Familienministerin und Kirchen wollen Wertevermittlung stärken

Vertreter von Juden und Muslimen kritisieren "Bündnis für Erziehung"

Berlin (epd). Begleitet von heftiger Kritik haben Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und die beiden großen Kirchen ein "Bündnis für Erziehung" ins Leben gerufen. Damit solle die wertegebundene Erziehung gestärkt werden, sagte von der Leyen am Donnerstag in Berlin. Vertreter von Muslimen und Juden zeigten sich enttäuscht darüber, zu dem Treffen nicht eingeladen worden zu sein. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann bemängelte, die Kirchen als Bündnispartner repräsentierten nur einen Teil des demokratischen Wertespektrums.

Die Ministerin wies die Kritik zurück. Die Kirchen und ihre Verbände verfügten über Strukturen und ein breites Netzwerk, um Eltern und Erzieherinnen bei der Vermittlung von Werten zu unterstützen, sagte von der Leyen. 72 Prozent der Kindergartenplätze der freien Träger werden von der evangelischen und der katholischen Kirche gestellt. Bezogen auf alle Kindergartenplätze, also auch auf die kommunalen Einrichtungen, bieten die Kirchen 44 Prozent der Plätze an.

"Unsere Kultur gründet auf der christlichen Kultur", begründete die Ministerin ihre Wahl der Bündnispartner. Die Grundrechte im Grundgesetz spiegelten die zehn Gebote wider. Da die Politik wertegebundene Erziehung nicht alleine bewerkstelligen könne, brauche sie gesellschaftliche Gruppen als Partner. Daher werde es im Herbst ein weiteres Treffen mit anderen Religionsgemeinschaften und Wohlfahrtsverbänden geben. In vier Regionalkonferenzen in Düsseldorf, Hannover, Berlin und München solle über Wertevermittlung diskutiert werden.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann sagte, dass in der frühkindlichen Erziehung die entscheidenden Weichen gestellt würden. Beziehungskompetenz und Lernfähigkeit würden in den ersten Lebensjahren erlernt. Sie plädierte zudem dafür, dass das letzte Kindergartenjahr verpflichtend und gebührenfrei sein solle.

Der Berliner Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky sagte, die Kirchen hätten Werte einzubringen, die der ganzen Gesellschaft nützten. Es gehe um Wertevermittlung, nicht darum, die weltanschauliche Neutralität des Staates in Frage zu stellen. Aber Wertevermittlung und religiöse Erziehung stünden in einem engen Zusammenhang.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte, bislang keine Einladung zu dem Bündnis erhalten zu haben. Das sei "ziemlich schmerzlich", sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, der Münchner "Abendzeitung". Deutsche Politiker betonten immer das jüdisch-deutsche Fundament. Werte sollten nicht auf eine Religion fokussiert werden.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Ayyub Axel Köhler, sagte der Zeitung: "Mit Blick auf die Neutralität des Staates wäre es dringend geboten, auch die anderen Religionen einzuladen."

Auch der Bielefelder Sozialwissenschaftler Hurrelmann kritisierte, dass zunächst nur die Kirchen an dem Bündnis beteiligt sind. Ein beträchtlicher Teil der Deutschen gehöre aber einer nicht-christlichen oder gar keiner Religionsgemeinschaft an, sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt, Wilhelm Schmidt, bezeichnete es als "düpierend", wenn bei einem Erziehungsgipfel engagierte gesellschaftliche Partner, Pädagogen, Familienverbände und Vertreter der Wissenschaft "draußen vor der Tür" blieben. Die Arbeiterwohlfahrt sei Träger von knapp 3.000 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. "Bei einem Bündnis gehören alle an einen Tisch, die kompetent zum Thema beitragen können", so Schmidt.

Die familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ina Lenke, erklärte, das einseitige und auf christliche Werte beschränkte Bündnis sei zum Scheitern verurteilt. "Es ist intolerant und gefährlich, in einem Staat, in dem viele Andersgläubige leben, mit der Brechstange das Christentum zum Leitwert aller Eltern und an der Erziehung der Kinder Beteiligten zu erheben", so Lenke.

20. April 2006


Nebulöse Ziele und ein klares Bekenntnis zu den Kirchen

Ministerin von der Leyen startet umstrittenes "Bündnis für Erziehung"

Von Jutta Wagemann (epd)

Berlin (epd). Margot Käßmann brachte es auf den Punkt. Nach Ereignissen wie dem Brandbrief der Lehrer der Berliner Rütli-Schule werde der Ruf nach Werten laut. Wenn sich die Kirchen dann aber als Anbieter auf dem Markt der Werte präsentierten, sei offenbar die Angst groß, dass christliche Werte oktroyiert werden sollten. So fasste die evangelische Landesbischöfin von Hannover die widersprüchliche Stimmung zusammen, die auch das am Donnerstag präsentierte, neue "Bündnis für Erziehung" begleitet.

Kaum war bekannt geworden, dass Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit den beiden großen Kirchen ein Bündnis für wertegebundene Erziehung starten will - im übrigen die Fortsetzung einer Initiative ihrer Vorgängerin Renate Schmidt (SPD) - ging die Empörung los. Die FDP fürchtete die Entmündigung der Eltern und ein Monopol der Kirchen. Die Grünen warnten vor Ausgrenzung. Die Arbeiterwohlfahrt fühlte sich düpiert. Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete es als "ziemlich schmerzlich", keine Einladung erhalten zu haben.

