Das Deutsche Glockenmuseum bietet auch Führungen für Blinde und Gehörlose an

Symbole der europäischen Kultur

Von Stefanie Walter (epd)

Greifenstein (epd). Ping!! "Klingt blechern, oder?" Ursula Klute schlägt den Gummihammer gegen eine andere Glocke. Ein warmer, tiefer Ton erfüllt den Raum. "Na, das ist doch viel schöner!" Die erste Glocke besteht aus Stahl, erklärt die Geschäftsführerin des Deutschen Glockenmuseums auf der Burg Greifenstein. Die zweite wurde aus einem Gemisch aus Kupfer und Zinn gegossen. "Bronze ist das optimale Material."

50 Glocken hängen im Geschützturm der Burg, die zwischen Wetzlar und Herborn in Hessen liegt. Die älteste Glocke stammt aus dem 12. Jahrhundert, die jüngsten entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie erzählen die Geschichte des christlichen Abendlandes, die ab dem 7. Jahrhundert begann. Glocken wurden zum Symbol der europäischen Kultur: Sie rufen zum Gottesdienst, geben den Tagesrhythmus an. Sie stehen für Zeit, Ewigkeit und Vergänglichkeit, aber auch für Gemeinschaft.

Jetzt im Winter lässt ein kalter Luftzug die Museumsbesucher frösteln. Im Sommer erfüllen Kinderstimmen und Geläut den Turm. Die Besucher dürfen fast alle Glocken ausprobieren. "Ich hatte auch schon Führungen für blinde und taube Menschen", erzählt die 70-jährige Ursula Klute. Begeistert beobachtete sie, wie die Gehörlosen den Klang erspürten. "Jetzt rate ich den Kindern: Legt doch mal die Hand auf die Glocke!" "Das fühlt sich ja an wie beim Handy", antworten sie dann.

Auch Firmen aus der Region laden ihre Geschäftspartner manchmal ins 1984 gegründete Museum ein. Immer häufiger sind Chinesen darunter. "Die freuen sich, wenn ich erzähle, dass Chinesen die Glocke entwickelten", sagt die ehrenamtliche Geschäftsführerin. Vor rund 5.000 Jahren begann die Geschichte der Glocken, zunächst mit Fruchtschalen, Nüssen oder Muscheln.

Sie verbreiteten sich vermutlich von China aus bis nach Europa. Benediktiner-Mönche verfeinerten die Kunst des Glockengießens. "Im 12. Jahrhundert ging das Handwerk in weltliche Hände zu den Glockengießern über." Die mussten flexibel sein: Wenn in Kriegszeiten keine Glocken gebraucht wurden, produzierten sie Waffen. Immer wieder ließen Kriegsherrn die Instrumente aus den Kirchen holen und einschmelzen.

Das Museum spart diesen Teil nicht aus. "Wir wollen auch die traurige Geschichte zeigen." Im zweiten Weltkrieg holten die Nationalsozialisten drei Viertel aller deutschen Glocken von den Türmen, weil sie vor allem die Bronze benötigten. Klute: "Doch es ging auch darum, die Menschen ihrer Identität zu berauben." Viele historische Stücke landeten auf sogenannten Glockenfriedhöfen, zum Beispiel in Hamburg. Gemeinden konnten sie zumindest teilweise nach Kriegsende über Akten identifizieren und zurückholen.

Glockenkundlern aus aller Welt dient das Greifensteiner Museum als ergiebige Quelle. "Manchmal machen Wissenschaftler bei uns Tonanalysen, weil sie die Glocken auf den Türmen so schlecht erreichen", berichtet Klute. Zum Museum gehört auch ein Archiv mit 4.000 Titeln und 200 Tonträgern. Dort stehen Werke wie der "Glockenkatalog", die "Acta Campanologica", "Europäische Tischglocken" und diverse Glockentabellen.

Zum jährlichen Kolloquium reisen auch viele junge Leute an. Sie sind Architekten, Pfarrer, Historiker oder Musikwissenschaftler. Für die meisten ist es ein Hobby. Kürzlich erhielt Klute die Anfrage eines Psychologen, der den Einfluss des Glockenklangs auf die Psyche untersucht. Glocken seien eben faszinierend, findet sie - obwohl ihre erste Begegnung mit ihnen überhaupt nicht positiv verlief: Mit neun Jahren musste sie Schillers "Glocke" auswendig lernen.

Informationen: Deutsches Glockenmuseum auf Burg Greifenstein, Talstraße 19, 35753 Greifenstein, Telefon 06449/921943, www.glockenmuseum.de. Öffnungszeiten: 15. März bis 31. Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr, 1. November bis 14. März samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr.


02. Januar 2008