Bischof Huber: Einbürgerung ist kein Quiz

Köln (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat sich kritisch zu den Fragebögen für Einbürgerungswillige geäußert. In Baden-Württemberg werde den Muslimen unterstellt, "dass sie sich an bestimmten Stellen in Ferne zu unserer Rechtsordnung befinden", sagte der Berliner Bischof am Mittwoch im Deutschlandradio (Köln). Der hessische Fragebogen indessen habe "tatsächlich zu viele Züge vom Quiz".

In der Frage der Integration müsse es eine bundeseinheitliche Regelung geben, "denn es geht um die Grundsätze des Staatsangehörigkeitsrechts und das ist Bundesrecht", fügte Huber hinzu. Er wünsche sich in dieser Frage zudem mehr Nachdenklichkeit und "auch noch ein bisschen mehr Zeit, bis man die richtige Lösung gefunden hat, und dann bundeseinheitlich". Die isolierte Debatte über die Fragebögen sei in diesem Zusammenhang "höchst fragwürdig".

Mit dem Integrationsgesetz habe sich Deutschland als Einwanderungsland bekannt, betonte Huber weiter. Jedes Land, das sich als Einwanderungsland verstehe, habe auch Kriterien für die Einwanderung und für die Einbürgerung. Der Bischof bezeichnete es zum Beispiel als legitim, das von Einbürgerungswilligen verlangt werde, dass sie die deutsche Sprache beherrschen und die freiheitliche demokratische Grundordnung bejahen.

22. März 2006


Das Interview im Wortlaut:

"Zu viele Züge von einem Quiz"

Bischof Huber spricht sich gegen Fragebögen für Einbürgerungswillige aus

Moderation: Burkhard Birke

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Wolfgang Huber, hat große Zweifel, dass die Tests für Ausländer der richtige Weg für eine mögliche Einbürgerung seien. Die baden-württembergische Variante enthalte ganz gezielte Unterstellungen gegen die Gruppe der Muslime. Das hessische Modell dagegen habe zu viele Züge von einem Quiz. Zudem treffe die Debatte um die Fragebögen nicht den Kern der Problematik. Beispielsweise müssten endlich die so genannten illegalen Einwanderer in Deutschland integriert werden.

Burkhard Birke: Einbürgerungsfragebogen in der Alpenrepublik Österreich. Dort auch Diskussion und bei uns wollen wir die Diskussion jetzt mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, mit Bischof Wolfgang Huber fortführen. Ich begrüße Sie recht herzlich Herr Huber!

Wolfgang Huber: Guten Morgen Herr Birke.

Birke: Herr Huber, Vorbereitung auf ein Fernsehquiz oder geeignetes Instrument zur Einbürgerung? Was halten Sie denn von den Fragenkatalogen als Voraussetzung für die Einbürgerung?

Huber: Ich will zunächst mal erklären, worum es nach meiner Auffassung gehen muss und worum es nicht gehen kann. Wir haben eine Regelung, nach der im Durchschnitt nach acht Jahren Aufenthalt in Deutschland Menschen eingebürgert werden können. Da heißt es ausdrücklich, dass Voraussetzung ist, dass sie die deutsche Sprache beherrschen und dass sie die freiheitliche demokratische Grundordnung bejahen. Beide Anforderungen sind ohne Zweifel legitim und die Frage heißt, wie man Menschen dazu bekommt, dass sie diesen Anforderungen auch tatsächlich zu genügen versuchen in einer Zeit - das muss man ja sagen -, in der wir eine verstärkte Tendenz dazu haben, dass Menschen auch dann, wenn sie sich lange in Deutschland aufhalten, sich abschotten, die deutsche Sprache nicht mehr lernen und sich mit der Rechtsordnung, mit der Verfassungsordnung unseres Landes nicht mehr aktiv auseinandersetzen. Das scheint mir die Herausforderung zu sein.

Birke: Ist da der Fragebogen so wie die Vorbereitung etwa auf die Führerscheinprüfung der richtige Weg? Da gibt es Fragen und die muss man eben pauken.

