Huber: Einfluss der EKD auf die Politik erwächst aus innerer Stärke

Berlin (epd). Zum 60-jährigen Bestehen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat ihr Ratsvorsitzender Wolfgang Huber die Protestanten zur Konzentration auf ihre innere geistliche Stärke aufgerufen. Daraus erwachse ihr Einfluss auf Politik und Gesellschaft, sagte der Berliner Bischof in einem epd-Interview. «Für das Wirken in die Gesellschaft hinein ist Geistesgegenwart das A und O.»

Am 31. August 1945 war von einer Kirchenversammlung im hessischen Treysa nach mehrtägigen Beratungen die EKD gegründet worden, die heute 25,8 Millionen Protestanten in Deutschland vertritt. Das Jubiläum wird am Mittwoch in Hannover begangen.

Für die evangelische Kirche bleibe auch angesichts der rückläufigen Zahl von Kirchenmitgliedern auf Grund der Bevölkerungsentwicklung eine flächendeckende Gemeindeversorgung unverzichtbar, betonte Huber. «Jeder evangelische Christ gehört zu einer Gemeinde vor Ort.» Allerdings könne der Bezirk, um den sich eine einzelne Pfarrerin oder ein Pfarrer kümmern müsse, wachsen. «Wir brauchen in den nächsten Jahren Reform- und Veränderungsbereitschaft, um ein neues Engagement der Gemeinden vor Ort in Gang zu bringen», sagte der Berliner Bischof.

Im Rückblick auf die vergangenen sechs Jahrzehnte hob Huber besonders die Rolle der evangelischen Kirche während der deutschen Teilung hervor. Sie habe lange Zeit als wichtigste Stimme gegolten, «die über die Demarkationslinie zwischen Ost und West hinweg eine Klammer hat bilden können». Beim Zusammenwachsen nach 1990 hätten die Protestanten in vielem eine Vorreiterfunktion wahrgenommen.

Der EKD-Ratsvorsitzende räumte ein, dass die komplexe föderale Struktur, die in der evangelischen Kirche viele Kräfte bindet, zu Problemen führe. Zum eigentlichen Kern kirchlicher Arbeit zählten aber «das Bemühen um anmutige und resonanzstarke Gottesdienste und die Arbeit an der Erneuerung von Taufbereitschaft und Abendmahlsfrömmigkeit».

Vielen Protestanten sei beim katholischen Weltjugendtag die Bedeutung «der evangelischen Gestalt des christlichen Glaubens» deutlich geworden. Sie sei im Gegensatz zur katholischen Kirche nicht so auf eine Person wie den Papst als den Stellvertreter Christi fixiert, sagte Huber. Dagegen rückten die Protestanten «Jesus Christus als den einen Herrn ins Zentrum».

30. August 2005

Neubeginn zwischen Schuld und Trümmern - Vor 60 Jahren wurde die Evangelische Kirche in Deutschland gegründet

Von Michael Grau (epd)

Hannover/Treysa (epd). Die Anzüge waren abgenutzt, das Essen karg. «Es gab gekochte Kartoffeln mit einer dünnen Fleischsoße, dazu eingelegte rote Beete und Pfefferminztee», notierte der amerikanische Pastor Stewart Herman über die erste evangelische Kirchenversammlung in Deutschland vor 60 Jahren. Ort der historischen Versammlung, die am 31. August 1945 zur Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) führte, war die diakonischen Behinderteneinrichtung «Hephata» im nordhessischen Treysa. «Viele Delegierte brachten Rucksäcke voller Kartoffeln und Wurststücke mit», erinnerte sich Herman.

Mitten im zertrümmerten Deutschland wagten 120 Männer aus 28 Landeskirchen einen Neuanfang. Die EKD trat an die Stelle der 1933 gegründeten, staatsfixierten «Deutschen Evangelischen Kirche». Der neue Protestantismus sollte ein anderer sein - darin waren sich alle einig. Doch sie brachten Konzepte mit, die unterschiedlicher kaum sein konnten.

So strebte Bischof Hans Meiser (1881-1956) aus München eine Konfessionskirche der Lutheraner an, in der die reformierten und unierten Protestanten nur am Rande vorkommen sollten. Martin Niemöller (1892-1984) dagegen, in der NS-Zeit Symbolfigur der kirchlichen Opposition gegen Hitler, plädierte für eine «Kirche von unten»: Von den Gemeinden her sollte sie sich aufbauen und ihre Schuld am Nazi-Unheil bekennen. Immer wieder gerieten der «Vulkan» genannte Niemöller und der «Eisberg» Meiser aneinander, so dass die Konferenz zeitweilig zu platzen drohte.

Dass es nicht dazu kam, ist zum großen Teil dem Stuttgarter Bischof Theophil Wurm (1868-1953) zu verdanken. Wurm galt wegen seines Protests gegen das Euthanasie-Programm der Nazis zur Tötung geistig behinderter Menschen als moralische Autorität. Seit 1941 verfolgte er ein Kirchliches Einigungswerk: Er wollte die zerstrittenen Gruppen der kirchlichen Opposition zusammenführen.

Nach heftigen Debatten einigten sich die Kirchenvertreter in Treysa auf einen Kompromiss: die Vorläufige Ordnung für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Darin wird die Eigenständigkeit der Landeskirchen betont. Auch auf ein eigenes Bekenntnis verzichtet die neue EKD. Sie soll in erster Linie die Interessen der Kirche nach außen vertreten und ihre politische und soziale Verantwortung wahrnehmen.

Eine Lektion aus den Erfahrungen des «Dritten Reiches» war die neue Führungsstruktur mit einem zwölf Personen umfassenden Rat an der Spitze. Erster EKD-Ratsvorsitzender wurde Wurm, sein Stellvertreter Niemöller. In den Rat rückte neben Meiser und dem Berliner Bischof Otto Dibelius auch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann.

Die Debatten sollen so turbulent verlaufen sein, dass einige Delegierte zwischendurch den Saal verließen. Der sonst so besonnene Wurm soll mit der Faust auf den Tisch geschlagen haben. Keiner war mit dem Ergebnis zufrieden, alle Lager mussten Federn lassen. Doch die Einigung stand. Beobachter haben es als «Wunder» gewertet, dass sie überhaupt zu Stande kam. Wurm selbst sagte, in Treysa sei kein stolzer Dom errichtet worden, sondern eher eine Baracke: «Aber auch eine Baracke gewährt Schutz gegen Regen.»

Im Oktober 1945 bekannten die Protestanten in der Stuttgarter Erklärung ihre Mitschuld am Nazi-Unheil: «Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.» Dieses Bekenntnis ebnete dem deutschen Protestantismus die Rückkehr in die Ökumene.

1948 bekräftigte die neue EKD in Eisenach ihre Grundordnung. Acht ostdeutsche Landeskirchen mussten 1969 unter dem Druck der SED eigene Wege gehen. Sie organisierten sich im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Dennoch blieb während der deutschen Teilung die evangelische Kirche auf Grund der «besonderen Gemeinschaft» eine wichtige Klammer zwischen Ost und West. Nach der Wiedervereinigung erfolgte im Juni 1991 die Zusammenführung der beiden Kirchenbünde zur vereinten EKD. Heute gehören der EKD 23 Landeskirchen mit insgesamt rund 25,8 Millionen Protestanten an.

30. August 2005