Vier Leben - Fröhlicher Dokumentarfilm über Kinder und Erwachsene mit Down-Syndrom

Frankfurt a.M. (epd). "Mein erster Gedanke war, wenn der behindert ist, dann bringt er die Leut um, denn er weiß es ja nicht, und er wird nie sauber", sagt Gisela Bürkner. So dachte sie vor 39 Jahren, als ihr Sohn Jörg auf die Welt kam. "Damals muss ich ein Rad abgehabt haben", konstatiert sie heute. Langsam, mit Ängsten, Schmerzen und Widerstand hat sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Norbert an das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom herangetastet. Hilfen gab es damals kaum.

Gisela Bürkner ist eine der Protagonistinnen in dem Film "Vier Leben", den die Regisseurin Cornelia Thau (51) und Produzent Michael Busch (55) im Frankfurter Programmkino "Mal Seh'n" uraufgeführt haben. Sämtliche Vorführungen waren ausverkauft, Anfragen nach Sondervorstellungen kommen fast täglich bei den Filmemachern an. Mit einem solchen Echo hatten beide nicht gerechnet: Der Dokumentarfilm handelt von vier Menschen mit Down-Syndrom.

Vier Jahre lang haben Cornelia Thau, Michael Busch und ihr Team die Familien mit den Kindern Jörg (39), Anica (14), Carina (23) und Finnian (6) begleitet. Freundschaften und tiefes Vertrauen sind entstanden. Das hat dazu geführt, dass die Eltern der behinderten Kinder über Ängste, Zukunftssorgen und -hoffnungen, über Freude und Leid, die ein Leben mit einem behinderten Menschen mit sich bringen, in einer Offenheit reden, die ihresgleichen sucht. Und dass ein Film entstanden ist, der so fröhliche und witzige Szenen zeigt, dass das Publikum im Saal oft in herzhaftes Gelächter ausbricht.

Gisela Bürkner ist inzwischen seit Jahren in der Behindertenorganisation Lebenshilfe engagiert, ihr Umgang mit ihrem Sohn ist selbstverständlich und erwachsen geworden. Jörg Bürkner arbeitet in einer Werkstatt und lebt in einem Wohnheim, treibt gerne Sport. Seine Leidenschaft sind Agentenfilme. Reden kann er kaum, aber seine Körpersprache ist derart beredt und von einer solchen bewusst eingesetzten Komik, dass der Zuschauer Worte nicht vermisst.

Auch Antje und Andreas Weber wurden bei der Geburt ihrer heute 14-jährigen Tochter Anica von der Diagnose Down-Syndrom überrascht. "Wir haben das Krankenhaus fluchtartig verlassen, als Anica wegen ihres Herzfehlers dort behandelt werden musste", erinnert sich Andreas Weber. Antje Weber wollte ihre Tochter nicht annehmen, "sie mussten mir versprechen, dass ich sie nie wieder sehen muss".

Einige Zeit später entschlossen sich die Webers, ihr Kind doch zu sich zu nehmen. "Eines Tages habe ich sie gewickelt und ihr einen Kuss gegeben. Da ist in meinem Herzen etwas passiert, da war sie da", erinnert sich Anicas Mutter. Regisseurin Thau hat den Interviews mit den Eltern Szenen gegenübergestellt, in denen Anica in der Schule Theater spielt, selbstbewusst auf dem Spielplatz Seilbahn fährt, mit ihren Brüdern Karten spielt und gewinnt. "Wir wollten zeigen, was diese Menschen können, nicht, was sie nicht können", sagt Cornelia Thau.

Ihre Motivation, sich mit Menschen mit Behinderung auseinanderzusetzen, entstand vor vielen Jahren. Thau hat mit Stotterern gedreht, mit Rollstuhlfahrern, mit Analphabeten und Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. Ihr Film "Der Sprinter" mit einem blinden Sportler ist preisgekrönt und erhielt das Prädikat "besonders wertvoll". "Es hat mich immer interessiert, wie die Behinderten ihr Leben meistern. Die waren nie traurig, haben nie gejammert. Und sie hätten doch aus unserer Sicht wahrlich eine Legitimation dazu gehabt", sagt sie.

Michael Busch hat bei der Arbeit mit den Behinderten besonders beeindruckt, dass gewohnte Normen außer Kraft gesetzt wurden. "Man ist gezwungen, auf ihre Kommunikationsform einzugehen", sagt er. "Wenn du mit schlechter Laune zum Dreh gehst, läufst du gegen die Wand oder wirst aufgeheitert - wenn du es wert bist", so seine Erfahrung. Zurzeit sind Thau und Busch dabei, eine Tournee durch 20 deutsche Städte zu organisieren. Auch die ARD wird den vom Hessischen Rundfunk geförderten Film ausstrahlen.

Hinweis: "Vier Leben" von Cornelia Thau und Michael Busch, Dokumentarfilm, 68 Minuten. Kontakt: film@kultur-fischer.de

Von Christine Vaternahm (epd)

05. Mai 2008