Bischof Huber: Hohe Beschäftigungsrate bleibt verpflichtendes Ziel

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hält Vollbeschäftigung für schwer erreichbar. "Eine Gesellschaft ganz ohne Arbeitslosigkeit wird es wohl nie geben", sagte er der "Bild am Sonntag". Aber eine möglichst hohe Beschäftigungsrate bleibe absolut verpflichtend. Der Schlüssel dazu liege in der Bildung. Zudem sollten gerade Unternehmen, die von der Globalisierung profitieren, wann immer möglich, in Deutschland Arbeitsplätze schaffen.

31. März 2008


Experten behaupten: Vollbeschäftigung wieder möglich!

Von Roman EICHINGER, Jochen GAUGELE und Bernhard KELLNER

Berlin – Hat in Deutschland bald jeder, der Arbeit sucht, auch wieder einen Job? Am Dienstag gibt die Bundesagentur für Arbeit die neue Arbeitslosenzahl bekannt. Nach Einschätzung von Arbeitsmarktexperten gegenüber BILD am SONNTAG ist sie im März „um mindestens 100 000 gesunken“ – auf rund 3,5 Millionen.

Dies sind 600 000 Erwerbslose weniger als im Vorjahr. Die Arbeitslosenquote fällt damit unter 8,5 Prozent. Und plötzlich kehrt das Zauberwort der 60er-Jahre zurück: Vollbeschäftigung!

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zu BILD am SONNTAG: „Deutschland ist auf dem besten Weg zur Vollbeschäftigung. Wir haben 1,6 Millionen Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt. Jeden Tag entstehen 1400 neue Arbeitsplätze. Es wäre absurd, wenn wir diesen Erfolg verspielen. Wer flächendeckende Mindestlöhne fordert, den Jobmotor Zeitarbeit abwürgt und Arbeit immer teurer macht, der akzeptiert die Rückkehr zu 5 Millionen Arbeitslosen und zur unerträglichen Sockelarbeitslosigkeit der letzten 20 Jahre. Wenn wir die Weichen richtig stellen, ist nach meiner Meinung Vollbeschäftigung im nächsten Jahrzehnt zu erreichen.“

Was ist Vollbeschäftigung?

Im Wortsinn herrscht Vollbeschäftigung, wenn jeder Arbeit hat. Tatsächlich wird immer ein bestimmter Prozentsatz arbeitslos gemeldet sein – weil manche Menschen zwischen zwei Jobs eine Pause einlegen oder gar nicht arbeiten wollen. In den 60er-Jahren verstand man unter Vollbeschäftigung eine Arbeitslosenquote von weniger als ein Prozent. Heute wird die Schwelle mit drei bis fünf Prozent angegeben. In manchen Regionen (vor allem in Bayern und Baden-Württemberg) ist dieses Ziel bereits erreicht.

Ähnlich Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt: „Die Reformen der Agenda 2010 haben maßgeblich dazu beigetragen, dass in den letzten beiden Jahren über eine Million neue Arbeitsplätze entstanden sind. Wir sind damit der Vollbeschäftigung ein beträchtliches Stück näher gekommen. Die Politik muss diesen erfolgreichen Weg jetzt fortsetzen statt den abwegigen Parolen der Linkspartei hinterherzulaufen. Also: Finger weg vom gesetzlichen Mindestlohn, der Arbeitsplätze und Existenzen zerstört. Und: Wir brauchen optimale Bildungschancen für alle.“

Die Gewerkschaften glauben ebenfalls an Vollbeschäftigung, haben aber andere Rezepte.

DGB-Chef Michael Sommer: „Vollbeschäftigung ist nötig und möglich. Über 3 Millionen neue Jobs gibt es aber nur durch eine andere Politik. Denn mehr Druck auf Arbeitslose, niedrigere Steuern für Reiche sowie gekürzte Renten – Politik der Agenda 2010 – schaffen keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. Stattdessen brauchen wir jetzt mehr öffentliche Investitionen in Bildung, Forschung und Umwelt. Zudem helfen Mindestlöhne und kräftige Tariflohnsteigerungen, um die hartnäckige Konsumflaute zu überwinden.“

Optimistisch ist auch Bert Rürup, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen: „Vollbeschäftigung in Deutschland ist möglich. Mittelfristig kann die Arbeitslosenquote auf 3 bis 4 Prozent gesenkt werden. Erforderlich dazu wären: Tarifabschlüsse, die sich am gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum orientieren, die Weiterentwicklung des Arbeitslosengeld II zu einem wirksamen Kombilohnmodell sowie eine weitere Reduzierung der im internationalen Vergleich immer noch sehr hohen Belastung der Löhne mit Sozialabgaben.“

Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist etwas zurückhaltender: „Eine Gesellschaft ganz ohne Arbeitslosigkeit wird es wohl nie geben. Deshalb sind Vorsorge und Respekt für Arbeitslose weiterhin nötig. Aber eine möglichst hohe Beschäftigungsrate ist absolut verpflichtend. Der Schlüssel dazu liegt im Zugang zu möglichst guter Bildung für alle. Darüber hinaus sollten sich gerade Unternehmen, die von der Globalisierung profitieren, auch für den Standort Deutschland einsetzen und hier Arbeitsplätze schaffen, wann immer das möglich ist.“

Quelle: Bild am Sonntag vom 30. März 2008