Huber: Nein, ich habe da große Zweifel, wobei man ein bisschen abstufen muss. Der baden-württembergische - das scheint ja inzwischen auch Konsens zu sein - ist schon deswegen nicht sehr gut geeignet, weil er ganz gezielt Unterstellungen gegenüber einer bestimmten Gruppe, nämlich den Muslimen hat, dass sie sich an bestimmten Stellen in Ferne zu unserer Rechtsordnung befinden. Der hessische hat tatsächlich zu viele Züge vom Quiz. Es ist ja ohnehin fraglich, ob ein einheitlicher Fragebogen, wo man sozusagen die Fragen trimmen kann, ohne dass man dadurch unbedingt von der Verfassungsordnung mehr versteht, ein vernünftiger Weg ist. Eine einheitliche Orientierung, in der die Frage bundesweit behandelt wird, das halte ich für richtig, aber einen einheitlichen Fragebogen, bei dem man im Übrigen bisher gar nicht gesagt hat, wie viele Fragen eigentlich richtig sein müssen, damit man eingebürgert werden kann, ist offenbar noch im Versuchsstadium, wie man auch an den grotesken Zügen, die es ja auch im hessischen Fragebogen gibt, sehen kann.

Birke: Sind denn Gesinnungsfragen in solchen Fragebögen, egal wie man dazu nun stehen mag, überhaupt zulässig, denn auch in dem hessischen, den Sie ja durchaus etwas besser als den baden-württembergischen bewerten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es ja Fragen wie zum Beispiel "was halten Sie davon, dass es einer Frau nicht gestattet sein soll, sich ohne männliche Begleitung, eines nahen männlichen Verwandten eben, in der Öffentlichkeit aufzuhalten"?

Huber: Wenn Sie das Wort Gesinnungsfragen einen Augenblick durch das Wort Überzeugungsfragen ersetzen, dann werden Sie zugeben: Wenn man herausfinden will, ob jemand die demokratische Verfassungsordnung bejaht, das heißt auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau bejaht, dann muss man ihn irgendwie nach seiner Überzeugung fragen können.

Birke: Kann man da nicht lügen?

Huber: Ja, das kann man auch. Das ist bei Fragebögen immer. Wenn einer in dieser Frage aber lügt, dann weiß er immerhin schon, dass er sich vor dem Maßstab rechtfertigen muss, dass Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer. Auch wenn er das in seinem persönlichen Verhalten nicht bejaht, hat er jedenfalls immerhin schon ein Bewusstsein davon. Das ist noch nicht alles, was man anstreben muss, aber es ist immerhin besser, als wenn er es nicht mal wüsste, dass die Diskriminierung von Frauen in diesem Land verboten ist.

Birke: Sie haben gesagt, ein Grundmaß an Deutschkenntnissen und natürlich die Befürwortung unserer freiheitlichen Grundordnung, das sind die Kernelemente, auf die man abheben muss. Brauchen wir dafür überhaupt eine bundeseinheitliche Regelung und brauchen wir überhaupt Fragebögen?

Huber: Es ist wünschenswert, dass wir eine bundeseinheitliche Regelung haben, denn es geht um die Grundsätze des Staatsangehörigkeitsrechts und das ist Bundesrecht. Da antworte ich mal ganz formal, aber auch inhaltlich. Es geht natürlich gleichzeitig um die Freiheitsrechte, damit auch um die Menschenwürde derjenigen, die eine Einbürgerung beantragen. Wir müssen ja auch im Verfahren, das wir da einschlagen, die freiheitliche und demokratische Grundordnung selber achten, von der wir wollen, dass Neubürger sie bejahen. Das ist der Kern des ganzen Geschehens. Deswegen mehr Nachdenklichkeit und auch noch ein bisschen mehr Zeit, bis man die richtige Lösung gefunden hat, und dann bundeseinheitlich. Das ist schon das, was man sich wünschen muss. Der Fragebogen - ich sage es noch einmal - ist ausschließlich der Test dafür, wie gut die Kenntnisse am Ende sind. Wir müssen aber den ganzen Prozess beachten. Wir müssen fragen, auf welchen Wegen kommen Menschen innerhalb dieser acht Jahre eigentlich zu einer Nähe zu unserer freiheitlichen Grundordnung. Das ist die ganz entscheidende Frage. Insofern finde ich die isolierte Debatte über den Fragebogen seinerseits höchst fragwürdig.

Birke: Bischof Huber, ich möchte noch ein bisschen bei dem Thema Deutschkenntnisse bleiben und zwar in einem anderen Zusammenhang, nämlich den Deutschkenntnissen von nachziehenden Ehefrauen. Darüber wird ja heute im Kabinett diskutiert und womöglich auch beschlossen, dass eben einmal das Nachzugsalter für nachziehende Ehefrauen mindestens 21, also mehr als jetzt betragen muss, und dass diese Deutschkenntnisse haben müssen. Ist das in jedem Fall der Menschenwürde entsprechend?

