Bischof Huber besorgt über zunehmende Vertrauenskrise in der Gesellschaft

Mannheim (epd). Der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat die hohen Gehälter und Abfindungen für Unternehmensvorstände gerügt. Dabei sei einiges "aus dem Ruder gelaufen", sagte der Berliner Bischof dem "Mannheimer Morgen" (Mittwochsausgabe). Wenn Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche geschätzt 14 Mal so viel Geld erhalte wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sei dies nicht erklärbar "von der Verantwortung her, die beide haben".

Es gebe aber auch sehr erfolgreiche Unternehmen mit einer Deckelung der Vorstandseinkünfte, so Huber: "Das ist eine sehr vertrauensbildende Maßnahme." Familiengeführte Mittelstandunternehmen bewiesen häufig, "dass Verantwortung für die Mitarbeiter gleich wichtig ist wie die Verantwortung für die Rendite".

"Das wachsende Misstrauen gegenüber der wirtschaftlichen Elite schlägt sofort in Misstrauen gegenüber unserem politischen System um", gab der EKD-Ratsvorsitzende zu bedenken. Dies gelte vor allem für Ostdeutschland. Diese Fehlentwicklung sei Teil der Erklärung, warum die Linkspartei so stark abschneide. Huber: "Der andere Teil besteht darin, dass die Linkspartei alles und jedes verspricht und damit eine verbreitete Unzufriedenheit in Wählerstimmen ummünzt in einem Ausmaß, das mich beunruhigt."

12. März 2008


Das Interview im Wortlaut:

EKD-Ratspräsident Wolfgang Huber über Ethik in Wirtschaft und Politik sowie die Folgen des Fehlverhaltens von Top-Managern

"Misstrauen gegen unser System"

Von unserem Redaktionsmitglied Stephan Töngi

Mannheim. Der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, befürchtet Schaden für Deutschland durch das Fehlverhalten von Top-Wirtschaftsmanagern und die zunehmende Vertrauenskrise.

Herr Bischof, ist das noch moralisch, wenn Firmen Menschen in die Arbeitslosigkeit schicken, um die Rendite zu steigern?

Wolfgang Huber: Ich beobachte da eine große Spannung, die auch öffentlich wahrgenommen wird. Zwar kann ein Unternehmen seine soziale Verantwortung nur wahrnehmen, wenn es schwarze Zahlen schreibt, aber es gibt eine wachsende Diskrepanz zwischen den Gewinnerwartungen der Anteilseigner und dem paradoxen Tatbestand, dass solche Erwartungen oft erfüllt werden, indem gleichzeitig Arbeitsplätze abgebaut werden.

Was hält Ihre Kirche dagegen?

Huber: Wir zeichnen Jahr für Jahr Unternehmen aus, die wirtschaftliche Solidität mit Fürsorge und Verantwortung für Arbeitsplätze verbinden. Ich bin immer sehr beeindruckt, wenn ich Berichte über die Firmen lese, die die Kriterien von "Arbeit plus" erfüllen. Deshalb darf man die schwarzen Schafe nicht als charakteristisch für wirtschaftliches Verhalten verallgemeinern.

Das heißt, es gibt genügend Unternehmer, die besser sind als der Ruf?

Huber: Den Löwenanteil der Arbeitsplätze stellt die mittelständische Industrie bereit. Sehr oft sind das familiengeführte Unternehmen. Überall dort kann man besonders deutlich sehen, dass Verantwortung für die Mitarbeiter gleich wichtig ist wie die Verantwortung für die Rendite.

Nach jüngsten Berechnungen haben die Top-Manager der Dax-Unternehmen im vorigen Jahr 14 Prozent mehr verdient, der durchschnittliche Arbeitnehmer bekam 1,4 Prozent mehr - weniger als die Inflationsrate. Ist das vertretbar?

Huber: Dieser Tage hat jemand versucht, mir die Differenz damit zu erklären, dass die Vorstände in einem Dax-Unternehmen durchschnittlich nur vier Jahre tätig seien . . .

. . . das gilt auch für manchen Arbeiter . . .

