Stammzell-Debatte: Kirchenamtspräsident für Stichtagsverschiebung

Berlin (epd). Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hermann Barth, hat die politische und ethische Qualität des Stammzellgesetzes unterstrichen. Das Gesetz von 2002, über dessen Änderung der Bundestag in der nächsten Woche beraten wird, habe wie die Abtreibungsgesetzgebung Nachteile und Vorzüge eines Kompromisses, unterstreicht der Kirchenamtspräsident in einem Beitrag für die evangelische Wochenzeitung "Die Kirche" (Berlin). Für die Anwälte des strikten Lebensschutzes und die Befürworter der Forschungsfreiheit gebe es darin Zumutungen und Zugeständnisse. Ihnen werde eine "Selbstrelativierung" abverlangt.

Der Bundestag will in der nächsten Woche über eine Änderung des Stammzellgesetzes beraten. Derzeit ist die Einfuhr embryonaler Stammzelllinien erlaubt, wenn diese vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind und ein höherwertiges Forschungsinteresse besteht. In der evangelischen Kirche ist eine Verlegung dieses Stichtages, wie ihn Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) befürwortet, umstritten.

"Wer dem Kompromiss von 2002 zustimmen konnte, kann auch einer Stichtagsverschiebung zustimmen", schreibt Kirchenamtspräsident Barth. Wenn damit die inzwischen eingetretene Verschlechterung der Forschungsbedingungen beseitigt werden könnte, werde der Kompromiss nicht wertlos. Vielmehr gebe eine Stichtagsverschiebung dem Kompromiss seinen ursprünglichen Wert zurück.

Mit Blick auf unterschiedliche Positionen zwischen den Konfessionen sowie innerhalb der evangelischen Kirche zur Stammzelldebatte verweist Barth auf Unterschiede im Kirchenverständnis. Kein evangelischer Bischof und keine Synode würde sich anmaßen, in einer solchen Fragen "für die evangelischen Christen" zu sprechen: "Ethische Urteilsbildung vollzieht sich in persönlicher Verantwortung vor Gott." In vielen ethisch-politischen Streitfragen könnten Christen "mit guten Gründen" zu unterschiedlichen Antworten gelangen, so der Theologe.

In der Debatte über eine Lockerung des Stammzellgesetzes hatte der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber mehrfach eine einmalige Verschiebung des Stichtages befürwortet. In diesem Sinne äußerten sich auch die EKD-Synode sowie nahezu alle evangelischen Sozialethiker. Hingegen lehnen mehrere Landesbischöfe eine Stichtagsänderung ab.

07. Februar 2008


Beitrag von Präsident Hermann Barth in "Die Kirche" vom 10. Februar

Neuauflage des Streits um die Stammzellforschung

Ist es Christen erlaubt, sich an ihr zu beteiligen oder sie politisch zu unterstützen?

Vor wenigen Tagen wurde ein Brief veröffentlicht, in dem sich der Bischof von Fulda und der Vorsitzende des Katholikenrates des Bistums an die Bundesregierung und die Abgeordneten des Bundestages wandten. Thema: die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Der Brief beschwört die Adressaten, einer Verschiebung oder gar Aufhebung der seit 2002 geltenden Stichtagsregelung nicht zuzustimmen: Dies "lehnen die Katholiken im Bistum Fulda kategorisch ab ... Wir appellieren an Ihr Gewissen ... Seien Sie sich bewusst, dass der Embryo ... ein wirklicher Mensch ist."

Aus der evangelischen Kirche werden ähnliche Stimmen laut - mit dem Unterschied, dass kein evangelischer Bischof und keine evangelische Synode sich anmaßen würden, in einer solchen Frage für die evangelischen Christen in ihrer Kirche zu sprechen oder darüber zu bestimmen, was als evangelisch zu gelten habe. Darin zeigt sich nicht nur ein anderes Kirchenverständnis, sondern auch ein anderer Umgang mit - jedenfalls den meisten - ethisch-politischen Konflikten. So entschieden wir dabei für unsere Überzeugung eintreten sollen, so sehr muss uns bewusst bleiben: Ethische Urteilsbildung vollzieht sich in persönlicher Verantwortung vor Gott. In vielen Streitfragen ethisch-politischer Natur können Christen mit guten Gründen zu unterschiedlichen Antworten gelangen. Das nötigt uns, andere achtenswerte Überzeugungen gelten zu lassen und offen zu sein für bessere Belehrung. Und es übt uns ein, auch dem Kompromiss etwas abzugewinnen.

