EKD würdigt Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte

München (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat einen wahrhaftigen Umgang mit der Geschichte gefordert. Dazu könne auch die Kirche einen Beitrag leisten, sagte der Berliner Bischof am Montagabend in München anlässlich der Jubiläumsfeier zur Gründung der «Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte» vor 50 Jahren. Es sei Aufgabe der Kirche, «Demokratie zu wagen und sie auch gegen ihre Feinde zu verteidigen».

Der EKD-Ratsvorsitzende erinnerte an die Ost-Denkschrift der Kirche von 1965. Diese habe eine ungeheure politische Wirkung entfaltet und eine Entspannung im Verhältnis zu Osteuropa ermöglicht. Die Demokratie-Denkschrift von 1985 wiederum sei ein wichtiger Baustein der evangelischen Soziallehre geworden, so Huber: «Frieden, soziale Gerechtigkeit und Demokratie gehören unabdingbar zusammen.»

Der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich sagte in einem Grußwort, es gehöre zu den Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft, «nicht nur die Kirchengeschichte des Kirchenkampfs aufzuarbeiten, sondern auch die Kirche im Jahr 2005 kritisch zu begleiten». Durch kritische Reflexion könne sie dazu beitragen, dass sich die Evangelische Kirche in Deutschland selbst immer wieder hinterfrage.

Die «Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte» wurde 1955 vom Rat der EKD gegründet, um die Rolle des Protestantismus in der NS-Zeit zu erforschen. Weitere Schwerpunkte sind heute das Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR und die Wechselwirkungen von sozialen Bewegungen und der evangelischen Kirche in den 60er und 70er Jahren.

Sechs Wissenschaftler arbeiten in der Forschungsstelle an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Vorsitzender der beratenden Kommission, die alle sechs Jahre vom EKD-Rat benannt wird, ist Professor Harry Oelke vom Lehrstuhl für Kirchengeschichte in München.

25. Oktober 2005

Der Vortrag des EKD-Ratsvorsitzenden im Wortlaut

Hintergrund:

Vom Kirchenkampf zur 68er-Bewegung - Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte vor 50 Jahren gegründet

Von Susanne Petersen

München (epd). Es geht um evangelische Märtyrer und EKD - Ratsprotokolle, um bespitzelte DDR-Pfarrer und die wilden 68er, um Zeitzeugen-Gespräche und mühsame Archivrecherche: Seit 50 Jahren erforscht die "Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte" in München, welche Rolle die evangelische Kirche in der jüngsten deutschen Geschichte gespielt hat.

1955 hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Einrichtung gegründet - auf Wunsch der Politik. "Man wollte damals den Kirchenkampf als positives Beispiel des Widerstands im Nationalsozialismus hervorheben", sagt Privatdozentin Claudia Lepp. Die 40-jährige Historikerin leitet seit fünf Jahren die Forschungsstelle der Arbeitsgemeinschaft, die seit 1967 an der Ludwig-Maximilians-Universität München angesiedelt ist. Insgesamt sechs Mitarbeiter leisten hier die wissenschaftliche Kärrnerarbeit für die zahlreichen Forschungsprojekte.

Die Ideen dazu liefert die zwölfköpfige Kommission aus Theologen, Historikern und Archivaren, die alle sechs Jahre vom Rat der EKD für diese Aufgabe benannt wird. Seit einem Jahr hat Harry Oelke, Professor für Kirchengeschichte in München, den Vorsitz. "Wir werden den Gründungsgedanken, also die Erforschung des Protestantismus im Nationalsozialismus, nicht aufgeben", sagt der Theologe, "aber wir wollen den zeitlichen Horizont erweitern."

Deshalb hat die Arbeitsgemeinschaft in den 90er Jahren damit begonnen, intensiv das Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR zu untersuchen. Auch das aktuelle Buchprojekt von Claudia Lepp beschäftigt sich damit. Der Titel heißt "Von West nach Ost - Die Übersiedlung kirchlicher Mitarbeiter in die SBZ/DDR 1945 bis 1961." Theologen, Pfarrer und Diakone waren die einzige Berufsgruppe, die in nennenswerter Zahl nach Ostdeutschland übersiedelten - Lepp will ihre Motive erkunden.

"Viele von ihnen waren Studenten, die in ihre Heimat zurückkehren wollten ", sagt die Wissenschaftlerin. Daneben gab es aber auch Pfarrer, die aus missionarischer Überzeugung in die DDR zogen.

Ein weiteres aktuelles Projekt ist die Erforschung des Protestantismus in den 60er und 70er Jahren in der Bundesrepublik. "Welchen Anteil hatte die evangelische Kirche zum Beispiel an der grünen Bewegung oder an der Frauenbewegung - und wie wirkten diese Strömungen auf die Kirche zurück?" - das sind für Professor Oelke die spannenden Fragen. Die Antworten, glaubt er, könnten auch für die Allgemeingeschichte interessant sein, die sich gegenwärtig ebenfalls mit den 68ern beschäftigt.

Und was wird die "Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte" in 50 Jahren an der Kirche im Jahr 2000 interessieren? "Vielleicht die Austrittswellen, der Bedeutungsverlust der Institution Kirche, der Umgang mit der Finanznot", meint Claudia Lepp. Stoff für eine Menge Bücher also.

Die meisten Publikationen der Arbeitsgemeinschaft sind Fachbücher für Wissenschaftler. Im Frühjahr 2006 bringt die Forschungsstelle aber auch ein Buch in die Läden, das auf breites Interesse bei evangelischen Christen stoßen könnte. "Ihr Ende schaut an" ist der Titel eines Lexikons über evangelische Märtyrer im 20. Jahrhundert. Rund 500 Kurzbiografien über protestantische Glaubenszeugen aus dem deutschsprachigen Raum haben Lepp und ihre Mitstreiter zusammengetragen.

"Das war wie bei einem Indizienprozess", sagt die Forscherin. Wie weist man ein christliches Motiv für Widerstand nach? Kann man den Aussagen der Angehörigen trauen? Der sichere wissenschaftliche Boden aus Fakten und Dokumenten gerät da manchmal ins Wanken. Trotzdem ist Claudia Lepp mit dem Ergebnis zufrieden. "Auch wenn Erinnerungskultur gerade einen Boom erlebt: Der personalisierte Zugang macht Geschichte eben leichter verständlich."

25. Oktober 2005