Nazi-Verfolger Simon Wiesenthal gestorben

Frankfurt a.M. (epd). Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Verfolger Simon Wiesenthal ist im Alter von 96 Jahren in Wien gestorben. Das teilte das nach ihm benannte Zentrum am Dienstag mit. Der im galizischen Buczacz geborene jüdische Architekt spielte eine entscheidende Rolle bei der Ergreifung des SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann 1960 in Argentinien. Eichmann hatte die Verfolgung und Ermordung der Juden im Dritten Reich maßgeblich organisiert.

In den 60er Jahren gründete Wiesenthal, der einen Leidensweg durch zwölf Konzentrationslager zurückgelegt hatte, das "Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes" in Wien. Das Zentrum wirkte eigenen Angaben zufolge an der Enttarnung von etwa 1.100 Nazi-Tätern mit, die vor Gericht gebracht wurden. Mehr als 6.000 Fälle wurden auf seine Hinweise hin untersucht. Weitere Zentren mit seinem Namen entstanden in Los Angeles, Paris und Jerusalem.

Zu den wichtigsten auf Wiesenthals Betreiben Verhafteten gehörten der Kommandant des Konzentrationslagers Treblinka, Franz Stangl, der Vertreter Eichmanns in den Niederlanden, Erich Rajakowitsch, und der NS-Führer Karl Silberbauer, der Anne Frank verhaften ließ.

Der "Nazi-Jäger" Wiesenthal, der 89 Verwandte durch die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten verloren hatte, blieb trotz seiner spektakulären Fahndungserfolge in seiner Heimat Österreich nicht von Kritik verschont. Wien machte ihn 1995 zum Ehrenbürger. Im Februar vergangenen Jahres wurde er von der britischen Königin Elizabeth II. zum Ritter geschlagen. In Deutschland erhielt er 1985 das Bundesverdienstkreuz.

20. September 2005

"Recht, nicht Rache" - Ein Leben für die Gerechtigkeit: Simon Wiesenthal im Alter von 96 Jahren gestorben

Von Burkhard Saul (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Er galt als unerbittlicher "Nazi-Jäger", als kompromissloser Verfolger der Mörder. Simon Wiesenthal überlebte mit Glück und Geschick insgesamt zwölf Konzentrationslager, bevor ihn amerikanische Soldaten am 5. Mai 1945 im österreichischen Mauthausen befreiten. Doch die Nationalsozialisten ermordeten fast seine gesamte aus Österreich stammende Familie, insgesamt 89 Menschen. Am Dienstag starb das "Gewissen des Holocaust", wie man den in Buczacz in Galizien geborenen Wiesenthal nannte, im Alter von 96 Jahren in Wien.

Wiesenthal war entschlossen, die Mörder nicht davonkommen zu lassen. 1947 gründete er zusammen mit anderen ehemaligen Verfolgten in Linz ein Dokumentationszentrum für Unterlagen über das Schicksal von Juden und von NS-Tätern. Seine Recherchen waren vielen Österreichern verdächtig und wurden behindert: Man verstand sich in dieser Zeit lieber als Opfer der nationalsozialistischen Aggression und zeigte an der Fahndung nach österreichischen Nazi-Mördern kaum Interesse.

Wiesenthal resignierte und ging 1954 nach Israel. Seine Unterlagen übergab er an ein israelisches Dokumentationszentrum und half mit, auf die Spur von Adolf Eichmann, dem Organisator des Holocausts, zu kommen. Eichmann hatte sich bis 1960 in Argentinien versteckt. Als "Nazi-Jäger" wurde Wiesenthal mit einem Schlag weltberühmt.

Auch ihn selbst beflügelte die spektakuläre Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst, und er beschloss seine Arbeit in einem neuen Dokumentationszentrum in Wien fortzusetzen. Der ehemalige Architekt aus Lemberg half nach eigenen Angaben dabei, mehr als 1.100 NS-Kriegsverbrecher durch akribische Sammel- und Analysearbeit den Gerichten zu übergeben.

Auch an den Verhaftungen des Kommandanten des Konzentrationslagers Treblinka, Franz Stangl, und des Vertreters von Eichmann in den Niederlanden, Erich Rajakowitsch, war er mit Hinweisen beteiligt. Mehr als 6.000 Fälle möglicher Kriegsverbrecher untersuchte der "Dokumentarist des Grauens" insgesamt. Gerechtigkeit, nicht Rache sei dabei das Motiv seiner Arbeit gewesen, betonte Wiesenthal stets.

