Bischöfin Käßmann fordert mehr Anreize zum Kinderkriegen

Köln (epd). Damit die Deutschen wieder mehr Kinder kriegen, muss nach Einschätzung der hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann die Situation junger Familien verbessert werden. "Wir müssten mehr dafür tun, dass Familien den Mut haben zu mehr Kindern", sagte Käßmann am Freitag im WDR. Dazu gehörten steuerliche Anreize für Mehrkind-Familien, bessere Wohnbedingungen und Betreuungsangebote. Auch sichere Arbeitsplätze für junge Leute der "Generation Praktikum" seien wichtig.

"Es ist sicher so, dass finanzielle Sicherheit mehr Mut macht zum Kind", betonte die evangelische Theologin, die selbst Mutter von vier Töchtern ist. Sie plädierte dafür, mit flexiblen Regelungen auf den deutlichen Rückgang der Geburtenrate in Deutschland zu reagieren. Ob Paare Kinder bekommen, sei aber auch eine Frage der Einstellung. Kinder würden häufig als Last gesehen statt als Geschenk Gottes.

Deutschland hat nach der jüngsten Erhebung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung mit die niedrigste Geburtenrate weltweit. Auf 1.000 Einwohner kommen demnach nur 8,5 Geburten im Jahr. Jede Frau bringe statistisch gesehen nur noch 1,36 Kinder zur Welt. Für eine stabile Bevölkerungszahl wäre eine Geburtenrate von 2,1 nötig.

17. März 2006


Das Interview im Wortlaut:

Interview im WDR-5-Morgenecho mit Margot Käßmann (Hannover), Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover

Moderator: Kindergeld und Steuervergünstigung, Ganztagsbetreuung und Mutterschaftsurlaub – es nützt alles nichts. Die Deutschen wollen keine Kinder mehr in die Welt setzen. Der Geburtenrückgang, den das Statistische Bundesamt festgestellt hat, hat eine Diskussion darüber ausgelöst, wo die Ursachen zu suchen sind für die Kinder-müdigkeit der Deutschen. Die Bischöfin der Evangelischen Landeskirche in Hannover ist am Telefon, Margot Käßmann. Guten Morgen!

Käßmann: Guten Morgen, Herr Schaaf!

Moderator: Ja, 100 Milliarden Euro jährlich an Familienhilfen vom Staat und trotzdem die niedrigste Geburtenrate in der Europäischen Union. Irgend etwas stimmt nicht. Aber was?

Käßmann: Das ist natürlich auch ein Lebensgefühl: Macht es Lust, mit Kindern zu leben? Sehe ich Kinder auch als Geschenk Gottes sozusagen? Und es macht Spaß, mit Kindern zusammen zu sein. Kinder bringen natürlich Unruhe, aber auch eine Menge Kreati-vität. Ich denke das Problem ist: Wir sehen sie im Moment nur als Last.

Moderator: Auf jeden Fall stimmt aber doch das Argument nicht, Kindermangel habe eine Ursache darin, dass heutzutage alles nur noch durch die ökonomische Brille gesehen wird. Genug Finanzhilfe vom Staat gibt es doch offenbar.

Käßmann: Na ja, da muss man schon sagen, dass Familien mit mehreren Kindern durchaus Schwierigkeiten haben finanziell zurechtzukommen. Das ist natürlich ein Kosten-faktor, ökonomisch würde ich das nicht unterschätzen. Und es ist vor allen Dingen, glaube ich, die Frage: Wie können Frauen Berufstätigkeit und Kinder miteinander verbinden? Wie flexibel sind die Arbeitsplätze? Und wie gut sind die Betreuungsan-gebote in Deutschland? Sind wir immer gleich eine Rabenmutter, wenn wir ein Kind unter 3 in eine Betreuungseinrichtung geben? Das ist in anderen Ländern ganz anders.

Moderator: Ein bestimmtes Lebensgefühl braucht es, haben Sie vorhin gesagt. „German Angst“, das ist ja im angelsächsischen Raum inzwischen ein feststehender Begriff. Die Deutschen hätten Angst vor allem und jedem, vor dem nächsten Fußballgegner ebenso wie vor der Zukunft im Allgemeinen. Und das kollektive Nein zu Kindern, das scheint ja da hineinzupassen. Warum haben die Deutschen soviel Angst?

Käßmann: Ich kann mir das auch nicht ganz erklären. Vielleicht ist es diese Fixierung auch auf ständige Planbarkeit. Als ich mein erstes Kind bekommen habe, habe ich noch studiert und habe bestimmt nicht an meine Rente gedacht bei der Frage, ob ich ein Kind bekommen soll oder nicht. Ich war verliebt in meinen Mann und wollte gerne Kinder. Ich glaube, dass die Deutschen immer diese Planbarkeit ganz nach vorn stellen und die Lust am Leben und die Lust zu Kindern ja gerade viel Unplanbares ins Leben bringt. Also da kann ich nicht unbedingt alles ganz genau berechnen, sondern Kinder sind Kinder. Und wenn ein Kind Masern, Mumps oder Windpocken bekommt, dann wird das mein Leben die nächsten zwei Wochen umwerfen in der Planung. Also vielleicht ist es auch dieser mangelnde Mut, sich auf etwas einzu-lassen. Und das ist nun einmal ein Kind, dass ich nicht genau vorhersagen kann.