Huber: Wir haben bei den Kirchen in der Tat große Bedenken dagegen, dass diese Festlegung auf 21 Jahre weiterhilft. Es ist ja so, dass nun in der türkischen Gesellschaft und Mentalität Eheschließungen auch früher zu Stande kommen. Wenn eine Ehe da ist, dann gilt auch der Schutz von Ehe und Familie. Insofern verschiebt das nur das Dilemma und löst es nicht. Aber aufs Ganze gesehen muss für nachziehende Ehepartner - übrigens darf man nicht nur von Frauen reden, sondern auch von Männern; das gebietet nun auch wieder der Gleichheitsgrundsatz; und es gibt auch nachziehende Männer - erreicht werden, dass die Einbürgerungsbedingungen genauso gelten wie bei demjenigen Ehepartner, der schon im Lande ist. Im Übrigen ist das Grundproblem, das man dabei sehen muss, nicht nur der Nachzug als solches, sondern die Tatsache, dass es sich durchgängig um arrangierte Ehen und halt sehr oft um Zwangsehen handelt. Das ist der Kern dieses ganzen Problems und dabei sind die Deutschkenntnisse nur ein Aspekt.

Birke: Ist denn diese Verschärfung des Aufenthaltsrechts, die ja damit auch angestrebt ist, das Gebot der Stunde? Brauchen wir nicht umgekehrt eine sehr offene Immigrationspolitik? Müssen wir uns nicht endlich mal als Einwanderungsland bekennen, auch um unsere Sozialversicherungssysteme, um unsere ganzen gesellschaftlichen Probleme auf diesem Gebiet zu lösen?

Huber: Wir haben uns ja mit dem Integrationsgesetz endlich als Einwanderungsland bekannt. Bloß das müssen wir wirklich konsequent machen. Jedes Land, das sich als Einwanderungsland versteht, hat auch Kriterien für die Einwanderung und für die Einbürgerung. Diese Kriterien müssen fair, sie müssen transparent sein. Aber der Kriterienverzicht ist gerade dann nicht der richtige Weg, wenn man Einwanderung bejaht.

Birke: Bischof Huber, wir haben ja auch eine Zahl zwischen einer halben und einer Million in Deutschland illegal lebender Menschen. Illegal ist vielleicht ein unschönes Wort, aber Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Wie sollte man mit diesen Menschen verfahren? Das ist ja auch ein Thema, was die EU-Innenminister der sechs größten EU-Staaten heute in Heiligendamm bei ihren informellen Beratungen aufgreifen.

Huber: Man muss bei dieser Zahl unterscheiden. Wir haben unter diesen eine Zahl von 200.000 oder 300.000, die Altfälle sind mit einem langen Aufenthalt in Deutschland. Wir haben darunter eine große Zahl, die sehr gut integriert sind. Wir haben eine ganz große Zahl von Jugendlichen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, die nun ohne Zweifel deutsch sprechen, die gute Ausbildungschancen oder sogar gute Ausbildungen haben. Es ist mir nur schwer nachvollziehbar, dass wir diese Gruppe haben und sie nicht integrieren, ihnen keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus geben, wo wir uns gleichzeitig damit herumschlagen, dass wir bei anderen Einbürgerungsverfahren machen, obwohl wir große Sorgen haben. Insofern plädiere ich auch in diesem Zusammenhang dafür, dass man die so genannten Altfälle, gegebenenfalls auf bestimmte Gruppen bezogen, löst und von daher die Zahl der so genannten Illegalen deutlich vermindert. Es ist auch in vielen Fällen ungerecht gegenüber den Personen - Sie haben es selber in Ihrer Frage angedeutet -, sie als Illegale zu bezeichnen, nur weil sie aus unterschiedlichen Gründen lediglich geduldet sind und keinen Aufenthaltsstatus haben. Es wäre sehr gut möglich, diesen Aufenthaltsstatus endlich auszusprechen. Ich werbe und plädiere noch einmal sehr dafür, dass das jetzt endlich geschieht.

Birke: Könnte da das Beispiel Spaniens Pate stehen? Spanien hat ja 700.000 so genannte Illegale integriert.

Huber: Ich weiß jetzt nicht, ob das Verfahren von Spanien auf Deutschland übertragbar ist, aber der Weg, nicht ein Damoklesschwert der Unsicherheit über den Menschen über so viele Jahre hängen zu lassen, dieser Weg ist ganz bestimmt richtig.

Quelle: Deutschlandfunk vom 22. März 2006