Zwischen traumatischer Erinnerung und Normalität - Ein Jahr nach dem Tsunami

Schleppender Wiederaufbau - Ein Jahr nach dem Tsunami leben in Aceh immer noch Hunderttausende in Notunterkünften

Von Stefan Fuhr

Banda Aceh (epd). Ein paar Kochtöpfe, gespendete Kleider, Matten auf dem Fußboden - das ist der Hausrat von M. Rais (40) und seiner Frau Nurwati (28). Seit einem Jahr leben sie mit den beiden Kindern unter einer grauen, verwitterten Plane, aufgespannt über einer Holzplattform. Drumherum stehen dicht an dicht die Zelte der Nachbarn, dazwischen zerfließt die Erde in der Regenzeit zu Schlamm.

«Als wir hierher kamen, besaßen wir nur noch das, was wir am Leib trugen», sagt Rais. Und seitdem hat sich sein Eigentum kaum vermehrt - der Mann, einst Bauer, hat weder Haus noch Arbeit. Wie die 400 anderen Flüchtlinge im Lager Pramuka, nahe der Ortschaft Jantho, stammt er von einer Insel, die der Tsunami völlig verwüstet hat.

In der indonesischen Provinz Aceh leben immer noch rund 120.000 Flüchtlinge in Zelten, wie Rais, oder in staatlichen Baracken-Siedlungen - oft unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Weitere rund 400.000 Menschen sind notdürftig bei Verwandten untergebracht. Der Wiederaufbau geht langsamer voran als geplant.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Nachfrage nach Baumaterialien übersteigt das Angebot, Handwerker sind knapp, Eigentumsrechte ungeklärt. Nach Behörden-Angaben wurden seit der zerstörerischen Flutwelle rund 10.000 Häuser neu errichtet - dabei waren für dieses Jahr rund 30.000 geplant. Bis Ende 2006 sollen es gar 120.000 sein. Ob das Ziel erreicht wird, bleibt ungewiss.

«Die Bürokratie arbeitet langsam», bedauert Teuku Ardiansyah. Der 32-Jährige kontrolliert im Auftrag der Weltbank die Umsetzung eines international finanzierten Projektes zur Klärung von Eigentumsverhältnissen. Unter anderem bereite das örtliche Erbschaftsrecht Probleme: Angehörige könnten erst 1.000 Tage nach dem Tod eines Verwandten dessen Erbe antreten.

Hilfsorganisationen versorgen die Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. Unter anderen engagiert sich hier das evangelische Hilfswerk «Brot für die Welt».

07. Dezember 2005


Zwischen traumatischer Erinnerung und Normalität am Strand - Der evangelische Pfarrer Bartel betreut in Thailand Tsunami-Überlebende

Von Jutta Wagemann

Berlin/Bangkok (epd). Dieses Jahr an Weihnachten steht Pfarrer Burkhard Bartel vor einer schwierigen Aufgabe. Nicht nur zum Ereignis in Bethlehem vor gut 2000 Jahren muss der evangelische Pfarrer in Thailand Worte finden. Er steht in den Gottesdiensten an den Weihnachtstagen Menschen gegenüber, die genau ein Jahr zuvor die schlimmste Erfahrung ihres bisherigen Lebens gemacht haben. Tsunami - das Wort, das vor dem 26. Dezember 2004 nur Fachleute kannten, ist zum Inbegriff von Katastrophe geworden.

«Wie ich das zusammenbringen soll, weiß ich noch nicht so recht», gibt Bartel zu, der seit zwei Jahren die deutschsprachigen evangelischen Gemeinden in Thailand betreut. Zumindest in einem Punkt ist er sich sicher: «Der Tsunami ist noch nicht vorbei.» Zwar ist der Wiederaufbau in den Ferienparadiesen Thailands so gut wie abgeschlossen. Aber in den Menschen wirkt die Katastrophe immer noch fort.

Als die riesige Flutwelle die Hotels in dem bei Deutschen besonders beliebten Strandort Khao Lak und an anderen Küstenabschnitten des Indischen Ozeans überrollte, befand sich der jetzt 52-jährige Pfarrer mit seiner Familie auf dem Weg in den Urlaub. Er kehrte um und fuhr ins Katastrophengebiet.

Seitdem hat Bartel die Strecke von 1.000 Kilometer zwischen der Hauptstadt Bangkok, seinem Hauptsitz, und Khao Lak häufig zurückgelegt. Partnergemeinden in Deutschland spendeten 200.000 Euro. Die Hälfte davon ist mittlerweile ausgegeben.

Die evangelischen Gemeinden kümmerten sich auch um weitere Überlebende der Katastrophe, besorgten Boote für Fischer und Stromgeneratoren. Bartel kann es nicht verhehlen: «Durch den Tsunami hatten wir unglaublich viel Arbeit.» Er war nicht nur als Seelsorger gefragt. Die deutsche Botschaft wandte sich an Bartel, ebenso Hilfsorganisationen und Fernsehsender, die ein Live-Interview haben wollten.

Doch gleichzeitig habe er sehr nah bei den trauernden Menschen sein können. «Es gab sehr bewegende Momente, die mich beflügelt haben, nicht aufzuhören.» Auch wenn die Hilfsorganisationen wieder abzögen, Projekte eingestellt würden, die Überlebenden bräuchten weiterhin Hilfe.

Zugleich wollen die Einheimischen vergessen. Zurück zur Normalität. Hotels wurden wieder aufgebaut. An einigen Stellen streitet man sich um Landbesitz. Hotelketten schneiden dabei meistens besser ab als arme thailändische Familien. Doch gerührt erzählt Bartel vom Strand, der nach dem Tsunami verwüstet war. Die Thais haben ihre kleinen Imbissbuden und Souvenirläden wieder aufgebaut, genauso provisorisch wie vorher. Und warten auf Touristen.

07. Dezember 2005