Ein wenig mag es der ruhigen Osterzeit geschuldet sein, dass das Bündnis schon vor der Gründung so viel Aufmerksamkeit fand. Vermutlich hat die geballte Kritik aber auch viel mit der Ministerin selbst zu tun. In ungewöhnlicher offener Manier befürwortet von der Leyen die christliche Erziehung von Kindern. In mehreren Interviews in den vergangenen Monaten zeigte sich die Christdemokratin als Verfechterin für Religiosität, präsentierte sich als Mutter, die mit ihren Kindern betet.

Das sind von einer Bundespolitikerin ungewohnte Töne, die schnell übel genommen werden. Zugleich kämpft von der Leyen für das in ihrer eigenen Partei umstrittene Elterngeld, das es berufstätigen Müttern und Vätern erleichtern soll, wegen eines Kindes vorübergehend zu Hause zu bleiben. Daher wurde rasch vermutet, sie hofiere die Kirchen, um den rechten Flügel ihrer Partei zu beruhigen.

Sowohl das Argument der politischen Instrumentalisierung als auch der Ausgrenzung anderer Gruppen wiesen die Beteiligten von sich. Unter Rechtfertigungsdruck waren sie dennoch gekommen. "Eine Ministerin darf doch wohl ein Gespräch führen mit Vertretern von Trägern, die fast die Hälfte der Kindergartenplätze stellen?", fragte Käßmann rhetorisch. Kardinal Georg Sterzinsky, der katholische Erzbischof von Berlin, beeilte sich, darauf hinzuweisen, dass die weltanschauliche Neutralität des Staates nicht in Frage gestellt werden soll.

Die beiden Kirchenvertreter erinnerten aber auch an das, was die Kirchen einzubringen haben: das christliche Menschenbild, das jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit betont, mit unveräußerlicher Würde und in Respekt vor den Mitmenschen. "Wir haben Werte einzubringen, die der ganzen Gesellschaft nützen", sagte Sterzinsky.

Die Ministerin verwies auf die Zahlen: Unter allen freien Trägern bieten die Kirchen 72 Prozent aller Plätze in Kindergärten und Kindertagesstätten an. Jüdische oder muslimische Kindergärten gebe es hingegen nur sehr selten. Doch von der Leyen versteckte sich nicht hinter der Statistik. "Unsere Kultur gründet auf der christlichen Kultur", betonte sie und zog eine Linie von den zehn Geboten zum Grundgesetz. Zudem bedeute die Freiheit von Religion nicht, mit Kindern nicht über religiöse Fragen zu sprechen.

So nebulös die Ministerin ließ, wie das "Bündnis für Erziehung" die Wertevermittlung in den Kitas und Familien stärken will, so klar verteidigte von der Leyen ihren Start mit den Kirchen. Die Kritiker bleiben dennoch nicht unerhört. Im Herbst soll es das nächste Treffen geben - mit anderen Religionsgemeinschaften und Wohlfahrtsverbänden. "Die Tür steht weit offen", sagte von der Leyen.

20. April 2006


Ministerium und Kirchen verteidigen "Bündnis für Erziehung"

Berlin (epd). Das Bundesfamilienministerium und Vertreter der christlichen Kirchen haben ihr gemeinsam gegründetes "Bündnis für Erziehung" erneut gegen Kritik verteidigt. Ein Ministeriumssprecher bekräftigte am Freitag in Berlin, auch andere Glaubensgemeinschaften seien zu dem Bündnis eingeladen. Der Magdeburger evangelische Bischof Axel Noack erklärte, das Anliegen, bei der Erziehung auf christliche Werte zu setzen, sei richtig. Dagegen betonte der in Ostdeutschland verankerte Wohlfahrtsverband "Volkssolidarität", Menschenwürde und Solidarität hätten nicht nur im Christentum eine Grundlage.

Über die Kritik einiger Wohlfahrtsverbände an dem Bündnis sei das Familienministerium überrascht gewesen, sagte der Sprecher. Die Verbände seien frühzeitig in die Planungen von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) eingebunden gewesen. Sie hätten gewusst, dass es im Herbst ein weiteres Treffen mit anderen Religionsgemeinschaften und Wohlfahrtsverbänden geben soll.

Bischof Noack erklärte, der Staat müsse zwar neutral sein, aber auch tätig werden, damit Werte gebildet werden könnten. Die in jüngster Zeit diskutierte Gewalt von Schülern sei auch eine Folge einer verschlafenen Wertevermittlung. Bei der Frage, was "unseren Laden" zusammenhalte, seien christliche Werte, die Zehn Gebote, aber auch die Rückbesinnung auf die Bedeutung von Bräuchen und Feiertagen "nicht die schlechteste Orientierung".

Der Unions-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Volker Kauder (CDU), sagte, die Kirchen seien zunächst die richtigen Partner für das Vorhaben der Familienministerin. "Es ist unser Anliegen, gemeinsam mit den Elternhäusern ein Bündnis für Erziehung auf der Basis der christlichen Werte zu schaffen." Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU bezeichnete das Bündnis als Schritt in die richtige Richtung gegen "Werte-Relativismus und Sinn-Vakuum".

Kirchliche Familienverbände riefen dazu auf, Eltern zu religiöser und zu Werteerziehung zu ermutigen. Werteorientierte Erziehung habe elementare Bedeutung für Kinder und Jugendliche, erklärten der Familienbund der Katholiken und die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen.

Die Volkssolidarität hingegen betonte, dass sie auch ohne Religion die Aufgabe der Werteerziehung in ihren 360 Kindertagesstätten gut gelöst habe. Die Volkssolidarität sei humanistischen Werten verpflichtet, sagte Präsident Gunnar Winkler. Den Menschen in den östlichen Bundesländern, die zu zwei Dritteln nicht religiös gebunden seien, solle nicht das Gefühl vermittelt werden, dass sie im Bereich der Werte auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stünden.

21. April 2006