Der menschliche Embryo ist nicht irgendein Zellhaufen. Er ist der tatsächliche oder mögliche Anfangspunkt einer Entwicklung, die zur Geburt eines Menschen führt. Darum kommt ihm Achtung und Schutz zu. Dass er - als "wirklicher Mensch" - dabei dem geborenen Menschen völlig gleichzustellen sei, ist eine Überzeugung, der ich mit großem Respekt begegne, die zu teilen mir aber zunehmend schwer fällt. Denn was der menschliche Embryo für uns ist, wird durch den biologischen Sachverhalt nicht eindeutig bestimmt, sondern beruht auf einer - mehr oder weniger plausiblen - Deutung und Zuschreibung. Das Stammzellgesetz von 2002 hat (wie die Abtreibungsgesetzgebung) die Nachteile und Vorzüge eines Kompromisses; aber was wäre politisch und gesellschaftlich die Alternative? Für beide Seiten, die Anwälte des strikten Lebensschutzes und die der Forschungsfreiheit, enthält der Kompromiss Zumutungen und Zugeständnisse; er hat eine politische Qualität, indem er Rechtsfrieden schafft, und er hat eine ethische Qualität, indem er den im Streit liegenden Positionen die Zustimmung zu einer aus je ihrer Sicht "zweitbesten" Lösung und damit eine Selbstrelativierung abverlangt. Wer dem Kompromiss von 2002 zustimmen konnte, kann auch einer Stichtagsverschiebung zustimmen. Unter der Voraussetzung, dass sie nötig ist, um die inzwischen eingetretene Verschlechterung der Forschungsbedingungen zu beseitigen, macht sie den Kompromiss von 2002 nicht wertlos, im Gegenteil: Sie gibt ihm den Wert zurück, den er 2002 hatte.


Gegner der Stammzellforschung legen Gesetzentwurf vor

Präses Buß für Versachlichung der Debatte - (Zusammenfassung)

Berlin/Bielefeld (epd). Eine Woche vor der Bundestagsdebatte über das Stammzellgesetz haben die Gegner der Forschung mit embryonalen Stammzellen ihren Gesetzesantrag vorgelegt. "Die Tötung menschlicher Embryonen ist Voraussetzung menschlicher embryonaler Stammzellen. Dies ist unvereinbar mit der Würde des Menschen", erklärte der CDU-Bioethikexperte Hubert Hüppe am Donnerstag in Berlin. In der evangelischen Kirche dauerte die Debatte über die angestrebte Änderung des Stammzellgesetzes an.

Am 14. Februar soll in erster Lesung über eine mögliche Lockerung des Stammzellgesetzes beraten werden. Insgesamt kursieren vier verschiedene Anträge. Einer davon, der auch von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) unterstützt wird, schlägt die einmalige Verschiebung des Stichtags zur Einfuhr embryonaler Stammzellen vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007 vor.

Ein weiterer Gruppenantrag befürwortet die Erhaltung der bestehenden Regelung, ein dritter setzt sich für die Aufhebung des Stichtags und eine Einzelfallprüfung der Importanträge ein. Derzeit ist die Einfuhr embryonaler Stammzelllinien erlaubt, wenn diese vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind.

Der Entwurf der Forschungsgegner wurde von 52 Bundestagsabgeordneten, überwiegend aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion, unterzeichnet. Die Unterzeichner äußern darin schwerwiegende ethische Bedenken gegen embryonale Stammzellforschung. Indem das bisherige Gesetz Einfuhr und Verwendung von embryonalen Stammzellen unter bestimmten Bedingungen zulasse, könne es dem Verständnis Vorschub leisten, die Achtung der Würde des Embryos habe gegenüber den mit der Forschung verbundenen Interessen zurückzutreten, heißt es im Entwurf.

Hüppe unterstrich, in zehn Jahren weltweiter Forschung mit embryonalen Stammzellen sei keine einzige neue Therapie entwickelt worden. Zugleich gebe es heute mit der Forschung an den ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen Alternativen, die unter anderem aus Nabelschnurblut gewonnen werden.

Der westfälische Präses Alfred Buß rief zu einer Versachlichung der Debatte über die Stammzell-Forschung auf. Bei diesem Thema könnten verschiedene verantwortungsvolle Positionen eingenommen werden, sagte Buß in einem epd-Gespräch in Bielefeld. Einfache Antworten auf komplizierte Fragen seien dagegen wenig hilfreich. Auch in der evangelischen Kirche seien unterschiedliche ethisch begründete Meinungen und Handlungsoptionen möglich.

Einig seien sich die Protestanten in der ethischen Grundentscheidung, betonte Präses Buß: "Das menschliche Leben hat auch in seinem allerfrühesten Stadium eine unveräußerliche Würde." Jedes menschliche Leben sei ein Individuum. Sobald es begonnen habe, sich zu entwickeln, stehe es "unter dem Schutz Gottes und der Gemeinschaft".

In der Evangelischen Kirche in Deutschland gibt es unterschiedliche Positionen zu einer Stichtagsverlegung. Dazu erklärte EKD-Kirchenamtspräsident Hermann Barth in einem Zeitungsbeitrag, kein evangelischer Bischof und keine Synode würde sich anmaßen, in einer solche Fragen "für die evangelischen Christen" zu sprechen: "Ethische Urteilsbildung vollzieht sich in persönlicher Verantwortung vor Gott." In vielen ethisch-politischen Streitfragen könnten Christen "mit guten Gründen" zu unterschiedlichen Antworten gelangen, so der Theologe.

"Wer dem Kompromiss von 2002 zustimmen konnte, kann auch einer Stichtagsverschiebung zustimmen", schreibt der Kirchenamtspräsident weiter. Wenn damit die inzwischen eingetretene Verschlechterung der Forschungsbedingungen beseitigt werden könnte, werde der Kompromiss nicht wertlos. Vielmehr gebe eine Stichtagsverschiebung dem Kompromiss seinen ursprünglichen Wert zurück.

07. Februar 2008