Moderator: Wie viele Kinder haben Sie?

Käßmann: Ich habe vier Kinder, die allerdings nun fast schon alle erwachsen sind – junge Frauen, die auch überlegen, wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Kind. Und ich sage dann eher: Nun habt mal Mut und bekommt ein Kind, dann werde ich Großmutter, und dann sehen wir weiter.

Moderator: Und Sie haben gewaltig Karriere gemacht. Warum ging das zusammen? Weil Sie relativ früh mit Ihrem Mann in gesicherten Verhältnissen lebten, beide Pfarrer, beide quasi Beamte?

Käßmann: Das hat eine Studie der Bosch-Stiftung auch gerade herausgefunden: Das macht natürlich sehr viel aus, dass bei uns gerade junge Leute so ungesicherte Arbeits-plätze haben. Und wenn ich besser weiß, dass ich abgesichert bin finanziell, habe ich auch mehr Mut zum Kind. Also diese Generation Praktikum, die immer nur von einem kurzfristigen Vertrag zum nächsten kommt, hat da natürlich ganz große Probleme. Es ist sicher so, dass Sicherheit, finanzielle Sicherheit mehr Mut macht zum Kind. Und deshalb denke ich, wir müssen auch kreativer sein. Nehmen Sie mal den Kündi-gungsschutz. Je älter ein Arbeitnehmer ist, desto länger und besser ist sein Kündi-gungsschutz. Müsste der Kündigungsschutz nicht gerade für junge Eltern vielleicht verbessert werden?

Moderator: Wenn man sich das mal anguckt im Verlauf der letzten 50, 60, 70 Jahre: Das ist ja unglaublich schnell gegangen. Meine Großeltern sind noch in Familien mit fünf, sechs, sieben Geschwistern groß geworden. Meine Eltern, da waren es schon nur noch zwei und drei. Ich habe eine Schwester. Und heute dann eben oft Einzelkind oder gar nicht. Das alles in so kurzer Zeit. Warum hat das so ab Mitte der sechziger Jahre einen derartigen Knick gegeben?

Käßmann: Ich meine, das eine ist natürlich: Kinder sind heute planbar. Frauen können Schwangerschaften verhüten. Dann sind Frauen besser ausgebildet. Und durch die bessere Ausbildung steigt das Alter beim ersten Kind. Das liegt heute bei einer Frau in Deutschland sehr hoch, bei 29,6 im Durchschnitt beim ersten Kind. Und wenn sie erst so spät das erste Kind bekommen, dann bekommen sie natürlich auch nicht mehr das zweite, dritte, vierte unbedingt. Das ist in Deutschland gravierend anders als in Frankreich. Bei uns fehlt auch die Mehrkind-Familie. Also wir haben zwar dann ungefähr so viele Frauen wie in Frankreich, die Kinder bekommen. Aber sie bekommen in der Regel eins oder vielleicht sogar zwei. In Frankreich wird auch politisch ganz besonders das dritte Kind gefördert etwa durch Steuergesetze. Und ich denke, dafür müssten wir mehr tun, dass Familien den Mut haben zu mehr Kindern. Dann müssen sich aber auch Wohnbedingungen beispielsweise ändern. Kommunen können ganz viel beitragen. Wir sehen Vechta und Cloppenburg haben hohe Geburtenraten. Da ist aber auch in den Kommunen ganz viel gemacht worden in Sachen Wohnen, Betreuung, ja Lust zum Kind auch von anderen – nicht nur von den Eltern.

Moderator: Schwangerschaft planbar, Frauen mehr berufstätig als früher: Sind also die 68er mal wieder an allem Schuld?

Käßmann: Ach, also das finde ich ein bisschen banal, denen nun alles in die Schuhe zu schieben. Es liegt sicher auch an der Frage der Väter. Frauen erwarten heute, dass Väter sich beteiligen an der Erziehung, was auch etwas Wunderbares ist und für die Väter natürlich auch eine große Bereicherung. Wir sehen aber, dass inzwischen mehr Männer keine Kinder wollen in ihrer Lebensplanung als Frauen, weil Kinder, ja, ich sage mal, die eigene Zeitplanung, die eigene Karriereplanung beeinflussen. Und ich kann nur sagen: Leute, habt Mut zum Kind. Wenn ihr alt werdet, werdet ihr sehen, dass das wahrscheinlich das wichtigste und schönste Abenteuer in eurem ganzen Leben war.

Moderator: Die Deutschen haben wenig Mut zur Familiengründung. Wir sprachen darüber mit der Bischöfin der Evangelischen Landeskirche Hannover, mit Margot Käßmann. Ich danke Ihnen!

Quelle: Westdeutscher Rundfunk (WDR)