Kirche darf Schlager und Volksmusik nicht scheuen

Theologieprofessor: Was spricht dem Glauben entfremdete Menschen an?

B e r l i n (idea) – Wie kann die Kirche Zugang zu Menschen finden, die ihr entfremdet sind? Mit dieser Frage befaßte sich der Leiter des Instituts für Evangelisation der Universität Greifswald, Prof. Michael Herbst, am 4. November vor der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) in Berlin. Religion boome zwar in Deutschland - „aber nicht unbedingt als christliche Religion“. In den neuen Bundesländern sei die Mehrheit bereits in dritter Generation konfessionslos. Für den Zugang zu diesen Menschen gebe es keinen „Zauberschlüssel“, sondern es sei ein „Schlüsselbund von Maßnahmen“ nötig: „Für manche brauchen wir eine elektronische Bilderbibel, und für andere müßten wir aufhören, den deutschen Schlager und die Volksmusik zu scheuen.“ Gemeindepflanzungen in entkirchlichten Gebieten seien ebenso nötig wie Gottesdienste für Kirchendistanzierte, die Botschaft des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach und Krankenhausseelsorge. Herbst: „Wir brauchen ein Ja zum missionarischen Plural.“ Die Kirche überfordere ihre Mitglieder bisweilen, wenn sie davon ausgehe, daß sie vom Glauben reden könnten – „denn dieser Glaube ist vielen noch allzu ungewiß“. In vielen Gemeinden gebe es aber eine Sehnsucht, mehr vom Glauben zu reden.

Religionsunterricht kann zum Glauben führen

Besonders würdigte Herbst den Religionsunterricht. Das Schulfach biete die Möglichkeit zur Selbstvorstellung der Kirche vor der heranwachsenden Generation. In Greifswald begännen immer wieder konfessionslose Studierende mit dem Theologiestudium, weil ihnen der Religionsunterricht gefallen habe. Vier von ihnen seien im letzten Semester getauft worden. In Berlin kämpft die EKBO derzeit um den Erhalt des Fachs, das in der Bundeshauptstadt bislang nur als freiwillige Arbeitsgemeinschaft angeboten wird.

Freikirchliche Projekte oft gescheitert

Kritik übte Herbst an freikirchlichen Gemeindegründungsversuchen im Osten. Eine Studie seines Instituts habe ergeben, daß ein Großteil der seit 1990 entstandenen Gemeinden nicht erfolgreich sei. „Oft haben sich die Gemeindegründer nicht mit der spezifischen Kultur Ostdeutschlands auseinandergesetzt“, so Herbst. Im allgemeinen seien die Menschen dort religiös unempfindlich und schwer zu erreichen. Wenn sie sich überhaupt einer Form der Kirchlichkeit öffneten, handele es sich meist um Kontakte zur Landeskirche oder der katholischen Kirche.

05. November 2005