Huber: . . . daher überzeugt mich das Argument auch nicht. Der Vertrauensverlust hat auch mit dieser wachsenden Diskrepanz beim Einkommen zu tun. Wenn man dann noch die oft extrem hohen Abfindungen für den Fall, dass die Tätigkeit zu Ende geht, sieht, haben wir eine Situation, die aus dem Ruder geraten ist und eine negative Auswirkung der Globalisierung darstellt. Es gibt aber sehr erfolgreiche Unternehmen mit einer klaren Deckelung der Vorstandseinkünfte. Das ist eine sehr vertrauensbildende Maßnahme.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Passt es, wenn Daimler-Vorstand Zetsche geschätzt das 14-fache dessen verdient, was die Bundeskanzlerin erhält?

Huber: Das ist von der Verantwortung her, die beide haben, nicht zu erklären. Auch nicht dadurch, dass man sagen könnte: Dass der eine so viel verdient, kommt denjenigen zugute, die am unteren Ende der Lohnskala stehen. So lautet ja das Gerechtigkeitskriterium eines bedeutenden amerikanischen Philosophen.

Das Grundgesetz sagt: Eigentum verpflichtet zum Wohl aller. Wen? Und wozu?

Huber: Es verpflichtet alle im gleichen Maß. Diejenigen mit geringerem Einkommen sollen nicht zu sehr auf Leute mit mehr Geld zeigen . . .

. . . Sie spielen auf die Fälle von mutmaßlicher Steuerhinterziehung an . . .

Huber: . . . ja, da deuten alle auf diejenigen, bei denen es um Millionen geht. Dabei zeigen drei Finger immer auf einen selbst zurück. Über 50 Prozent der Deutschen meinen, man müsse es mit der Steuerehrlichkeit nicht so genau nehmen. Auch wenn Steuerhinterziehung durch Millionäre das Vertrauen gegenüber der Wirtschaftselite beschädigt, haben wir ein sehr viel weiter reichendes Problem.

Was zieht diese Vertrauenskrise nach sich?

Huber: Von Berlin aus sehe ich die Folgen besonders für den Osten. Das wachsende Misstrauen gegenüber der wirtschaftlichen Elite schlägt sofort in Misstrauen gegenüber unserem politischen System um.

Ist das auch ein Teil der Erklärung dafür, dass die Linkspartei so stark abschneidet?

Huber: Ja. Der andere Teil besteht darin, dass die Linkspartei alles und jedes verspricht und damit eine verbreitete Unzufriedenheit in Wählerstimmen ummünzt in einem Ausmaß, das mich beunruhigt.

Müssen Unternehmer auch für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sorgen?

Huber: Das hat hohe Priorität. Leider gibt es viele Fälle, in denen Frauen ihrem Chef sagen, sie seien schwanger, und die Antwort erhalten: Das kommt aber zur falschen Zeit. Andererseits kenne ich Firmen, die mit familienbezogenen Tarifausgestaltungen sehr weit gehen, indem sie Teilzeitarbeit von Vätern oder Müttern durch ein angehobenes Gehalt ausgleichen. In manchen Fällen bezieht sich das auch auf die Verantwortung für die alt gewordenen Eltern.

Ein Wort noch zur Moral in der Politik: Hat sich Andrea Ypsilanti ehrlich verhalten?

Huber: Sie würde selbst für sich nicht in Anspruch nehmen, dass sie ehrlich gewesen ist. Noch mehr beschäftigt mich allerdings die Frage, ob sie im Wahlkampf nicht gewusst haben muss, dass eine Konstellation entstehen kann, in der die Mehrheit, die sie gerne hätte, nur mit der Linkspartei zustande kommen kann. Wenn sie damals bereit war, für einen derartigen Fall aus machtpolitischen Gründen eine solche Mehrheit in Anspruch zu nehmen, war ihr Versprechen offenbar nicht an der eigenen Überzeugung, sondern am machttaktischen Kalkül orientiert. Die daraus entstehende Frage richtet sich nicht nur an eine Person oder eine Partei: Darf das Streben nach Macht so weit gehen, dass man etwas ankündigt, zu dem zu stehen man überhaupt nicht bereit ist?

Quelle: Mannheimer Morgen vom 12. März