Kalligraphie zum Lobe Gottes

Amerikanische Mönche lassen die erste handgeschriebene Bibel seit 500 Jahren anfertigen

Von Barbara Driessen

New York/Collegeville (epd). Mit äußerster Präzision gleitet die Hand des Illustrators über das empfindliche Papier aus getrockneter Kalbshaut. Mit einem aus einer Schwanenfeder hergestellten Stift und einer eigens aus zerriebenen Edelmetallen angefertigten Tinte malt Donald Jackson in kunstvollen Schnörkeln die Buchstaben auf.

Der 66-jährige Brite ist offizieller Schreiber der Königin von England und arbeitet seit 30 Jahren als Kalligraph und Illustrator. Doch nun ist er in kirchlicher Mission tätig. Denn Jackson ist von den Benediktiner-Mönchen der Saint John's Abbey im amerikanischen Minnesota damit beauftragt worden, die erste von Hand geschriebene und illustrierte Bibel seit 500 Jahren herzustellen.

Bereits seit dem Jahr 1998 ist Jackson mit der monumentalen Aufgabe beschäftigt, rund 1.100 Kalbshautseiten zu beschreiben und zu verzieren. Sieben Bände wird seine Bibel umfassen, von denen bislang vier fertig gestellt sind. Über vier Millionen Dollar wird das Projekt kosten, von dem er hofft, es bis Ende 2007 abschließen zu können.

Das Geld stammt nicht aus den Kassen der Mönche, sondern von amerikanischen Sponsoren. "Dies ist für einen Kalligraphen, was die Sixtinische Kapelle für einen Maler ist", sagt Jackson. Die Schaffung der "Saint John's Bible" sei der Höhepunkt seiner Laufbahn, auf den er sich sein ganzes Leben lang vorbereitet habe.

Jackson benutzt für seine Arbeit ausschließlich Materialien, die den Mönchen im Mittelalter auch schon zur Verfügung standen: getrocknete Tierhäute, Schwanen- und Gänsefedern, Mineralien und Edelsteine wie Lapislazuli, Malachit, Kupfer, Silber und 24-karätiges Gold, die mit Eigelb zu einer flüssigen Tinte angerührt werden.

Sein einziges Zugeständnis an die moderne Zeit ist die Benutzung eines Computers, der ihm beim Layout der Seiten hilft. Auf dem Bildschirm legt Jackson zunächst fest, wie eine Seite später aussehen soll und wieviele Buchstaben und Illustrationen auf eine Seite passen. Dann überträgt er den Computerentwurf von Hand auf das Blatt. Für zwei Absätze benötigt er einen ganzen Tag.

Besonders wichtig ist für ihn sein "Stift", eine von Schwänen oder Gänsen stammende, etwa einen Zentimeter dicke Schreibfeder, bei der die Federästchen mit einem Messer entfernt werden und die Spitze zurechtgeschnitzt wird. "Sie ist ganz leicht, reagiert auf jeden Druck und ist empfänglich für Emotionen", sagt Jackson.

Alles andere als traditionell sind dagegen Jacksons farbenfrohe Illustrationen, die die Heilige Schrift bewusst aus moderner Perspektive darstellen sollen. Seine Bibel soll eine multikulturelle Welt symbolisieren und auch neue Entwicklungen auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technik berücksichtigen. Mit seinem Werk will Jackson Brücken bauen: Die "Saint John's Bible" zeigt religiöse Symbole und Schriftzeichen aus westlichen wie östlichen Religionen. Ein wiederkehrendes Thema ist die "Genealogie Christi'", die Jesu Verwandtschaft mit Juden, Muslimen und Christen verdeutlichen soll.

Auch moderne Zeitgeschichte fließt mit ein. So ist im "Buch der Psalme" ein Bild der Zwillingstürme des World Trade Centers von New York zu finden, die als Schatten dargestellt werden. "Auch im Mittelalter war es üblich, dass die Künstler Zeitgeschichtliches in ihre Werke einfließen ließen", sagt Linda Orzechowski. Sie arbeitet für die "Hill Museum & Manuscript Library" der Saint John's University in Collegeville in Minnesota, in der die Bibel nach ihrer Fertigstellung ausgestellt werden wird.

"Illustrierte Manuskripte standen immer für die Zeit, in der sie erschaffen wurden", bestätigt auch der Präsident der Saint John's University, Pater Dietrich Reinhart. "Die Saint John's Bible wird zum Beginn des 21. Jahrhunderts unsere Welt für zukünftige Generationen reflektieren."

Auch die anglikanische Kirche ist voll des Lobes für das Projekt der katholischen Mönche. "Es erweckt zum einen eine alte Tradition wieder zum Leben, nach der die Kirche Kunst in Auftrag gibt, und zum anderen gewährt es uns Einsicht in das verloren gegangene Talent des geduldigen Lesens", lobte das Oberhaupt aller Anglikaner, Erzbischof Rowan Williams von Canterbury, in einer Stellungnahme. "Wir tendieren dazu, zu schnell und hastig zu lesen. Dieser wundervolle Text belehrt uns eines Besseren."

Und auch für Donald Jackson eröffnet sich durch seine Arbeit an der Bibel eine neue Welt: "Es war eine Überraschung für mich festzustellen, dass ich ein spiritueller Mann bin", sagt er. Zudem habe er auch etwas anderes gelernt - Demut: Angesichts seines eigenen fortgeschrittenen Alters gebe ihm ein so viele Jahre dauerndes Projekt ein Gefühl der Sterblichkeit. "Und das ist ziemlich erschreckend."

16. März 2006