Doch trotz seines Ruhms und seiner Verdienste blieb der freundliche alte Herr mit den wachen Augen nicht von überzogener Kritik verschont. Der Autor zahlreicher Bücher zur NS-Geschichte sei immer ein "Nazi-Jäger", nie aber ein "Nazi-Fänger" gewesen, warfen ihm jüdische Zeugen vor. Er habe weit weniger als bisher angenommen zur Aufklärung von NS-Verbrechen beigetragen. Im Gegenteil: Durch nutzlose Hinweise habe er sogar Ermittlungen der Israelis behindert, hieß es.

Doch Wiesenthal ließ sich von solchen Anfeindungen nicht aus der Fassung bringen. Sein Lebenswerk könne nicht von ein paar Ignoranten zerstört werden, befand er knapp. Auf die Frage, ob sich der Holocaust wiederholen könne, zitierte er gern den israelischen Historiker Jehuda Bauer: "Ja, er kann sich wiederholen, wir wissen nur nicht, wer dann die Juden und wer die Deutschen sein werden."

20. September 2005

Wiesenthal als «Gewissen des Holocaust» gewürdigt - Tod des «Nazi-Verfolgers» löst Trauer und Bestürzung aus

Frankfurt a.M. (epd). Mit Trauer und Bestürzung haben Politiker und jüdische Organisationen auf den Tod des Holocaust-Überlebenden und Nazi-Verfolgers Simon Wiesenthal reagiert. Wiesenthal, der maßgeblich an der Aufspürung zahlreicher NS-Verbrecher wie etwa von Adolf Eichmann beteiligt war, ist im Alter von 96 Jahren in Wien gestorben, wie das nach ihm benannte Dokumentationszentrum am Dienstag mitteilte.

Bundespräsident Horst Köhler würdigte Wiesenthal als eine «der wichtigsten Stimmen der Opfer der Shoah». In seinem Beileidschreiben an die Tochter des Verstorbenen betont Köhler: «Er bleibt ein Vorbild dafür, dass wir dem Unrecht beharrlich und konsequent entgegentreten müssen.» Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bezeichnete Wiesenthal als «Anwalt der Ermordeten». Seine beharrliche und mutige Arbeit habe wesentlich dazu beigetragen, dass die Deutschen sich - wenn auch verspätet - ihrer Geschichte gestellt hätten.

Mit ihm verliere die Welt einen Kämpfer für Gerechtigkeit, Toleranz und Menschenliebe, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Durch seinen jahrzehntelangen Einsatz habe Wiesenthal dafür gesorgt, dass auch nachfolgende Generationen wüssten, wer für die Gräueltaten der Nazis verantwortlich gewesen sei. Er werde als das «Gewissen des Holocaust» in Erinnerung bleiben. «Dafür sind wir ihm ewig dankbar», sagte Spiegel. Mit Trauer reagierten ebenfalls die Berliner Jüdische Gemeinde und der Europäische Jüdische Kongress.

Der Direktor der Berliner Stiftung «Topographie des Terrors», Andreas Nachama, betonte, der Tod des «Nazi-Jägers» sei auch ein Zeichen dafür, dass die «Generation der Augenzeugen» abtrete. Die Aufarbeitung der Nazi-Diktatur werde damit Aufgabe für eine neue Generation, sagte Nachama der «Netzeitung» in Berlin.

Trauer löste die Nachricht vom Tod Wiesenthals in Israel aus. Wiesenthal sei aus der «Hölle der Vernichtungslager» hervorgegangen, um Gerechtigkeit einzufordern und um die Haltung zu befestigen, dass es für derartige Verbrechen keine Verjährung und kein Vergeben geben könne, erklärte Rabbiner Michael Mlechior, Beauftragter der israelischen Regierung für Diasporafragen und Bekämpfung des Antisemitismus. Mark Regev, Sprecher des Außenministeriums sagte, Wiesenthal habe für sechs Millionen ermordete Juden gehandelt, die sich selbst nicht mehr verteidigen konnten.

EU-Chefdiplomat Javier Solana würdigte den Verstorbenen als einen «besonderen Mann und großen Europäer». Wiesenthal sei sowohl Opfer als auch Zeuge des Holocaust gewesen. «Auf ein Verbrechen von nie gekannten Ausmaßen hat er mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit, nicht nach Rache reagiert», betonte Solana in New York. Ohne Wiesenthals unermüdliche Anstrengungen wären Europas Wunden nicht verheilt und seine Bürger nicht versöhnt, erklärte Generalsekretär Terry Davies für den Europarat.

Wiesenthal war im Alter von 96 Jahren am Dienstag in Wien gestorben. Der in Galizien geborene Jude, der einen Leidensweg durch zwölf Konzentrationslager zurückgelegt hatte, gründete in den 60er Jahren das «Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes». Das Zentrum wirkte eigenen Angaben zufolge an der Enttarnung von etwa 1.100 Nazi-Tätern mit, die vor Gericht gebracht wurden. Weitere Zentren mit seinem Namen entstanden in Los Angeles, Paris und Jerusalem.

20. September 2005