige Berliner Kurse über das Rabbinische Schrifttum und über die jüdische Philosophie, Politik und Geschichte. Ergänzt wird sein Stundenplan durch das wöchentliche Begleitprogramm: Die Themen der vertiefenden Seminare oder Ziele von Exkursionen können die Studenten dabei selbst wählen.

Ins Leben gerufen wurde das «Studium in Israel» 1978 von einem kleinen Kreis von Theologie-Professoren. «Ziel war, das authentische Kennenlernen des Judentums zu fördern», erklärt Katja Kriener. Für die Vorsitzende des Arbeitskreises «Studium in Israel» ist die Auseinandersetzung mit dem Judentum für Christen und insbesondere Theologen unverzichtbar.

«Um uns selbst zu verstehen, müssen wir das Judentum kennen», so Kriener, die selbst eine Absolventin des Studienjahres ist: Gerade vor dem Hintergrund des christlichen Antijudaismus und des deutschen Antisemitismus sei dies eine dringliche Herausforderung.

Das «Studium in Israel» verlangt den Studenten einiges ab: In den ersten zwei Monaten in Israel stehen täglich fünf Stunden Sprachunterricht auf dem Stundenplan. Zwar sind Theologen die hebräischen Schriftzeichen aus dem Alten Testament vertraut, doch unterscheidet sich Neuhebräisch davon erheblich.

«Ich glaubte anfangs selbst nicht, dass ich jemals einen Satz sprechen könnte, aber es hat geklappt», erinnert sich Joachim Krause, der seine Sprachkenntnisse weiter verfeinert: Im Tandemprinzip lernt ein Israeli mit ihm Hebräisch und er mit ihm Deutsch. Über das Sprachlernen hinaus, besuchten sie gemeinsam Gottesdienste in der Synagoge und in der Kirche.

Neben dem Erlernen von Neuhebräisch müssen die Studenten für ihren Unterhalt und die Studiengebühren der Hebräischen Uni selbst aufkommen: Etwa 4.500 Euro im Jahr kostet das Studienjahr an der «besten Uni der Welt», so Krause. Der stolze Preis lohne sich, denn nirgendwo anders gebe es bessere Studienbedingungen.

Etwa 550 Teilnehmer haben seit Beginn des Studienprogramms in Israel studiert. Doch die Nachfrage nach den 20 Plätze ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Grund dafür ist nicht nur der Nahost-Konflikt, sondern auch der Rückgang von Theologiestudenten überhaupt. Mit 3.500 Pfarramts-Studenten in Deutschland wurde 2004 der niedrigste Stand erreicht. In den 80er Jahren waren bis zu 13.500 Studenten eingeschrieben.

Zusätzlich droht der Rotstift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die jährliche Unterstützung von rund 80.000 Euro zu kürzen. So ist die Finanzierung der Stelle des Studienleiters ab kommenden Jahr noch offen.

Um der sinkenden Nachfrage und dem Spardruck entgegenzuwirken, wird nach Kooperationsmöglichkeiten mit kirchlichen Einrichtung vor Ort und mit anderen europäischen Kirchen gesucht. Zudem wird an einem neuen Konzept gefeilt. Das Angebot soll sich nicht mehr nur an Studenten richten. Gemeinsam mit Fortbildungseinrichtungen in Deutschland werden Wochenkurse und Studienreisen für Pastoren angedacht. Und auch älteren Gaststudenten soll ein «Studium in Israel» ermöglicht werden.

30. Juni 2005